Politik

Nur ein kleiner Pieks? Die Erregung in der Impfpflichtdebatte, die Söder angezettelt hat, ist jedenfalls groß. (Foto: dpa/Robert Michael)

15.01.2021

Strittige Zwangsbeglückung

Bayern diskutiert über eine Corona-Impfpflicht – welche Impfpflichten gibt es eigentlich jetzt schon?

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat gerade viel Kritik einstecken müssen. Über eine Impfpflicht ausgerechnet für jene zu diskutieren, die gerade einen besonders harten, traurigen Job machen – das rührt an ein Tabu, weshalb Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich beeilte, das Versprechen zu wiederholen: Eine Impfpflicht werde es nicht geben.

So vehement die Impfpflicht derzeit abgelehnt wird, gänzlich absurd ist der Gedanke nicht. Schließlich wurde im vergangenen März das Masernschutzgesetz verabschiedet. Alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, die Kita oder Schule besuchen, müssen seither eine Masernimpfung vorweisen. Auch Erzieher, Lehrer und medizinisches Personal, die nach 1970 geboren wurden, sind zur Impfung verpflichtet. Außerdem Mitarbeiter*innen in Jugendarrestanstalten und Abschiebehafteinrichtungen sowie Asylbewerber und Flüchtlinge.

Das Gesundheitsamt kann nichtgeimpftem Personal dort verbieten, zu arbeiten. Nichtgeimpfte Kinder können vom Besuch der Kita ausgeschlossen werden. Und Eltern, die ihre in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder nicht impfen lassen, begehen eine Ordnungswidrigkeit und müssen mit einer Geldbuße bis zu 2500 Euro rechnen. Vom Grundgesetz ist das Gesetz gedeckt. Bei besonders ansteckenden Krankheiten, die Leben und Gesundheit anderer Menschen schwer gefährden, hält es eine Impfpflicht für zulässig.

Die Umsetzung wirft allerdings Probleme auf: Wie Dominik Ewald, Landesvorsitzender des Berufsverbands für Kinder- und Jugendärzte in Bayern, erklärt, ist in der EU kein Einzelimpfstoff gegen Masern zugelassen. Erhältlich sei nur ein Vakzin, das in Indien produziert werde, seit den Achtzigerjahren nicht weiterentwickelt worden sei und nicht den heutigen Standards entspreche. „Eltern, die ihre Kinder nur gegen Masern impfen wollen, können guten Gewissens keinen Einzelimpfstoff in Deutschland bekommen“, so Ewald. Wer seiner Impfpflicht nachkommen will, wird via Drei- oder Vierfachimpfstoff faktisch gezwungen, gegen Mumps, Röteln und Windpocken mitzuimpfen.

Söders Vergleich mit der Masernpflichtimpfung hinkt

Der von Söder angestrengte Vergleich von Masern mit Corona hinkt jedoch aus einem anderen Grund: Masernimpfstoffe sind, anders als die Vakzine gegen Corona, bereits seit vielen Jahrzehnten erprobt und erforscht. Bei Covid-19 dagegen fehlen Erfahrungen. Eine Impfung verpflichtend vorzuschreiben, wäre vor diesem Hintergrund mehr als heikel. Und es verwundert nicht, dass sich laut Umfragen ausgerechnet das medizinische Personal lieber weit hinten in die Impfschlange einreihen will. Um wie beim Bocksprung im Schulsport aus sicherer Distanz zu beobachten, welche Pannen sich vorn wohl ereignen.

Möglich, dass die Impfpflicht für Corona trotzdem rasch kommt – nicht für die Zivilbevölkerung, aber für Soldaten: Bei der Bundeswehr sind Impfungen ohnehin Alltag, die Impfpflicht ergibt sich aus dem Soldatengesetz. Derzeit laufe die Prüfung einer Impfpflicht gegen Sars-CoV2, erklärt Thomas Sauer vom Landeskommando Bayern: „Durch die besonderen Bedingungen des engen Zusammenlebens in den Einsätzen und auch in Gemeinschaftsunterkünften in Deutschland sind Soldatinnen und Soldaten per se einem relativ höheren Infektionsrisiko ausgesetzt als andere Bevölkerungsgruppen.“

Aber auch jenseits der Kasernen ist es üblich, Angehörige von Berufsgruppen, deren Infektionsrisiko erhöht ist, zur Impfung anzuhalten. Dies geschieht im Rahmen arbeitsmedizinischer Schutzmaßnahmen, die zwar nicht verpflichtend sind, aber zur Vorsorge angeboten werden. Prävention von Infektionskrankheiten gehört nun mal zur Fürsorgepflicht.

So bestehen viele Kläranlagenbetreiber darauf, dass für ihre Mitarbeitenden eine Impfschutz gegen Hepatitis A vorliegt. Feuerwehrleute sollten, weil sie mit infiziertem Blut in Kontakt kommen könnten, gegen Hepatitis B geimpft sein, so Johann Eitzenberger, Vorsitzender des Landesfeuerwehrverbands Bayern.

Auch bei Pflegenden wird die Hepatitis-B-Impfung „in der Regel von Arbeitgebern vorausgesetzt“, so Anke Röver von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB). Mitunter sind die Arbeitgeber in dieser Sache auch recht kreativ: Eine medizinische Einrichtung in München hat vor einiger Zeit begonnen, die Mitarbeiter auf eine Grippeimpfung zu verpflichten. Wer dazu nicht bereit war, musste schon vor Corona eine Maske tragen – allerdings nur dann, wenn ein Influenzafall im Haus bekannt geworden war.

Der Verband VdPB, der eine Impfpflicht für Pflegende strikt ablehnt, sieht arbeitsrechtliche Konsequenzen für Pflegende, die sich nicht impfen lassen, kritisch, gibt sich an dieser Stelle aber vor allem pragmatisch. „Ehrlich gesagt“, so Anke Röver, „bei dem bekannten Personalmangel wird man sich das auch gar nicht leisten können.“

Eine gute Idee Söders dürfte es sein, den Deutschen Ethikrat mit der ganzen Frage zu betrauen. Der hatte bereits im Juni 2019 betont, es sei „keine reine Privatangelegenheit, ob man sich gegen eine hochansteckende Infektionskrankheit wie Masern impfen lässt.“ Aus dieser moralischen Pflicht sei zwar keine Verpflichtung ablesbar, aber prüfen müsse man, „ob und für wen eine solche Rechtspflicht geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.“

Dass eine Impfpflicht nicht per se des Teufels ist, zeigt ein kurzer Blick in die Geschichte. Ohne sie wäre es wohl niemals gelungen, eine der größten Geißeln der Menschheit auszurotten: die Pocken. Wer die Pockenimpfpflicht zuallererst einführte? Das Königreich Bayern. Das war 1807. Erst 1874 zog das gerade gegründete Deutsche Reich mit einem Reichsimpfgesetz nach. Der damals gerade grassierenden Epidemie waren zu diesem Zeitpunkt Hunderttausende zum Opfer gefallen .
(Monika Goetsch)

Kommentare (1)

  1. Mieter am 15.01.2021
    Schön, dass das Thema so ausführlich diskutiert wird. In Wirklichkeit interessiert Söder die Impfpflicht überhaupt nicht. Er betreibt Wahlkampf. Er lässt einen Ballon steigen, die Bundesregierung und die Presse springen darauf an und Söder ist für ein, zwei Wochen in den Schlagzeilen.
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