Politik

31.08.2018

Sozialwohnungen: Ein neues System muss her

Ein Kommentar von André Paul

In den Münchner Nobelvierteln Schwabing und Haidhausen ist man sich mit Hinweisen gern behilflich, wie auch ein Arzt, Anwalt oder Architekt günstig in einer Sozialwohnung leben kann. Bedingung: eine Oma oder ein Opa, die dort vor 50 Jahren als bedürftig eingezogen sind – und die noch da leben. Wenn nun der studierende Enkelsohn einige Zeit vor dem Examen dort den formalen Erstwohnsitz anmeldet, ist die Sache geklärt. Nach dem Ableben der Großeltern ist der Jung-Akademiker bereits langjähriger Mieter und bleibt einfach weiterhin dort wohnen – auch mit einem sechsstelligen Jahresgehalt.

Es sind Fälle wie diese, die kürzlich der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums kritisierte und deshalb empfahl, den sozialen Wohnungsbau deutlich zurückzufahren. Wer einmal in einer Sozialwohnung wohne, werde diese „auch dann nicht mehr verlassen, wenn er die Förderkriterien wegen eines höheren Einkommens nicht mehr erfüllt“. Alternativvorschlag: Das Wohngeld – gegen regelmäßige Einkommensnachweise – erhöhen. Ein Shitstorm ging daraufhin auf den Expertenrat nieder.

Mietzuschüsse sind besser. Außerdem sollten in Zukunft regelmäßig Einkommensnachweise vorgelegt werden

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD), die sich derzeit Stellungnahmen zu wirklich jedem Thema vorbehält, geißelte den Vorschlag als „unverantwortlich“. Dass der Beirat obendrein der SPD-Mietpreisbremse die Schuld daran gab, dass der Neubau von günstigen Wohnungen für private Investoren immer unattraktiver wird, stimmte Barley noch grantiger. Auch die CDU distanzierte sich von dem Expertenrat.

Leider. Denn das vorgeschlagene Modell ist durchaus sinnvoll. Es würde auch helfen, dass dringend benötigte Fachkräfte in die Metropolen ziehen könnten. Noch einmal das Beispiel München: Von den 43 000 städtischen Sozialwohnungen stehen derzeit jährlich nur rund acht Prozent für eine Neubelegung zur Verfügung. Der Zuschlag erfolgt meist nach dem Unterbietungswettbewerb. Das heißt, dass zum Beispiel von Hartz-IV lebende Familien bessere Chancen haben als berufstätige Durchschnittsverdiener wie Busfahrer oder Altenpfleger, die sich die teuren Mieten in München nicht leisten können. Tatsächlich spricht nichts gegen die Idee, künftig verstärkt auf Mietzuschüsse für alle Bedürftigen zu setzen und diese an die Vorlage regelmäßiger Einkommensnachweise zu knüpfen.

Kommentare (2)

  1. Irishgirl am 25.11.2019
    In der Tat, ein neues System muss her.
    Die ewige Betrügerei mit gefördertem Wohnraum ist unerträglich geworden.
    Das Volk plagt sich mit Porsche, BMW oder Mercedes in Sozialsiedlungen, die einfach irgendwo Parken weil ein Strafzettel nicht mal tangierend wirkt.
    Die den deutschen Staat betrügen, der sich großzügig betrügen lässt, müssen minimiert werden sonst degenerieren wir zu Menschenfressern.
    Ihr lasst uns vergammeln --- wir wählen anders.
    So einfach ist das.
  2. Bürger B am 02.09.2018
    Kommentar von André Paul in der BSZ vom 31.08.18

