Politik

Werbung auf Hausfassaden allein hilft der Bundeswehr nicht, um mehr Personal zu gewinnen. Die Forderung nach einer neuen Wehrpflicht wird lauter. (Foto: dpa/Gambarini)

16.02.2024

Teuer und langwierig

Die Rufe nach Wiedereinführung der Wehrpflicht werden lauter – doch ist das Vorhaben realistisch?

Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht unter dem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt. Doch inzwischen werden die Rufe aus verschiedenen Parteien immer lauter, die Pflicht wieder einzuführen. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plädierte jetzt angesichts der aktuellen Weltlage dafür. Doch die Wiedereinführung wäre mit erheblichem Aufwand verbunden – und würde wohl länger als erwartet dauern.

Bis 2011 waren Männer ab der Vollendung ihres 18. Lebensjahrs wehrpflichtig. Sie mussten sich mustern lassen und grundsätzlich – falls sie als wehrdiensttauglich befunden wurden und nicht den Kriegsdienst verweigerten – einen Grundwehrdienst leisten. Mit der Änderung des Grundgesetzes und des Wehrpflichtgesetzes war das dann hinfällig. Bundesweit wurden als Konsequenz 31 Standorte geschlossen und 30 Prozent der Stellen abgebaut. Den Freistaat traf das besonders stark. Dort strich die Bundeswehr rund 20.000 der insgesamt 50.000 Stellen. 20 von 68 Kasernen wurden verkleinert, drei ganz geschlossen.

Ministerpräsident Söder räumte vor Kurzem ein, dass die Aussetzung der Wehrpflicht aus heutiger Sicht ein Fehler gewesen sei – und forderte ihre Wiedereinführung. Mindestens sieben Monate Wehrdienst müssten es aus Sicht Söders schon sein. Alternativ könne man aber auch über eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen nachdenken. So hatte es die CSU-Landtagsfraktion bei ihrer Winterklausur gefordert.

Ministerium untersucht verschiedene Modelle

Das deckt sich mit den Vorstellungen des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius (SPD), der in seinem Ministerium gerade verschiedene Modelle einer solchen Pflicht prüfen lässt. Unter anderem geht es dabei um das sogenannte schwedische Modell: Dort werden alle jungen Männer und Frauen gemustert. Und nur wenn sich nicht genügend von ihnen freiwillig zum Dienst melden, werden zwangsweise Rekrut*innen eingezogen.

Aus Sicht von Verteidigungsministerium und Bundeswehr braucht es zusätzliche Kräfte, um genügend Personal zur Landes- und Bündnisverteidigung zu haben. Allein über die Reserve sowie Zeit- und Berufssoldat*innen sei die benötigte Personalstärke nicht zu erreichen, erklärt eine Sprecherin der Bundeswehr. Ein weiteres Argument ist die stärkere Bindung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, wenn im Grunde jeder oder jede Grundwehrdienst leisten muss.

Doch diese Wehrgerechtigkeit war auch vor der Aussetzung der Pflicht nicht mehr gegeben, weil nur noch ein kleiner Teil tatsächlich eingezogen wurde. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, so schätzen es Fachleute auch heute ein, wäre nur eine Frage der Zeit gewesen. Deswegen müsste ein neues Wehrpflicht-Modell auch daraufhin geprüft werden.

Doch vor allem bräuchte es etliche Neu- und Umbauten, mehr Ausbildungspersonal, Ausrüstung und Waffen. „Eine unmittelbare Reaktivierung der Wehrpflicht würde die Bundeswehr vor praktische und personelle Herausforderungen stellen“, betont daher die Bundeswehrsprecherin.

Alle Parteien der Ampel-Koalition sind dagegen

Das glaubt auch Josef Rauch, der Landesvorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands – der Interessenvertretung des militärischen Personals. „Das kostet viel Zeit, mindestens zehn Jahre, weil wir die Infrastruktur gar nicht mehr haben.“ Damals seien nicht nur viele Kasernen geschlossen worden. An den noch bestehenden Standorten habe man beispielsweise auch etliche Sechs-Mann-Stuben zu komfortableren Zwei-Mann-Stuben umgebaut. Um all das rückgängig zu machen, müsste der Bund viele weitere Milliarden Euro investieren.

Angesichts der Personalsorgen der Bundeswehr und der Bedrohung durch Russland sieht Rauch aber keine Alternative zur Wiedereinführung einer Wehrpflicht in Deutschland. „Aber wenn wir das haben wollen, müssen wir die Entscheidung jetzt fällen.“ Denn dann würde es ja aus seiner Sicht noch einmal mindestens zehn Jahre dauern, bis die ersten Wehrpflichtigen ihren Dienst antreten. Er befürchte nur, dass vor der Bundestagswahl 2025 nicht mehr darüber entschieden wird, sagt Rauch. „Und dann haben wir wieder zwei Jahre verschenkt.“

Zur Wahrheit gehört auch, dass es bei keiner der drei Parteien der Berliner Ampel-Koalition eine Mehrheit für die Wehrpflicht gibt. Pistorius ist einer der wenigen SPDler, die sich dafür ausgesprochen haben. Anders sieht das in der Union aus – und bei der AfD, in deren Grundsatzprogramm eine Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert wird.

Für Florian Siekmann, den innenpolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht zum Scheitern verurteilt. „Die Bundeswehr verfügt nicht mal mehr im Ansatz über genügend Ausbildungseinrichtungen“, sagt er. Er fordert einen anderen Ansatz, um mehr Personal fürs Militär zugewinnen. „Es ist schlecht, die Verantwortung auf die junge Generation abzuwälzen.“ Das gelte auch für ein Modell wie eine allgemeine Dienstpflicht. Die Bundeswehr müsse sich fragen, wie sie für Menschen jedes Alters attraktiver werden kann – auch angesichts des demografischen Wandels. „Nur junge Leute abzugreifen, wird nicht reichen.“ (Thorsten Stark)
 

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