Politik

Immer mehr Konflikte im Pausenhof oder im Klassenzimmer führen zu Straftaten. (Foto: dpa/Oliver Berg)

10.05.2024

Tatort Schule

Die Gewalt in bayerischen Bildungseinrichtungen hat seit der Corona-Pandemie drastisch zugenommen – was tun?

Es war eine regelrechte Hinrichtung: Im vergangenen September soll ein 14-Jähriger auf einem Schulgelände im unterfränkischen Lohr einen Gleichaltrigen mit einem Kopfschuss von hinten getötet haben. Aus reiner Mordlust, wie die Anklage dem Buben vorwirft. Nun ist dieser schreckliche Vorfall zum Glück nur ein Einzelfall. Doch er passt zur Entwicklung der vergangenen Jahre. Die Gewalt an Schulen in Bayern nimmt immer weiter zu – und zwar drastisch.

Die Zahl der Gewaltdelikte auf dem Schulgelände stieg von 2022 auf 2023 um 24,5 Prozent an. Nimmt man den Zeitraum ab 2019, also vor der Pandemie, ist es sogar ein Anstieg um 63 Prozent. Absolut waren es 690 Fälle. Das geht aus Daten des bayerischen Innenministeriums hervor, das auf eine Anfrage der AfD-Landtagsfraktion geantwortet hat.

Zu den Gewaltdelikten zählt das Ministerium Raub, Erpressung und sexuelle Belästigung oder sexuellen Missbrauch. Einfache Körperverletzung ist dabei noch nicht einmal mitgerechnet. Da waren es im vergangenen Jahr weitere 1414 Fälle. 2019 wurden noch 884 Fälle registriert. An der Zahl der Schüler*innen liegt die Entwicklung nicht. Deren Zahl stieg im selben Zeitraum nur um gut ein Prozent.

Fast ausnahmslos sind Kinder und Jugendliche Opfer, aber auch Lehrkräfte sehen sich zunehmend mit Angriffen konfrontiert. 2023 wurden 81 Fälle von Körperverletzung vermerkt, 73 waren es 2019. Was auch auffällt: Die Zahl der Tatverdächtigen zwischen 14 und unter 18 Jahren stieg von 2439 im Jahr 2019 auf 2964 im Jahr 2023. Das sind 21,5 Prozent mehr. Im selben Zeitraum erhöhte sich die Zahl der mutmaßlichen Täter*innen unter 14 Jahren sogar um 35 Prozent – von 1768 auf 2388. Rund 70 Prozent aller Tatverdächtigen an Schulen hatten 2023 die deutsche Staatsangehörigkeit.

Auch Waffen werden mitgebracht

Die AfD vermutet – noch mehr als die erhöhte Migration aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika – die Corona-Pandemie als Treiber der jüngsten Gewalt. Der stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag, Markus Walbrunn, fordert daher: „Das Corona-Trauma unserer Gesellschaft muss endlich aufgearbeitet werden. Politisch durch Untersuchungsausschüsse in den Parlamenten und menschlich durch mehr psychologische Betreuung für unsere geschädigten Kinder und Jugendlichen.“

Auch Gabriele Triebel, Sprecherin für Bildung der Landtags-Grünen, sieht die mangelnden sozialen Kontakte in Pandemiezeiten als eine Ursache der Gewalt. Sie fordert von der Staatsregierung die sofortige Einführung verbindlicher, wissenschaftlich evaluierter Präventionsprogramme an den Schulen. Die vorhandenen Programme reichen aus ihrer Sicht nicht aus. Zudem müsse der Bayerische Jugendring sein während der Pandemie laufendes Sonderprogramm „Ferienangebote“ weiterführen, um die Jugend auch in ihrer Freizeit zusammenzubringen. „Es braucht dringend effektive Maßnahmen“, fordert Triebel.

Die Statistik lässt keine Differenzierung nach Schultypen zu. Aber Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), bestätigt die Vermutung, dass besonders an Mittel- und Förderschulen viel Gewalt stattfindet. „Da sind die Kinder, die sich eh als Verlierer sehen“, sagt sie. Und zwar nicht nur die mit Migrationshintergrund. Doch gerade an diesen Schulen gebe es einen Mangel an pädagogischem Personal.

Das seit der Pandemie enorm angestiegene Gewaltpotenzial früh aufzufangen – das würde aus Fleischmanns Sicht schon funktionieren. Aber nur mit mehr Fachpersonal wie Psychologen sowie Jugendpolizisten und mehr Zeit der Lehrkräfte für solche Aufgaben.

Mit Sorge blickt Fleischmann auch auf die zunehmende Gewalt gegen Lehrkräfte – und das Mitbringen von Waffen in die Schule. Zur Not müsse eine Einrichtung mit einem Waffenproblem auch Kontrollen am Eingang einführen, sagt die BLLV-Präsidentin. „Wir sind kein rechtsfreier Raum. Das muss sofort angezeigt werden. Priorität hat die Unversehrtheit der Kinder.“
Die Probleme sind der Staatsregierung natürlich bekannt. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Mitte März bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik, die zeigte, dass die Schule als Tatort eine im negativen Sinne herausragende Stellung einnimmt. 

Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus verweist auf viele längst laufende Maßnahmen zur Prävention und Intervention bei Gewalt und Mobbing an Schulen, die auch erfolgreich seien. Zuletzt habe man im Herbst 2022 „allen Schulen in Bayern einen Überblick über bestehende und neue Präventions- und Unterstützungsangebote bei Gewaltvorfällen im Lebensraum Schule übermittelt“. Durch regelmäßige Abfrage bei der Schulaufsicht vergewissere sich das Ministerium auch, dass alle Schulen stets über ein aktualisiertes Sicherheitskonzept verfügen.
Die Verantwortung sieht das Ministerium aber weitgehend bei den Schulen: „Grundsätzlich liegt die Reaktion und das Eingreifen bei Störungen und Fehlverhalten im pädagogischen Ermessen der Schule“, erklärt ein Sprecher. (Thorsten Stark)
 

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