Nachmittags lassen sich Kinder und Jugendliche von smarten Youtubern Dinge erklären, die sie im Unterricht nicht begriffen haben. Nutzen den Klassenchat, um rauszubekommen, was sie eigentlich aufhaben. Oder ob am nächsten Morgen vielleicht die erste Stunde entfällt. Unendlich viel Zeit verbringen sie in sozialen Netzwerken, auf Youtube, mit Computerspielen und Seriengucken. In der Schule dagegen heißt es: Handys aus. Gelernt wird mit Buch, Heft, Aufgabenblatt und Tafel.
Unterricht heute wirkt wie aus der Zeit gefallen. Nur langsam geht die Digitalisierung voran, die sich die Politik auf die Fahnen geschrieben hat. 2017 gaben rund 64 Prozent der bayerischen Lehrkräfte an, mindestens einmal wöchentlich digitale Medien im Unterricht zu nutzen. Mit diesem mauen Ergebnis gehören die Lehrer und Lehrerinnen hierzulande allerdings bundesweit zu den Spitzenreitern.
Jetzt könnte die Entwicklung noch einmal an Fahrt aufnehmen. Der Digitalpakt, der fünf Milliarden Euro in deutsche Schulen spülen soll, soll nun doch realisiert werden, nach heftigem Streit zwischen Bund und Ländern, in dem es nicht um Digitalisierung ging, sondern um die Grundgesetzänderung, die ein solcher Geldfluss nötig macht. Dank Digitalpakt sollen einmalig 770 Millionen Euro als Anschubfinanzierung für den digitalen Ausbau bayerischer Schulen in den Freistaat fließen. Eine stattliche Summe. Zumal der Digitalpakt den Masterplan Bayern Digital II ergänzt, der seit 2018 in Kraft ist. Er sieht für digitale Klassenzimmer 150 Millionen Euro und für die technische Ausstattung der Schulen 212,5 Millionen Euro vor. 27,5 Millionen sollen in die IT-Ausstattung der Lehrerausbildung fließen, alles aus Landesmitteln.
Man darf das durchaus begrüßen. Die Vorteile der Digitalisierung liegen auf der Hand: Die Welt der Zukunft braucht Menschen, die souverän mit Computern umgehen – auch wenn sich Hard- und Software in schwindelerregendem Tempo ändern.
Auch beim Thema digitale Schule gilt: Auf die Umsetzung kommt es an
Digitale Medien verstehen, mit ihnen arbeiten und die damit verbundenen Risiken kennen: Das sind wichtige Voraussetzungen dafür, sich im Beruf zu behaupten. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) sieht im Umgang mit Digitalisierung zu Recht einen „wichtigen Gradmesser für die Zukunftsfähigkeit“ Bayerns. Allerdings stehen Schulen nicht im Dienst der Wirtschaft, sie haben, wie auch der Kultusminister betont, einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Darum wäre zu fragen: Lernen Schüler und Schülerinnen wirklich besser auf einem Tablet und am Whiteboard als mit herkömmlichen Methoden? Eine Metastudie der TU München, die im Auftrag der Kultusministerkonferenz 79 Einzelstudien aus aller Welt auswertete, scheint das nahezulegen. Sie kommt zu dem Schluss: „Schülerinnen und Schüler erzielen in Naturwissenschaften und Mathematik bessere Leistungen und sind motivierter, wenn im Unterricht digitale Medien eingesetzt werden.“
Das große Aber allerdings folgt sogleich. Der Erfolg, so die Studie, ist nämlich nur dann größer, wenn Kinder und Jugendliche gemeinsam lernen und zudem traditionelles Lernmaterial verwendet wird. Den Lernerfolg optimieren: Das gelingt vor allem durch individuelle Förderung, sagt Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Sie warnt davor, eine Schule daran zu messen, ob sie mit dem Whiteboard arbeitet oder mit Schwamm und Tafel. Entscheidend sei die Qualität der Lehrerpersönlichkeit.
Dafür, dass es beim Schulerfolg vor allem auf die Haltungen des Lehrers ankommt, gibt es in der Erziehungswissenschaft genug empirische Belege. „Optimales Lernen basiert auf einer guten Beziehung zwischen Lehrern und Schülern“, so Fleischmann. „Der beste Lehrer ist der, der aus einem breiten Repertoire schöpfen und die Methode ziehen kann, die optimal passt.“
Das Unterrichten wird ob der großen Auswahl aus Medien und Methoden nicht weniger komplex. Immerhin: Vielleicht gelingt es ja versierten Lehrkräften, mithilfe von Tablet oder Smartphone kostbare Zeit zu gewinnen, die dann den Schülern zugutekommt. Das wäre auch aus Sicht der Eltern ein Gewinn. „Wir hoffen, dass durch passende Lernmedien Unterricht und Lernen stärker individualisiert werden können“, so Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternverbandes.
Wie bei allen Neuerungen: Auf die Umsetzung kommt es an. Gefragt sind gesunde Skepsis, Augenmaß und eine Rückbesinnung auf das, was Bildung ausmacht. „Es wäre fatal zu glauben, dass Technik nur gut ist“, sagt der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer. Schon der Begriff „digitale Schule“ stößt ihm bitter auf. „Bildung ist etwas Menschliches, nichts Technisches.“ Zwar sei es weltfremd, sich gegenüber der Digitalisierung zu verschließen. „Aber erst die Pädagogik erweckt die Technik zum Leben.“
Die Herausforderungen durch die Digitalisierung könnten Reflexionen darüber anstoßen, was Bildung auszeichnet. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung, findet Zierer, „brauchen wir mehr denn je eine humane Schule.“ Eine Schule also, die nicht unter dem Primat dessen steht, was wirtschaftlich sinnvoll ist. Sondern neben Naturwissenschaften weiterhin Inhalte wie Kunst, Musik, Literatur lehrt. Eine Schule auch, die sich verstärkt mit den drängenden Umweltproblemen auseinandersetzt, an denen ja auch die Digitalisierung des Alltags ihren Anteil hat. (Monika Goetsch)
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