Politik

24.04.2025

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf eine stärkere Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit geeinigt. So soll es auch möglich sein, mehr als zehn Stunden am Tag zu arbeiten. Gut so, findet Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Bernhard Stiedl, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Bayern, sieht das anders

JA

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks

Mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit: Das wünschen sich nicht nur Betriebe, sondern auch viele Beschäftigte. Ob Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder der Wunsch, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren: Flexible Arbeitszeitmodelle – sei es etwa durch individuelle Arbeitszeitverteilungen, längere freie Zeiträume oder besondere Lösungen bei Caresituationen – schaffen Entlastung und mehr Selbstbestimmung für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gleichzeitig verschaffen sie Betrieben die nötigen Spielräume, um flexibel organisieren zu können, wie Aufträge abgearbeitet werden.

Denn nicht jeder Tag im Betrieb ist gleich: Manche Aufträge erfordern längere Einsätze oder längere Anfahrten, andere bieten Raum für Ausgleich. Wenn Betriebe und Beschäftigte gemeinsam passgenaue Modelle entwickeln, stärkt das die Zufriedenheit im Team und die Leistungsfähigkeit des Betriebs – ein klarer Vorteil, um Fachkräfte zu gewinnen und zu binden.

Deshalb setzen wir uns im ZDH seit Langem dafür ein, das Arbeitszeitgesetz grundlegend zu modernisieren – mit einer Umstellung von der täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit, wie sie die EU-Arbeitszeitrichtlinie bereits vorsieht. Das würde deutlich mehr Gestaltungsfreiheit ermöglichen, um den unterschiedlichen Lebens- und Betriebsrealitäten besser gerecht zu werden.

Eine gesetzlich abgesicherte Flexibilisierung schafft Rechtssicherheit und eröffnet neue Wege für mehr Eigenverantwortung und Zufriedenheit – auf beiden Seiten. Gerade im Handwerk mit seinen meist kleineren, mittelständischen Strukturen sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eng im Austausch mit ihrem Team. Sie wissen, was praktikabel ist – von der Viertagewoche bis zu saisonal angepassten Arbeitszeiten.

Es geht nicht um Mehrarbeit, sondern um mehr Freiheit, Verantwortung und Fairness in einem flexiblen, verlässlichen System. Es ist Zeit, dass das Arbeitszeitgesetz das widerspiegelt. 

NEIN

Bernhard Stiedl, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Bayern

Jetzt mal Klartext: Wer ernsthaft fordert, die tägliche Höchstarbeitszeit zu lockern, hat entweder noch nie im Schichtdienst gearbeitet oder weiß nicht, wie es in den Betrieben wirklich läuft. Trotzdem steht das, was die Arbeitgeber schon vor langer Zeit auf ihren Wunschzettel geschrieben haben, nun schwarz auf weiß im schwarz-roten Koalitionsvertrag: Die tägliche Höchstarbeitszeit soll durch eine Wochenarbeitszeit ersetzt werden. Klingt harmlos, heißt aber ganz konkret: Bis zu 13 Stunden am Tag malochen, solange am Ende der Woche die Rechnung irgendwie aufgeht.

Dabei schuften sich die Menschen schon heute kaputt – 1,2 Milliarden Überstunden im Jahr, mehr als die Hälfte davon unbezahlt. Die Beschäftigten halten den Laden am Laufen, während die Belastungen weiter steigen. Ständige Erreichbarkeit, immer mehr Druck, immer weniger Zeit für Familie, Freunde oder einfach mal für sich selbst. Wer nun den Achtstundentag abschaffen will, tritt denen, die ohnehin schon am Limit sind – Menschen in sozialen Berufen, Handwerker*innen, Beschäftigte in der Produktion und im Einzelhandel –, noch mal kräftig vors Schienbein. Sie alle sollen jetzt noch mehr leisten, damit am Ende die Bilanzen stimmen? Die Folgen sind andere: mehr Krankheitstage, mehr Burnout, mehr Fehler – und am Ende weniger Fachkräfte, weil die Leute reihenweise ausbrennen oder in die Erwerbsminderungsrente gehen.

Wir Gewerkschaften sind nicht gegen Flexibilität, im Gegenteil. Schon heute regeln Tarifverträge, wie sich Arbeit flexibel gestalten lässt – im Sinne der Beschäftigten und der Betriebe. Wer flexible Lösungen will, kann mit uns reden. Doch viele Arbeitgeber verweigern sich, weil sie lieber einseitig bestimmen und Kosten sparen wollen. Aber eine Flexibilisierung zulasten der Beschäftigten ist mit uns nicht zu machen. Arbeit muss zum Leben passen – nicht umgekehrt. Und das werden wir im Dialog der Sozialpartner mit der künftigen Bundesregierung auch deutlich machen. 
 

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