Der Umgang mit Handys an Schulen polarisiert – bereits in der Grundschule. „Viele haben schon in der ersten Klasse das neueste iPhone“, klagt eine Mutter im Gespräch mit der Staatszeitung vor einer Grundschule in der Münchner Innenstadt. Dadurch würden die Kinder auf dem Schulhof ständig nur aufs Smartphone starren, statt miteinander zu spielen. Sie spricht sich für ein Verbot während der Schulzeit aus. Ein Vater widerspricht. Seine Tochter habe nur ein Handy ohne Internetanschluss. „Das soll sie für Notfälle immer griffbereit haben dürfen.“
65 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren besitzen in Deutschland laut Digitalverband Bitkom ein Smartphone. Der Umgang damit war auch Thema der jüngsten Bildungsministerkonferenz, die bis vor Kurzem noch Kultusministerkonferenz hieß. Die frühere bayerische Landtagsabgeordnete und heutige Kultusministerin in Baden-Württemberg, Theresa Schopper (Grüne), will die private Nutzung von Handys an Schulen wegen eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit, psychischer Gesundheit und Cybermobbing einschränken. Hessen plant sogar ein generelles Handyverbot an Schulen.
Beide Bundesländer berufen sich auf die Erfahrungen in anderen Ländern wie Frankreich oder England, wo bereits Verbote eingeführt wurden. Tatsächlich zeigt eine aktuelle Studie der Universität Augsburg, dass Handyverbote das soziale Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler verbessern und in geringem Maße auch die Lernleistungen positiv beeinflussen. Das Verbot müsse laut den Studienautoren Tobias Böttger und Klaus Zierer aber mit der Schülerschaft besprochen und pädagogisch begleitet werden.
Erziehungswissenschaftler Zierer ist einer von 75 Fachleuten, die die neue Bundesregierung „eindringlich“ davor warnen, im Bildungssystem weiterhin auf Technologie zu setzen. „Die Digitalisierung macht unsere Kinder dümmer“, heißt es in dem Appell. Allein letztes Jahr hätten 24 Länder in Europa und Nordamerika Smartphoneverbote erlassen. „Doch die Ampel-Regierung beschloss Ende 2024 einen neuen Digitalpakt Schule und dachte sogar über einen Digitalpakt für Kitas nach.“
Lehrkräfte als Handypolizei
Die Bundesregierung hat jedoch rechtlich gar keine Möglichkeit, bundeseinheitliche Standards festzulegen, denn Bildung ist Ländersache. In Bayern gilt nach der Entscheidung des damaligen Kultusministers, Michael Piazolo (Freie Wähler), grundsätzlich ein Handyverbot. Jede Schule kann aber seit 2022 selbst entscheiden, wie sie das umsetzt. Das Kultusministerium stellt lediglich Infos bereit, die der Schulfamilie bei der Entscheidungsfindung helfen sollen.
In einer Umfrage des Bayerischen Philologenverbands (BPV) gaben 24 Prozent der Gymnasien und beruflichen Oberschulen an, dass die private Handynutzung an ihrer Schule komplett verboten ist – eine Steigerung von 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In 76 Prozent der Fälle sei sie mit Einschränkungen erlaubt. „Der Trend geht ganz klar hin zu einer Verschärfung der schuleigenen oder der Einführung von bayernweit einheitlichen Regelungen“, sagt BPV-Chef Michael Schwägerl. Der Bayerische Elternverband (BEV) fordert sogar, die private Handynutzung mit dem Konsum alkoholischer Getränke sowie von Rauschmitteln gleichzustellen. „Lernen wird ineffektiver und Ressourcen der Lehrkräfte werden als ‚Handypolizei‘ gebunden“, klagt BEV-Landesvorsitzender Martin Löwe. Seine Lösung: Handygaragen oder Handytaschen. Damit könnten Geräte aus dem Unterricht verbannt, Eltern im Notfall dennoch kontaktiert werden.
Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) hält eine Anpassung der schulischen Smartphonegesetze für unnötig. Die bestehenden Regelungen seien im bundesweiten Vergleich bereits besonders streng. Auch Bayerns Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) hält Verbote für keine gute Lösung. „Digitalisierung geht nämlich nicht mehr weg“, sagt er der Staatszeitung. Bayerns Schülerinnen und Schüler müssten im Zeitalter von KI lernen, mit digitalen Technologien umzugehen. Die erweiterte Realität werde bereits im Unterricht eingesetzt. „Jetzt gilt es, diesen Innovationsgeist auch auf Smartphones zu übertragen“, betont er.
Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann, ist ebenfalls gegen ein pauschales Handyverbot. „Wir und die Kinder müssen damit umgehen lernen.“ Das sei Medienbildung und die Pädagoginnen und Pädagogen an den Schulen hätten gelernt, dafür den richtigen Rahmen zu setzen. Ähnlich argumentiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ohne Medienbildung würde die Schülerschaft beim Umgang mit Cybermobbing, Hatespeech, Fake News und Deepfakes alleingelassen.
Die Bundesschülerkonferenz ergänzt, dass mangels digitaler Endgeräte an Schulen häufig auf das Privathandy zurückgegriffen werden müsse. „Ein generelles Smartphoneverbot würde Schüler*innen eben gerade dort ausbremsen, wo sie ohnehin schon mit unzureichenden Ressourcen zu kämpfen haben“, also besonders arme Schulkinder treffen.
Im Bayerischen Landtag ist der Umgang mit Smartphones an Schulen ebenfalls umstritten. Ein Handyverbot greife zu kurz und sei in der Praxis nur schwer umsetzbar, sagt Benjamin Adjei von den Grünen. „Von Lehrkräften zu verlangen, nach versteckten Zweithandys zu suchen, ist unrealistisch und belastet den Unterrichtsalltag zusätzlich.“ Statt Verboten sollte das Ministerium ein medienpädagogisches Gesamtkonzept vorlegen und Lehrkräfte fortbilden.
Die SPD-Fraktion tut sich schwer mit einer eindeutigen Antwort. „Die Frage nach dem Handyverbot an Schulen gleicht der Suche nach dem perfekten Kuchenrezept“, sagt Nicole Bäumler. Grundsätzlich halte sie ein Verbot aber nur für ein „Pflaster“ für ein komplexes Problem. Die Entscheidung sollte daher weiterhin bei den Schulen liegen.
Die AfD-Fraktion ist für ein Handyverbot. „Leider wird das an manchen Schulen durch schulinterne Bestimmungen aber umgangen“, kritisiert Oskar Atzinger.
Was Politik und Schulen bei der Frage ums Handyverbot bisher kurioserweise vergessen: dass Schülerinnen und Schüler inzwischen zunehmend eine Smartwatch tragen, die fast genauso viel kann. (David Lohmann)
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