Politik

Angela Merkel winkt zum Abschied. (Foto: dpa/Markus Schreiber)

24.09.2021

Servus, Angie!

Eine Ära geht zu Ende: Was von der scheidenden Bundeskanzlerin im Gedächtnis bleiben wird

16 Jahre stand Angela Merkel (CDU) an der Spitze der Bundesrepublik – als erste Frau. Was hat sie ausgemacht, wofür steht sie, was bleibt? Die Staatszeitung hat sich umgehört.

Theo Waigel,
CSU-Ehrenvorsitzender, Ex-Bundesfinanzminister:

Ich erinnere mich noch gut an meine erste Begegnung mit Angela Merkel. Das war am 1. Juli 1990, dem Tag, als der Vertrag zur Währungsunion unterzeichnet wurde. Es gab eine Pressekonferenz – geleitet von der stellvertretenden Pressesprecherin des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, einer sehr bescheidenen und schüchternen jungen Frau: Angela Merkel. Das Bescheidene ist ihr geblieben, das Schüchterne hat sich gelegt. Sie ist zur wirkungsstärksten Frau unserer Zeit geworden. Vor 20 Jahren wollte ein Börsenkenner in New York wissen, warum ihr Englisch so gut ist. Merkel hat geantwortet, dass sie für ihr Physikstudium viel englischsprachige Literatur lesen durfte – und hinzugefügt: „But my Russian ist better.“ An der Wall Street hat das für Irritationen gesorgt. So etwas ist ihr dann nicht mehr passiert.

Renate Schmid (SPD),
Ex-Bundesfamilienministerin:

Mit Angela Merkel hielt vor 16 Jahren auch ein anderer Politikstil Einzug: unaufgeregt und mit weniger basta. In Merkels Kabinett waren, wie ich erfahren habe, Diskussionen willkommen. Unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder gab’s das eher nicht. Einmal habe ich Merkel in einer Talkshow heftig verteidigt, weil jemand über ihre heruntergezogenen Mundwinkel gelästert hat. Warum muss man Frauen in der Politik immer nach ihrem Äußeren bewerten?

Heinrich Bedford-Strohm,
Landesbischof:

Angela Merkel hat unser Land entschlossen durch verschiedene schwere Krisen gesteuert. Im Angesicht großer Not 2015 hat sie gegenüber Geflüchteten Humanität an die erste Stelle gestellt. Dafür hat sie meine Hochachtung. Bei der Bekämpfung des Klimawandels wird die Nachfolgeregierung im Interesse unserer Enkelinnen und Enkel das Tempo deutlich erhöhen müssen.

Antonia von Romatowski,
Merkel-Double:

 16 Jahre weibliche Führung. Diplomatisch, zäh, unaufgeregt, frei von Eitelkeiten, mit staubtrockenem Humor. Manchmal hätte ich mir aber als Komödiantin von ihr etwas mehr sichtbare Emotion gewünscht. Das Volk, glaube ich, auch. Jede*r neue Regierungschef*in wird sich in den nächsten Jahren an ihr messen lassen müssen. „Schaffen die das?“ Die Latte hängt hoch.

Hubert Aiwanger,
Freie-Wähler-Chef:

Frau Merkel war eine gefühlte Ewigkeit Bundeskanzlerin, und eine Bewertung ihrer Arbeit wird erst im Rückblick wirklich möglich sein. Ihre bieder-bodenständige Art hat ihr das Vertrauen der Wähler über viele Jahre erhalten, jedoch fallen in ihre Amtszeit auch die unkontrollierte Zuwanderung und der Linksruck der Union mit dem dadurch verursachten Einzug einer rechten, nicht koalitionsfähigen Partei in den Bundestag und vermutlich sogar der Verlust bürgerlicher Regierungsfähigkeit.

Dieter Reiter (SPD),
Münchner Oberbürgermeister:

Ich habe Frau Merkel als pragmatische und absolut verlässliche Politikerin kennengelernt, die unser Land gut durch diverse Krisen gebracht und dabei stets klare Haltung gezeigt hat. Gerade 2015, als es um schnelle Hilfe für Tausende von Geflüchteten ging, hat sie menschlich gehandelt und ihre Entscheidung auch gegen den scharfen Widerstand von verschiedenen Seiten verteidigt – bis zuletzt. Und während der Pandemie hat Frau Merkel immer wieder auch das Gespräch mit uns Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gesucht. Für uns war das ein ganz wichtiger Austausch, bei dem die Kanzlerin aufmerksam zuhörte und die Bedenken und Vorschläge der Kommunen auch in ihre Entscheidungen miteinfließen ließ. Ich habe ihre unprätentiöse und direkte Art immer geschätzt.

Edmund Stoiber,
CSU-Ehrenvorsitzender, Ex-Ministerpräsident:

Ich habe Angela Merkel bereits 1990 kennengelernt, als sie stellvertretende Regierungssprecherin von Lothar de Maizière war. Sie war schon damals sehr unprätentiös und bis ins Detail sachorientiert. Damit hat sie später als Kanzlerin den Stil der politischen Debatte sehr geprägt. Sie war ein ganz anderer Typus als etwa ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder oder auch ich, die Politik sehr stark auch über Emotionen vermittelt haben. Unabhängig davon haben wir gerade auch als Parteivorsitzende von CDU und CSU in all den Jahren immer gut zusammengearbeitet; so hat sie zum Beispiel meinen Wahlkampf als Kanzlerkandidat 2002 loyal und mit großem Engagement unterstützt. Insgesamt empfinden die Deutschen die Ära Merkel als gute und erfolgreiche Jahre für Deutschland.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP),
Ex-Bundesjustizministerin:

In meiner ersten Amtszeit als Bundesjustizministerin war ich mit Angela Merkel als zuständige Ministerin für Jugend, Familie und Senioren in Ostdeutschland unterwegs, um uns gemeinsam einen Eindruck von dem Angebot an Jugendeinrichtungen zu verschaffen. Es gab zunehmend rechtsradikal motivierte Ausschreitungen junger Menschen und in vielen Städten kaum Jugendstätten. Das hat uns beiden große Sorgen gemacht. Wie es ihre Art ist, hat sich Angela Merkel gründlichst vorbereitet, und wir haben uns danach für die Stärkung der Kommunen zur Prävention gegen Radikalisierung eingesetzt. Das ist ein Markenzeichen von Angela Merkel. Kein Fachminister kann ihr bei aktuellen Themen etwas vormachen. Die Euro-Rettung war ohne sie nicht denkbar, denn der Grexit wurde sogar vom damaligen Finanzminister betrieben. Und auch bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung war sie bis in die technischen Details bestens informiert. Vor diesem Hintergrund hat sie Krisen bewältigt. Das bleibt.

Claudia Roth (Grüne),
Bundestagsvizepräsidentin:

Als erste Frau an der Spitze unseres Landes hat Angela Merkel eine ganze Generation von Mädchen geprägt. Ihr politisches Vermächtnis ist aber leider alles andere als feministisch und auch ihrem anfänglichen Ruf als Klimakanzlerin ist sie nicht gerecht geworden. Auf ihre starke und menschliche Entscheidung 2015, die Grenzen nicht zu schließen, folgten die schlimmsten Asylrechtsverschärfungen seit 20 Jahren. Trotz dieser Widersprüche habe ich großen Respekt vor Angela Merkel und sie wird mir als eine Politikerin mit Anstand und Stil in Erinnerung bleiben.
(aka/ta)

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