Politik

13.07.2023

Sollen Krankenversicherte statt höherer Beiträge eine hohe Selbstbeteiligung zahlen?

Als Maßnahme gegen immer weiter steigende Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung hat der Ökonom Bernd Raffelhüschen eine hohe Selbstbeteiligung der Versicherten vorgeschlagen. Sie sollten die ersten 800 Euro Arztkosten selbst zahlen. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, ist dafür, über eine höhere Selbstbeteiligung zu diskutieren. Johannes Wagner, Gesundheitsexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag, ist strikt dagegen.

JA

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft

Um rasch steigende Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung zu verhindern, müssen wir auch über eine höhere Selbstbeteiligung der Versicherten diskutieren. Das Gesundheitssystem in Deutschland zeichnet sich im internationalen Vergleich durch eine unterdurchschnittliche Eigenbeteiligung der Versicherten aus. Um eine zielgerichtete Verwendung der öffentlichen und solidarisch finanzierten Mittel sicherzustellen, gilt es mehr Selbstbeteiligung und mehr Kostentransparenz einzuführen.

Denn grundlegend müssen wir festhalten: Mehr Eigenverantwortung der Versicherten trägt dazu bei, den Einzelnen oder die Einzelne zu wirtschaftlichem Verhalten und Kostenverantwortung zu motivieren. Eigenverantwortung setzt Anreize für ein gesundheitsbewusstes Verhalten und verwirklicht den Grundsatz, dass sich die Solidarversicherung entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip auf die Leistungen beschränken sollte, die der Einzelne nicht selbst tragen kann.

Es wäre daher klug, die gesetzliche Belastungsgrenze bei der Selbstbeteiligung von derzeit 2 auf 3 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen anzuheben. Zudem müssen Zuzahlungen für verschiedene Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung künftig dynamisch an die allgemeine Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden.

Wir begrüßen auch Überlegungen, eine angepasste Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch in Erwägung zu ziehen. Das Instrument der Zuzahlung beim Besuch von Hausarzt- und Facharztpraxen wird von vielen anderen europäischen Ländern zur Mitfinanzierung des Gesundheitswesens und Steuerung der Arztbesuche genutzt.
Wir müssen dabei bedenken: Bei der Zahl der Arztkontakte belegt Deutschland im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz. Versicherte konsultieren in Deutschland nahezu doppelt so häufig einen Arzt wie etwa Finnen, Norweger oder Schweizer und fast viermal so häufig wie Schweden. 

NEIN

Johannes Wagner, Gesundheitsexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag

Wer in den USA einmal blöd umknickt, muss sich die Frage stellen: Lasse ich das beim Arzt untersuchen oder zahle ich lieber meine Kreditkarten-Schulden? Denn wenn US-Amerikaner*innen überhaupt versichert sind, dann häufig nur mit hohen Selbstbeteiligungen. Und das hat dramatische Konsequenzen. Ein System, wie der Ökonom Bernd Raffelhüschen es auch für Deutschland vorschlägt, bei dem je Leistung gezahlt wird, führt dazu, dass weniger Menschen zum Arzt gehen.

Was für die Krankenkassen auf den ersten Blick Geld spart, kann am Ende aber sowohl die Patient*innen als auch die Versicherung teuer zu stehen kommen. Denn Vorsorge und Früherkennung halten Menschen gesund und sorgen dafür, dass Krankheiten schon im Frühstadium behandelt werden können. Das ist gut für die betroffene Person, die dann schneller gesund wird, aber auch fürs System, weil Behandlungen von chronischen Krankheiten langwierig und teuer sind.

Selbstbeteiligungen von 2000 Euro, die aktuell diskutiert werden, träfen natürlich nicht alle gleichermaßen. Als Arzt und Bundestagsabgeordneter könnte ich mir die Untersuchung oder die nötige Operation leisten, viele Menschen könnten es aber nicht. Dem deutschen Versicherungssystem wohnt dagegen ein Solidaritätsgedanke inne. Ob man krank wird oder nicht, kann man sich nicht aussuchen. Ob man sich die Behandlung leistet oder nicht, muss sich hierzulande niemand fragen. Das ist sozial, gerecht und sollte auch so bleiben.

Wohin eine Steuerung über finanzielle Anreize in der Medizin führt, erleben wir in umgekehrter Richtung gerade bei den Fallpauschalen: Kliniken führen bisweilen unnötige Operationen durch, um mehr Geld zu erwirtschaften. In der Ampel-Regierung packen wir das Problem, das lange nur ausgesessen wurde, mit der Krankenhausreform an und werden künftig die Vorhaltekosten der Häuser finanzieren. Dieser effizientere Einsatz der Gelder wird am Ende auch den Krankenkassen zugutekommen. 

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