Politik

02.04.2020

Sollen zur Eindämmung des Coronavirus Handydaten genutzt werden dürfen?

Kann moderne Technologie eine Pandemie eindämmen helfen, ohne die Privatsphäre zu verletzen? Datenschützer sind skeptisch.

JA

Alfred Winter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS)

Handys mit Bluetooth sind geeignet, um Kontakte von Infizierten mit nicht infizierten Personen im Nachhinein zu ermitteln. Wenn zwei teilnehmende Handys nahe beieinander sind, kann eine App Kontaktinformationen austauschen. Die Privatsphäre aller Beteiligten wird dabei gewahrt, weil keine persönlichen Informationen ausgetauscht werden müssen. Es müssen auch keine Informationen über Ort und Zeitpunkt des Kontakts in zentralen Datenbanken gespeichert werden.

Mit der Einrichtung einer neutralen Treuhandstelle können die identifizierenden Daten von Personen strikt von den Kontaktinformationen getrennt werden. Dazu müssen sich die Personen, welche die App nutzen möchten, bei der Treuhandstelle registrieren lassen. Um sich zu registrieren, gibt zum Beispiel Frau Müller Ihre E-Mail-Adresse bei der Treuhandstelle ab und bekommt eine zufällig erzeugte Nummer zurück, das Pseudonym. Die Treuhandstelle merkt sich nur, welche E-Mail-Adresse zu welchem Pseudonym gehört. Kommt nun das Handy von Frau Müller nahe am Handy von Herrn Meier vorbei, werden lediglich die Pseudonyme der beiden ausgetauscht. Die Pseudonyme werden nur eine begrenzte Zeit gespeichert, vielleicht 18 Tage. Sollte Herr Meier kurze Zeit später positiv auf das Coronavirus getestet werden, übermittelt er mit seiner App alle noch gespeicherten Pseudonyme an die Treuhandstelle, die dann Frau Müller und andere Personen, die in letzter Zeit in der Nähe von Herrn Meier waren, informieren kann. Bei solchen Verfahren hält die GMDS Kontaktermittlungs-Apps für sehr sinnvoll und auch vertretbar.

Wie in vielen Bereichen der medizinischen Forschung ist auch hier die Aufklärung und die Einwilligung der Nutzer erforderlich, auch um unnötige Verängstigungen zu vermeiden. So kann moderne Technologie eine Epidemie eindämmen helfen, ohne die Privatsphäre zu verletzen. Das massenhafte Auslesen von Verbindungsdaten in sogenannten Funkzellen ist dagegen viel zu ungenau und schafft riesige Datenschutzprobleme.

NEIN

Frank Spaeing, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)

Frau Merkel sagt, dass wir das Coronavirus besiegen können, ohne unsere freiheitlichen und demokratischen Prinzipien aufgeben zu müssen. Daran sollten sich alle orientieren, die angesichts des Rückgangs der Infektionszahlen im Polizeistaat China meinen, einer derartigen Gesundheitsherausforderung könne man nur mit autoritären Mitteln Herr werden. Das Gegenteil ist richtig: Die wirksamsten Mittel gegen eine Pandemie sind solche, die von den Menschen verstanden und freiwillig mitgetragen werden. Aktuell gibt es eine große Bereitschaft der Bürger, sich bewusst einzuschränken. Ob dies ausreicht, muss immer wieder neu geprüft werden; wenn nicht, kann und darf der Gesetzgeber rigider vorgehen; geeignet, erforderlich und verhältnismäßig muss es dennoch sein.

Digitale Technik kann einen Beitrag leisten, um Betroffenen zusätzlichen Schutz zu geben. Ob die Mobilfunkdaten der Telekom hilfreich sein werden, kann man bezweifeln. Sind diese, wie angegeben, aggregiert und damit anonym, haben wir kein Datenschutzproblem. Apps auf Mobilgeräten mit einer präzisen Lokalisierungsfunktion, etwa mit GPS, könnten die Nutzenden informieren, wann und wo sie sich in einem Risikogebiet aufhalten. Mit Bluetooth-Lösungen könnte gar eine Warnung von Gerät zu Gerät bei räumlicher Nähe ohne zentrale Datenzusammenführung erfolgen.

Wer wirksam die Quarantäne von Angesteckten zu Hause überwachen will, der kann sich mit Smartphone-Tracking nicht begnügen. Das kann man zu Hause lassen, wenn man sich – illegal außer Haus – mit Freunden trifft. Nötig wäre dann eine elektronische Fußfessel, die wir bisher nur für terroristische Gefährder und schwere Straftäter kennen. Südkorea hat gezeigt, dass man mit intensivem Testen die Ansteckungsraten stark senken kann. Eine medizinische Lösung der Corona-Krise bekommt unserer Demokratie mehr als eine polizeistaatliche. Zumal rechte politische Kräfte an einer solchen Lösung Gefallen finden würden – auch für die Zeit nach der Krise.

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll eine Zuckersteuer eingeführt werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.