Politik

Rainer Hank lässt in seinem Buch "Die Pionierinnen. Wie Journalistinnen nach 1945 unseren Blick auf die Welt veränderten" einige Journalistinnen der Nachkriegszeit hochleben. (Foto: BSZ)

26.01.2024

Starke Frauen

Pionierinnen im Nachkriegsjournalismus: Rainer Hank versucht eine Ehrenrettung mit 13 Porträts

Julia Nusseck hatte keine journalistische Ausbildung oder Erfahrung, als sie nach dem Krieg als freie Mitarbeiterin beim Nordwestdeutschen Rundfunk begann. Dafür hatte sie eine Promotion in Wirtschaftswissenschaften. 1946 wurde sie Redakteurin, bereits ein Jahr später leitete sie die Wirtschaftsredaktion des späteren NDR. Der Chefredakteur hatte seine SS-Mitgliedschaft verschwiegen und wurde gefeuert. Ihr Chef trat an seine Stelle und sie „rückte einfach nach“, wie sie sagte. Mit 26 Jahren. 

So schildert es Rainer Hank, Jahrgang 1953. Er lernte mehrere dieser „starken Journalistinnen“, wie er sie nennt, kennen. Hank arbeitete als Wirtschaftsredakteur bei der FAZ, beim Tagesspiegel in Berlin und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er schildert in Die Pionierinnen, wie 13 Frauen „unseren Blick auf die Welt veränderten“. 

Julia Nusseck habe sich gegen zahlreiche Kritiker*innen für die Marktwirtschaft und die Eingliederung Deutschlands in die Weltwirtschaft eingesetzt. Sie habe gern im Internationalen Frühschoppen kommentiert; Talkshows gab es damals nicht. 1973 wurde sie Chefredakteurin des WDR, 1976 Präsidentin der niedersächsischen Landeszentralbank.

Die Welt verändert? Hank versucht es beispielhaft zu belegen. Die 1918 geborene Helene Rahms begann nach 1945 bei der Hannoverschen Zeitung, ab 1954 schrieb sie für die FAZ. Frauen durften über Familienpolitik berichten, und Rahms nutzte das auf ihre Art. Das Grundgesetz versprach Gleichberechtigung. Aber im Alltag musste sie erst mühsam erkämpft werden. Es dauerte zehn Jahre, bis 1957 der Paragraf gekippt wurde, wonach Männer das letzte Wort in der Kindererziehung hatten.

Rahms hatte immer wieder darüber geschrieben und dem Bundesverfassungsgericht entscheidende Argumente geliefert. Ob um Scheidungsrecht, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um rückständige Ausbildung von Krankenschwestern, Rahms hat nach eigenen Worten beharrlich dafür oder dagegen gekämpft – gegen konservative Kollegen und ihr Publikum. Helene Rahms sei nur gegen den Widerstand der Herausgeber in die Redaktion aufgenommen worden. Das herrschende Vorurteil, so Rahms, lautete: „Frauen verwirren, beunruhigen, sind nicht sachlich, stiften Eifersucht.“ 

Manche sind längst vergessen

Wer ist noch porträtiert? Neben Helene Rahms, Clara Menck, Hilde Spiel, Margret Boveri, Elisabeth Noelle-Neumann, Inge Deutschkron, Maria Frisé, Sybil Gräfin Schönfeldt, Christa Meves und Alice Schwarzer natürlich Marion Gräfin Dönhoff, die über Jahrzehnte die Zeit prägte als Chefredakteurin und Herausgeberin. Während allein über Dönhoff fünf Biografien vorliegen, sind andere vergessen. Dabei war Margret Boveri in den 50er- und 60er-Jahren ebenso populär. Als sie 1975 starb, war sie eine Berühmtheit, und das seit mindestens 40 Jahren. 

Inge Deutschkron wurde durch ihr Buch Ich trug den gelben Stern bekannt; weniger bekannt ist, dass sie 30 Jahre als Journalistin in Deutschland und Israel arbeitete. Sie begann ohne Ausbildung und berichtete 1962 bis 1965 als Korrespondentin für die israelische Zeitung Ma’ariv aus Sicht der Opfer vom Auschwitz-Prozess. Hilde Spiel ging nach der Ermordung ihres Professors als 25-jährige Jüdin 1936 aus Wien nach London und kehrte als Kriegskorrespondentin der britischen Armee für den New Statesman zurück. Ihre Erfahrungen veröffentlichte sie im Buch Rückkehr nach Wien. Maria Frisé war Hanks Mentorin in der FAZ, die er bis zu ihrem Tod 2022 regelmäßig besuchte. Sie leitete die legendäre Tiefdruck-Beilage „Bilder und Zeiten“. 

Was haben (fast) alle porträtierten Frauen gemein? Hank betont: „Sie lebten einen Feminismus, ohne sich als Feministin zu bezeichnen.“ Sie legten Wert darauf, dass sie als Journalisten bezeichnet wurden. Gendern hätten sie als Herabsetzung empfunden. Sie wollten Gleichberechtigung, nicht Gleichstellung. Ihr Feindbild seien nicht Männer, sondern Gattinnen gewesen. Frauen, die sich aushalten ließen und wenig zu gehobenen intellektuellen Konversation beisteuern konnten. 

Natürlich ist Hanks Auswahl nicht vollständig oder repräsentativ, wie er selbst zugibt. Es ist mehr FAZ als SZ, ZEIT, Spiegel oder ARD/ZDF. Ursula von Kardorff, Ulrike Meinhof, Anneliese Friedmann, Gabriele Venzky, Marie-Luise Scherer, Franca Magnani und andere fehlen oder sind nur kurz erwähnt. 

Was motivierte Hank zu diesem Buch? Eine „junge germanistische Forscherin und Feministin“ habe behauptet, es habe im deutschen Nachkriegsjournalismus „nur zwei, drei Frauen gegeben, die schreiben“. Heutige Journalistinnen könnten in den 50er- und 60er-Jahren keine Vorbilder finden, bedauerte sie. Hank will zeigen, dass das so nicht stimmt. Er beabsichtigt nach eigenen Worten eine „Ehrenrettung“ mit diesem Buch. Das ist ihm gelungen. (Thomas Schuler)

Rainer Hank, Die Pionierinnen. Wie Journalistinnen nach 1945 unseren Blick auf die Welt veränderten, Penguin, München, 28 Euro.
 

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