Politik

In Ostdeutschland ist die Jugendweihe weiter verbreitet. Doch mittlerweile schätzen auch bayerische Jugendliche diesen Initiationsritus. (Foto: dpa/Jens Büttner)

14.07.2023

Symbolik ohne Kirche

Auch in Bayern wird die Jugendweihe beliebter – doch zahlenmäßig ist sie keine Konkurrenz zu Firmung und Konfirmation

Am Wochenende stand Johanna Körber, 13, vor Hunderten von Leuten auf der Bühne. Sie präsentierte ein Motto von Michael Jackson. „Heal the world, make it a better place.“ „Heile die Welt, mach sie zu einem besseren Ort.“ Angst hatte sie schon, vor so vielen Menschen darüber zu sprechen, was ihr im Leben wichtig ist. Aber dann war doch alles gut. „Ich fand das eine sehr, sehr schöne Sache!“, sagt sie. Insgesamt 54 Jugendliche haben am Samstag in Nürnberg die Jugendfeier der Humanistischen Vereinigung begangen. 132 Kinder zwischen 13 und 15 Jahren reisten Mitte Mai nach Eching zur Jugendweihe an.

Ähnlich wie Konfirmation und Firmung zielen Jugendweihe und Jugendfeier darauf ab, junge Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden zu begleiten. Zum Vergleich: Hierzulande wurden im vergangenen Jahr 16 726 Jugendliche konfirmiert und über 38 000 gefirmt. Der kleinere Anbieter ist die Humanistische Vereinigung mit Sitz in Nürnberg, die auch Namensfeiern für Neugeborene und Hochzeitsfeiern durchführt, der größere eine Elterninitiative im Raum München, die in den zehn Jahren ihres Bestehens insgesamt 750 Jugendliche begleitet hat. Beide vertreten weltliche, humanistische Werte und sehen sich in einer freiheitlichen Tradition verwurzelt, die Mitte des 19. Jahrhunderts begann.

Seit 1955 allerdings war die Jugendweihe ein Instrument der DDR, junge Leute auf den sozialistischen Staat einzuschwören. Von Freiheit und Freiwilligkeit konnte in diesen Jahren keine Rede sein. Um sich von der DDR-Tradition zu distanzieren, verwendet die Humanistische Vereinigung den Begriff Jugendfeier, nicht Jugendweihe. Die Elterninitiative aus dem Raum München dagegen tritt als Regionalgruppe des Bundesverbands Jugendweihe Deutschland auf.

Die SPD-Landtagsabgeordnete Diana Stachowitz, immerhin kirchenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, hat bereits sechs Mal die Festrede zur Jugendweihe gehalten. Sie findet es richtig, Alternativen zu den konfessionellen Riten anzubieten. „Es gibt kein Besser oder Schlechter“, sagt sie.

Eine Alternative für Konfessionslose

Zumal das Vertrauen in die Kirchen dramatisch zurückgeht: 2021 traten über 100 000 Katholiken in Bayern aus der Kirche aus. 2022 waren es 153 586. Auch die evangelische Kirche in Bayern hat einen Negativrekord zu verbuchen: 2022 kehrten ihr fast 49 000 Menschen den Rücken. Ein Jahr zuvor waren es noch 36 580. Umso attraktiver sind Angebote, den Übertritt ins Erwachsensein fernab der Kirchen zu feiern – werteorientiert, aber auch lebensnah.

In der Vorbereitung ihrer Jugendfeier hat Johanna einen Obdachlosen durch die Stadt begleitet und eine mehrtägige Berlinfahrt gemacht. „Das war überwältigend für mich“, sagt die 13-Jährige. Ein Hochseilgartenbesuch, ein Graffitiworkshop, die Produktion einer Radiosendung, die Führung über das Reichsparteitagsgelände: Auch das war möglich. Ihre Freundin, die gerade konfirmiert wurde, habe über das umfangreiche Programm der Humanistischen Vereinigung gestaunt.

Auch das freiwillige Programm zur Vorbereitung der Jugendweihe wird gut genutzt, wie die Organisatorin vor Ort, Sybille Lampenscherf, erklärt. Hier geht es um Geschichte und Politik und Medienkompetenz, ein Zeltlager gehört dazu, ein Besuch im Maximilianeum, ein Knigge-, aber auch ein Cocktail- und Kosmetikkurs, Graffiti und eine Abschlussfahrt nach Paris.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen seien „buntest gemischt“, natürlich würden auch katholische und evangelische Freunde und Freundinnen als Gäste zur Festveranstaltung eingeladen. Als Konkurrenz zu den Kirchen will man sich hier ausdrücklich nicht verstehen.

Die Kirchen sind entspannt

Die geben sich auf Anfrage ohnehin gelassen. „Inhaltlich unterscheidet sich die Jugendweihe natürlich stark von der Firmung, da ein Sakrament nicht ohne Kontext zur Gemeinschaft der Kirche und ihrem gelebten Glauben gefeiert werden kann“, so eine Sprecherin des Erzbischöflichen Ordinariats München. „Unabhängig davon ist nachvollziehbar, dass Jugendliche und ihre Familien ohne Glaubensbezug an biografisch bedeutsamer Stelle eine Feier möchten.“

Ein Sprecher der evangelischen Kirche erklärt: „Konfirmation, Jugendweihe und vergleichbare Jugendfeiern schließen einander nicht aus. Kirchliches Handeln kann an andere Jugendfeiern anknüpfen, sofern die christliche Botschaft nicht infrage gestellt wird.“

Stachowitz ist da enthusiastischer: „Ich finde schön, dass man Jugendliche auffängt, ihnen demokratische Lebenswerte und ein Gefühl von Gemeinschaft nahe bringt“, sagt sie. „Insbesondere in der heutigen Gesellschaft brauchen Eltern eine Stütze. Wir wissen ja, in welcher Gefahrenlage die Demokratie steckt. Und dass es wenige Orte gibt, an denen einem Haltung beigebracht wird.“ Und vielleicht seien die jugendnahen Angebote der Humanisten und Humanistinnen ja auch ein Ansporn für die Kirchen?

Johanna Körber jedenfalls ist ausgesprochen glücklich mit dem halben Jahr, das hinter ihr liegt. „Ich würde es noch mal machen!“, sagt die Nürnberger Gymnasiastin. Und freut sich schon auf die beiden Nachtreffen mit ihrer Jugendfeiergruppe. (Monika Goetsch)
 

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