Politik

Kleinkunstbühnen waren von Corona besonders betroffen. (Foto: dpa/ Büttner)

10.03.2023

Soloselbstständige in Not

Der Mindestlohn gilt nur für Angestellte – das schafft Ungerechtigkeiten und Frust

Für Angestellte im Niedriglohnsektor ist der Mindestlohn eine super Sache. Mit 12 Euro die Stunde lassen sich zwar keine Reichtümer anhäufen, aber der Lohn schafft eine gewisse Planbarkeit und Grundabsicherung. Genau das hätten viele Soloselbstständige auch gerne, die ihre Honorare selbst aushandeln müssen und dabei als Einzelkämpfer oft in einer schlechten Position sind. Deshalb gibt es die Idee der „Basishonorare“, eine Art „Mindestlohn für Selbstständige“, wie Oliver Pyka erklärt, bei der Gewerkschaft Verdi Vorsitzender der Landeskommission der Selbstständigen. Es gehe um soziale Absicherung und die Vermeidung des bei der Vergabe von Aufträgen heute nicht seltenen „Unterbietungswettbewerbs“.

Während der Corona-Lockdowns gehörten die Soloselbstständigen, vor allem die im Kulturbereich, zu denen mit den größten Existenzsorgen. Theater, Kleinbühnen oder Galerien waren die Einrichtungen, die am längsten geschlossen bleiben mussten. Inzwischen läuft der Betrieb wieder, aber wer damals „praktisch einem Berufsverbot ausgesetzt“ gewesen sei, habe auch heute noch zu „knapsen“, berichtet Pyka. Zwar hätten die Künstlerhilfen Bayerns meist gereicht, um über die Runden zu kommen, aber die auftragsfreien Zeiten hätten trotzdem Löcher in den Kassen von Kunstschaffenden, freiberuflichen Bühnentechniker*innen oder Kulissenmaler*innen hinterlassen. Besonders getroffen habe Corona freie Dozent*innen, die etwa vor versperrten Volkshochschulen gestanden und keine Künstlerhilfen bekommen hätten.

Für zunächst alle Selbstständigen im Bereich Kunst, Kultur und Bildung will Verdi nun ein am Gehaltstarifvertrag des öffentlichen Dienstes orientiertes Basishonorar durchsetzen, gestaffelt nach Qualifikation der Leistungsanbieter und Komplexität der Tätigkeit. Der Stundensatz würde sich demnach zwischen 36 und 66 Euro als jeweilige Untergrenze bewegen, bei längerfristigen Engagements käme ein monatliches Mindesthonorar zwischen 3750 und 6800 Euro brutto heraus.

Bei den Betroffenen ist die Stimmung schlecht – jetzt droht weiteres Ungemach

Zahlen sollen es alle Kultureinrichtungen in öffentlicher Hand, also etwa kommunale Theater oder Museen, sowie Kulturveranstalter, die für ihren Betrieb staatliche Zuschüsse erhalten.

Im bayerischen Kunstministerium hat man sich noch keine Meinung zum Basishonorar gebildet. Man stecke nach Corona bezüglich der Künstlerhonorare in einem „umfangreichen Diskussionsprozess“, dessen Ergebnissen man nicht vorgreifen wolle, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Derzeit existierten keine einheitlichen Vorgaben oder Richtwerte zur Höhe der Vergütung freischaffender Künstler*innen. Auch für den Bayerischen Städtetag ist der Verdi-Vorstoß Neuland. Man könne das Modell deshalb noch nicht bewerten, heißt es aus dem Verband. Der Bund der Selbständigen (BDS) sieht das Verdi-Modell skeptisch. Grundsätzlich befürworte man die bessere Bezahlung selbstständiger Kunstschaffender. Doch Eingriffe in Tarifautonomie und Vergaberecht sehe man kritisch, erklärt ein Verbandssprecher.

Immerhin scheint sich wenigstens die Lage der Selbstständigen nach Corona wieder einigermaßen stabilisiert zu haben. Nach Daten des Statistischen Landesamtes meldeten im vergangenen Jahr noch 2790 Selbstständige Insolvenz an, immerhin 14,1 Prozent weniger als 2021. Auch der Jimdo-ifo-Geschäftsklimaindex für Selbstständige hat sich im Februar deutlich erholt. „Immer mehr Selbstständige schöpfen Hoffnung für die kommenden Monate, auch die Unsicherheit nimmt ab“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen.

Bei den Soloselbstständigen ist die Stimmung noch nicht so gut. Laut einer aktuellen BDS-Umfrage bewerten bei diesen 17,2 Prozent ihre Geschäftslage als schlecht. Für die Mehrheit dieser „Solos“ (14 Prozent) ist die Lage gar existenzbedrohend. Als größte Probleme nennen die Selbstständigen in der BDS-Umfrage die gestiegenen Kosten und den damit verbundenen Preisdruck. Nur die wenigsten können die höheren Kosten voll an ihre Kundschaft weitergeben. Nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministeriums gab es 2021 insgesamt 644 000 Selbstständige in Bayern, gut die Hälfte davon arbeitete solo.

Ärger machen aktuell noch einige Corona-Nachwirkungen. Nach BDS-Angaben sehen sich rund 300 000 Selbstständige Rückforderungen von Hilfsgeldern durch den Staat gegenüber. Betroffen sind jene, die die Soforthilfen gleich nach ihrer Einführung im März 2020 im ersten Lockdown beantragt hatten. Sie waren davon ausgegangen, dass die Hilfen – wie damals angekündigt – rückzahlungsfrei auch zum Bestreiten des Lebensunterhalts verwendet werden durften. Eine Präzisierung erfuhren die Richtlinien erst am 1. April 2020, als klargestellt wurde, dass sie nur zur Deckung von Betriebskosten gedacht sind.

Seit Anfang des Jahres sehen sich die Betroffenen mit Rückzahlungsaufforderungen konfrontiert, sofern sie nicht nachweisen können, das Geld – es geht um maximal 4000 Euro – nur für Betriebsausgaben eingesetzt zu haben. Vor allem für Soloselbstständige, die oft von der Hand in den Mund leben, ist das ein Schock, der sie erneut vor existenzielle Fragen stellt. In Chatforen sind die Aufregung und der Frust groß. Erwogen werden Sammelklagen oder Petitionen an Land- und Bundestag. „Die Frage der Rückforderung treibt uns momentan um“, erklärt Verdi-Sprecher Pyka. Derzeit prüfe man, ob juristisch gegen die Mahnschreiben vorgegangen werden könne oder ob es andere Lösungsmöglichkeiten gebe. (Jürgen Umlauft)
 

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