Politik

16.05.2024

Sollte Deutschland ein Asylabkommen mit Drittstaaten schließen?

Die FDP befürwortet die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb Europas – nach dem Vorbild Großbritanniens. Dort hatte die Regierung vor Kurzem ein Abkommen mit der Regierung in Ruanda unterzeichnet. Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, erklärt, warum seine Partei dafür ist. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat nennt dagegen die Gründe, die aus seiner Sicht dagegen sprechen

JA

Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion

Die Eindämmung irregulärer Migration ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Die Zahlen unerlaubter Einreisen nach Deutschland sind nach wie vor zu hoch, Städte und Kommunen längst an der Belastungsgrenze. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir alle Register ziehen. Denn die Frage, ob es uns gelingt, Migration wirksam zu ordnen und zu steuern, ist nicht nur entscheidend für die Entlastung unseres Asylsystems, sondern auch dafür, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und populistischen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Koalition hat hier schon weitreichende Maßnahmen auf den Weg gebracht, zudem wird die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems langfristig Entlastung bringen.

Bei der Kontrolle von Migration müssen aber verschiedene Komponenten zusammenwirken. Deshalb muss jeder Vorschlag zur Begrenzung irregulärer Migration zügig und ergebnisoffen geprüft werden. Asylabkommen mit Drittstaaten können ein weiterer Beitrag sein. Denn wenn Asylbewerber Deutschland gar nicht erst erreichen, sondern Asylverfahren in einem Drittstaat außerhalb Europas durchgeführt werden, werden sich Menschen ohne Bleibeperspektive vielfach gar nicht erst auf den lebensgefährlichen Fluchtweg zu uns machen. Schleppern und Schleusern würde somit die Grundlage für ihr unmenschliches Geschäftsmodell entzogen.

Die Drittstaatenlösung erfolgreich durchzusetzen ist allerdings nicht einfach, es stellen sich viele rechtliche und praktische Fragen. Zunächst müssten Transitländer gefunden werden, die dazu bereit wären. Das kann nur gelingen, wenn sie im Gegenzug einen Vorteil erhalten, beispielsweise in Bezug auf wirtschaftliche Zusammenarbeit, Visafreiheit oder legale Arbeitsmigration. Zudem, das ist der entscheidende Punkt, müssen diese Länder Asylverfahren mit rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards garantieren können. Sollte sich durch sorgfältige Prüfung zeigen, dass sich ein Drittstaatenmodell für Deutschland rechtssicher und praktikabel umsetzen ließe, wäre das ein großer Erfolg und sollte zügig angegangen werden.

NEIN

Stephan Dünnwald, Bayerischer Flüchtlingsrat

Es gibt eine Reihe von Argumenten, die gegen eine „Ruanda-Lösung“ durch die Bundesrepublik sprechen:

1. Historisch: Die Genfer Flüchtlingskonvention und der Asylartikel im Grundgesetz sind Reaktionen auf den Umgang mit Geflüchteten während der Herrschaft des Nationalsozialismus in Europa. Asyl darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern es braucht Staaten und Gesellschaften, die Geflüchteten Schutz gewähren. Auch heute.

2. Das Verfahren: Aktuell sieht das Asylverfahren eine Anhörung und Entscheidung des Bundesamts vor, die von einem Verwaltungsgericht überprüft werden kann. Bei aller berechtigten Kritik am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Wer Schutz braucht, hat in Deutschland gute Chancen, Schutz zu bekommen. Wer soll so etwas in beispielsweise Ruanda prüfen?

3. Gesellschaftlich: Schutz für Geflüchtete ist immer von Diskussionen begleitet. Die Zivilgesellschaft und ihre Kritik wirken auf Politik und Gesellschaft, Schutzgewährung braucht die Debatte darüber, wer Schutz bekommen soll. Fällt dies weg, ist der Schutz bald nicht viel wert.

4. Europäisch: Wenn Deutschland sich vom Flüchtlingsschutz verabschieden würde, wäre dies ein fatales Signal an andere Staaten in Europa. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention: Deutschland würde, folgte man Großbritannien, das Gebäude der Grund- und Menschenrechte Europas erodieren lassen.

5. Praktisch: Wo wäre der Staat, der Asylsuchende aus Deutschland in großer Zahl aufnehmen würde (inklusive einer Million Geflüchteter aus der Ukraine)? Wie würde Deutschland sie dorthin transportieren? Und würde sich ein Staat nicht allein dadurch für Menschenrechtsschutz disqualifizieren, dass er sich von Deutschland kaufen ließe?

6. Die bange Frage: Wer wären die nächsten, die man „outsourcen“ würde? Rentner, Bürgergeldempfänger, Behinderte? Nein, Deutschland sollte unbedingt weiter Geflüchtete aufnehmen. 

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