Politik

In Bayern erhielten im vergangenen Jahr 23 Prozent mehr Menschen als 2022 und mehr als doppelt so viele wie 2021 die Diagnose HIV. (Foto: dpa/Britta Pedersen)

23.02.2024

Selbst Kliniken diskriminieren

Immer mehr Menschen in Bayern müssen mit HIV und als Folge mit Ausgrenzung leben

Die Entwicklung zeichnet sich seit 2022 ab: Immer mehr Menschen in Bayern erhalten die Diagnose HIV. 2023 betraf dies laut Robert Koch-Institut 630 Bürger*innen des Freistaats. Das waren 23 Prozent mehr als 2022 und mehr als doppelt so viele wie 2021, als HIV nur 330 Mal neu diagnostiziert wurde. Auch in Praxen und Beratungsstellen steigen die Zahlen. Ein Grund ist der hohe Zuzug von Menschen aus der Ukraine. Dort kommt HIV etwa zehnmal häufiger vor als bei uns.

Die Diagnose ist für die Betroffenen nach wie vor bitter. Obwohl HIV längst nicht mehr „Aids“ bedeutet. Und gut behandelbar ist. Allerdings heißt HIV weiterhin, vermutlich bis ans Lebensende Medikamente einnehmen und mit Diskriminierung fertig werden zu müssen. Gerade wegen der Ausgrenzungsgefahr löst die Diagnose meist große Betroffenheit aus. Das kann Martina Höll, Leiterin der in Bayreuth angesiedelten Aids-Beratung Oberfranken der Diakonie, bestätigen. „Pflegeeinrichtungen weigern sich zum Beispiel, HIV-positive Menschen aufzunehmen“, sagt sie. Problematisch kann es auch werden, wenn ein HIV-Positiver eine OP braucht. Manche Kliniken, so Martina Höll, weisen dann separate Toiletten zu. Weiter kennt sie einen Infizierten, der nicht an der Sportgruppe einer Rehaklinik teilnehmen durfte.

Laut der Deutschen Aidshilfe wissen hierzulande circa 90 Prozent der Infizierten, dass sie das HI-Virus in sich tragen. Mehrere Tausend wissen davon nichts. Durch HIV-Testwochen wird in Bayern versucht, Menschen zu animieren, sich kontrollieren zu lassen, auch wenn sie keine Symptome wie geschwollene Lymphknoten, Abgeschlagenheit oder schmerzende Gliedmaßen haben.

Wegen der steigenden Infektionszahlen schnellten auch die Beratungszahlen in jüngster Zeit nach oben. In Bayreuth hatten sie sich zwischen 2019 und 2022 laut Martina Höll fast verdoppelt. 2023 stiegen sie weiter an. Auch Ute Häußler von der Augsburger Aidshilfe ist momentan am Rotieren.

Vor allem Geflüchtete sind von Neudiagnosen betroffen

Dies vor allem deshalb, weil sie gerade ausschließlich ausländische Menschen in der Beratung hat: aus der Ukraine, Russland, Irak. „Ich wüsste nicht, wann mein letzter deutscher Klient hier gewesen wäre“, sagt sie. Problematisch ist das deshalb, weil die Augsburger Aidshilfe über kein Budget für Übersetzungshilfe verfügt.

Dass immer mehr Tests positiv ausfallen, bekommen auch bayerische Arztpraxen zu spüren. „Auch wir haben steigende Zahlen“, sagt Michael Weiß, Internist aus Fürth. Dies sei in seinem speziellen Fall jedoch auch darauf zurückzuführen, dass mehrere seiner Kolleg*innen in der Region Fürth in Altersrente gegangen sind: „Deren Patienten mit HIV behandeln wir weiter.“ Auch Michael Weiß spürt einen Anstieg durch HIV-Infizierte aus der Ukraine. Wer durch einen Test in einer Aids-Beratungsstelle oder beim Gesundheitsamt erfahren hat, dass er positiv ist, und sich in der Praxis von Michael Weiß auf ein antivirales Medikament einstellen lassen möchte, erhält meist noch am selben Tag einen Termin. „Wir haben keinerlei Kapazitätsprobleme für die Versorgung von Menschen mit HIV“, so der Fürther Facharzt. Das ist in Oberfranken anders, so Martina Höll: „Bei uns gibt es keinen einzigen HIV-Behandler.“ HIV-Infizierte, die in Bayern abseits der Metropolen leben, müssten weite Wege zur nächsten HIV-Schwerpunktpraxis in Kauf nehmen, bestätigt Manfred Schmidt von der Aids-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth.

Heute hat die Ärzteschaft die Auswahl unter vielen verschiedenen Medikamenten. „Eine Standardtherapie, mit der man alle Patientinnen und Patienten behandeln kann, gibt es nicht“, sagt Michael Weiß. Wobei es in den meisten Fällen ausreicht, nur einmal täglich eine einzelne Tablette zu nehmen. Erfreulicherweise sei die Compliance hoch: „Die meisten lassen keine Dosis aus.“

Auch Nebenwirkungen spielen heute keine große Rolle mehr, so Berater Manfred Schmidt aus Nürnberg: „Die Therapie ist gut verträglich und ermöglicht ein gutes und langes Leben ohne größere Einschränkungen.“ Es bleibt, sagt aber auch er, das Problem der Diskriminierung. Auch in der Nürnberger Anlaufstelle berichten Betroffene von Ungleichbehandlung oder Ablehnung – nicht zuletzt im Medizinsystem: „In Facharztpraxen wird zum Beispiel oft nach dem HIV-Status gefragt.“ Zum Teil würden die Betroffenen abgelehnt: „Mit dem Hinweis, es müsse besonders desinfiziert werden, und das sei in der Praxis nicht möglich.“

Um Neuinfektionen zu vermeiden, wäre es laut Manfred Schmidt auch notwendig, Menschen im Asylverfahren das Präventionsmittel PrEP zu geben. Aktuell werde ihnen dies versagt. Dass es vergleichsweise viele queere und vom Risiko einer Ansteckung mit HIV betroffene Menschen gibt, sei nicht verwunderlich. Aufgrund von repressiven Gesetzen und Verfolgung bis hin zur Drohung mit der Todesstrafe flüchteten viele aus ihren Herkunftsländern, so der Nürnberger HIV-Berater.

Für ihn ist die gestiegene Zahl an Neudiagnosen aber nicht nur auf den Zuzug von Flüchtlingen zurückzuführen. Er sieht auch einen Nachholeffekt aufgrund der Corona-Beschränkungen. Gesundheitsämter boten zwischen 2020 und 2022 kaum Tests an. 
Was PrEP betrifft, besteht laut Robert Koch-Institut das Problem, dass die auf HIV spezialisierten Praxen und Zentren, die Patient*innen mit PrEP versorgen, deutschlandweit an ihrer Kapazitätsgrenze sind. Zudem gibt es Lieferengpässe. Die sind inzwischen so gravierend, dass sie am 25. Januar im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden. (Pat Christ)
 

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