Politik

07.11.2024

Soll die Krankschreibung per Telefon wieder abgeschafft werden?

FDP-Chef Christian Lindner plädiert für die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung, weil das aus seiner Sicht die krankheitsbedingten Fehltage reduzieren würde. Kristine Lütke, Gesundheitspolitikerin der FDP im Bundestag, sieht das genauso. Bernd Rützel (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag, widerspricht

JA

Kristine Lütke, Fachpolitikerin für Gesundheit der FDP im Bundestag

Deutschland ist im europäischen Vergleich das Land mit den höchsten krankheitsbedingten Fehltagen: Im Jahr 2022 lag der Durchschnitt bei 24,9 Tagen und damit bei fast sechs Tagen mehr als Tschechien auf Platz zwei. Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge kosten die Krankheitstage deutsche Unternehmen über 70 Milliarden Euro im Jahr. Dabei treffen diese wirtschaftlichen Folgen nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch Kunden, die dadurch beispielsweise von längeren Lieferzeiten betroffen sind.

Zweifelhaft ist, ob wir Deutsche tatsächlich so viel häufiger krank sind als unsere europäischen Nachbarn, oder ob es in Deutschland nicht bloß einfacher ist, sich krankzumelden. Denn zwischen der telefonischen Krankschreibung, die nur eine geringe Hemmschwelle für Beschäftigte bildet, und dem Anstieg der Krankentage besteht eine Korrelation. Seit der Einführung der Regelung im Rahmen der Corona-Pandemie sind die Krankheitstage deutlich gestiegen und dieser Trend setzt sich weiter fort.

Deshalb sollten wir die telefonische Krankschreibung wieder abschaffen und durch eine digitale Lösung, die sowohl für die Unternehmen als auch für erkrankte Arbeitnehmer zu positiven Effekten führt, ersetzen. Besser als auf Telefonate wäre es, auf die Telemedizin zu setzen. Mit Videotelefonie zwischen den Patienten und Ärzten kann eine Erkrankung nicht nur besprochen, sondern Patienten auch begutachtet werden.

Durch die Telemedizin verhindern wir ebenso wie durch telefonische Krankschreibungen eine Überlastung der Arztpraxen und vermeiden Ansteckungsrisiken für Patienten in den Wartezimmern. Gleichzeitig können die Ärzte besser als noch am Telefon Untersuchungen durchführen, medizinische Standards einhalten und die medizinische Versorgung der Erkrankten sicherstellen. Ein verstärkter Einsatz der Telemedizin wäre also im medizinischen Interesse der Ärzte und Patienten.

NEIN

Bernd Rützel (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag

„Wer die telefonische Krankschreibung abschaffen will, gefährdet die Patientenversorgung in den kommenden Monaten mit zahlreichen Infektionserkrankungen.“ Das sagt nicht irgendwer, das sagt Nicola Buhlinger-Göpfarth, die Co-Bundesvorsitzende des Verbands der Hausärztinnen und Hausärzte. Ihr Co-Vorsitzender Markus Beier nennt entsprechende Pläne „fehlgeleiteten Aktionismus“ und lobt die Einführung der Regelung als absolut sinnvolle Entscheidung. Viele andere Hausärzte sehen das genauso.

Die Regelung führt zu geringeren Wartezeiten in den Praxen und verringert das Ansteckungsrisiko. Es nutzt niemandem, sich hustend in ein Wartezimmer zu setzen. Hat die telefonische Krankschreibung denn auch Nachteile? Einige Arbeitgeberverbände geben ihr jetzt die Schuld an den gestiegenen Fehlzeiten der letzten zwei Jahre. Doch neben den besonders heftigen Grippe- und Erkältungswellen, die auch das Robert-Koch-Institut bestätigt, wurde ab Juli 2022 auch die elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingeführt.

Dadurch werden nun auch Krankschreibungen erfasst, die die Krankenkassen früher nie erreicht haben. Gearbeitet haben die kranken Beschäftigten – richtigerweise – also auch vor zwei Jahren nicht. Nur werden sie jetzt dank der Digitalisierung besser erfasst. Das ist auch gut, damit die Weiterzahlung des Lohns oder das Krankengeld je nach Dauer von der richtigen Stelle, Arbeitgeber oder Krankenversicherung, geleistet wird. Das entlastet im Zweifelsfall die Arbeitgeber.

Die telefonische Krankschreibung ist ein Paradebeispiel dafür, wie Bürokratieabbau das Leben leichter macht – ohne zu Nachteilen zu führen. Bürokratieabbau wird, oft zu recht, ständig von Arbeitgebern gefordert. Dass jetzt ausgerechnet dieses gelungene Experiment auf Ablehnung der Arbeitgeber stößt, erstaunt mich. Deshalb schließe ich mich der Einschätzung von Markus Beier an und halte den aktuellen Appell für fehlgeleiteten Aktionismus. 
 

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