    Im Grundsatz werden viele dem Kommentar von André Paul zustimmen, und Lob gebührt ihm dafür, auf zunehmend drängende Probleme hinzuweisen. Allerdings tritt die geschilderte Sonderrechtsnachfolge nur in den selten gewordenen Fällen ein, in denen der allein verbliebene Eltern- oder Großelternteil noch bis zum Tod Inhaber/in der Wohnung ist. Meist werden alte Menschen ja heutzutage ihre letzten Jahre oder Monate im Pflegeheim verbringen (müssen). Außerdem sind noch zwei Aspekte zu bedenken: das von Herrn Paul gewünschte Wohngeld, also eine einkommensbezogene Abgabe nicht an den Vermieter, sondern an den Freistaat, gab es bereits in Gestalt der Fehlbelegungsabgabe. Diese wurde aber aus Gleichbehandlungsgründen abgeschafft, nachdem in Umlandgemeinden von München die Verwaltungskosten für die Erhebung dieser Abgabe so gestiegen sind (oder so hochgerechnet wurden), dass sich dort die Erhebung der Abgabe nicht mehr gelohnt hat und es dann als ungerecht erschien, nur noch ausgerechnet in der Stadt mit den ohnehin auch höchsten Sozialmieten Fehlbelegungsabgabe zu kassieren. Auch aus Gründen der Verwaltungsökonomie wird jetzt mit der EOZF (einkommensorientierten Zusatzförderung) der umgekehrte Weg beschritten: grundsätzlich wird auch in Sozialwohnungen eine mehr an den Herstellungskosten orientierte Miete verlangt, diese aber – nur auf Antrag und nach Einkommensprüfung – durch einen auf jeweils drei Jahre festzusetzenden Mietzuschuss für Bedürftige abgesenkt. Außerdem hat sich in den letzten Jahrzehnten die Bewohnerschaft geförderter Wohnungen gravierend verändert. Hinsichtlich gemäßigter Überschreitungen der Einkommensgrenze der ja weiterhin wohnberechtigten Mieter geförderter Wohnungen hat sich daher selbst in der Verwaltung eine gewisse Duldsamkeit entwickelt, weil auch gesehen wird, dass strebsame Haushalte positive Anreize für die übrige Mieterschaft vermitteln. Zur Orientierung: Alleinstehende sind bei der in 2018 erhöhten Einkommensgrenze von jetzt 14.000.- € pro Jahr (also Einkommensstufe EOF I) und einem Einstiegsgehalt für den mittleren Dienst als Beamter (ohne privaten Vertrag zur Altersversorgung) bereits ab Beginn ihrer Tätigkeit nach der Ausbildung dann mit 20.050 € Jahresbrutto/bereinigt 15.240.- € um 8,86% über der (neuesten!) Einkommensgrenze und müssen sich dann um eine der noch seltenen Dienstwohnungen mit höherer Einkommensgrenze oder um eine freifinanzierte Wohnung bemühen. Die Wohnungen in EOF II oder EOF III mit jeweils höheren Einkommensgrenzen werden nur in geringerer Anzahl gebaut und sind noch seltener zu bekommen – und nebenbei auch teurer als die in EOF I und EOF II. Wenn sie dabei ihren auswärtigen Herkunfts-Hauptwohnsitz nicht aufgeben, bezahlen sie in München auch noch Zweitwohnungssteuer – und schon ist ein wesentlicher Grund für den Bewerbermangel auch im öffentlichen Dienst in München erklärt.
    Praktisch alle westlichen Regierungen sind der Ideologie verfallen, unsere totalitäre Marktwirtschaft würde alle Probleme lösen. Davon abgesehen, dass sie selbst genügend neue Probleme schafft, zahlen Firmen in Ballungsräumen der breiten Masse ihrer Mitarbeiter weder ausreichend hohe Löhne, um sich am Markt mit angemessenem Wohnraum zu versorgen, noch bauen sie eigene, für ihre Belegschaft bezahlbare Wohnungen. Selbst ein schriftlicher Aufruf des Herrn Oberbürgermeisters hat sie in München nicht von der Sinnhaftigkeit des Werkswohnungsneubaus überzeugt. Es sollte nicht überraschen, wenn dann zu wenig Fachkräfte nach diesen (relativ) unterbezahlten Stellen in den Ballungszentren suchen, was wiederum Firmen vorrangig dazu veranlasst, Qualifikationsstandards abzusenken, um durch noch niedrigere Löhne Renditen der Anteilseigner zu sichern – und nach dem Ausbau des MVV (auf Steuerzahlerkosten!) in noch entfernter gelegene Regionen zu rufen. Wie aber sieht es mit den Milliarden Euro jährlich an Umsatzsteuereinnahmen aus dem (forcierten) Bau von „Sozialwohnungen“ aus, mit Grunderwerbssteuer, mit Lohnsteuern aus dem Bau von Sozialwohnungen? Trotz sprudelnder Steuereinnahmen hat noch keine Bundes- oder Landesregierung hierauf verzichtet oder diese Einnahmen in zusätzliche Wohnungsbauförderung eingebracht. Nur weil genügend und „die Richtigen“ daran verdienen, lässt sich bei den drei derzeit entscheidenden Fraktionen mehr Wohnungsbau (als Absicht, nicht als Realität) vergleichsweise leicht durchsetzen. Seit Jahrzehnten vernachlässigt wurden die Erhöhung der Eigentümerquote (da soll ja Spanien und Italien vor der BRD liegen!), Genossenschaftswesen, Wohnungsgemeinnützigkeit, Konversion ehemals militärisch genutzter Flächen in Ballungsräumen und einige zentrale Punkte mehr. Vor allem: wie können es reihenweise Bundesregierungen vertreten, weiterhin die inzwischen als verfehlt erwiesene Entscheidung, Grundeigentum völlig dem „freien“ Markt (also auch Spekulanten) zu überlassen, praktisch diskussionslos fortzuführen? Auch an diesem Thema erweisen sich die derzeitigen Umfrageergebnisse zur abstürzenden Unterstützung insbesondere der bisher großen politischen Parteien als durchaus schlüssig.

    Mit freundlichen Grüßen

    Manfred Bauer
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.