Politik

IfZ-Direktor Andreas Wirsching und Kultusminister Ludwig Spaenle bei der Vorstellung des Forschungsprojekts. (Foto: dpa)

10.03.2017

Theodor Maunz, Alfred Seidl und Co.

„Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit“: Das Institut für Zeitgeschichte startet ein Forschungsprojekt zur Kontinuität nach 1945

Das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) erforscht in den kommenden sechs Jahren die Rolle von Nazis in bayerischen Ministerien und Behörden der Nachkriegszeit. Das Projekt geht auf einen überparteilichen Beschluss des Landtags zurück, der Etat dafür beläuft sich auf 1,8 Millionen Euro.
Wenn der Landtag einstimmig beschließt, ein Projekt des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) zu unterstützen, heißt es aufpassen. Denn womöglich überkommt Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) über Nacht die göttliche Eingebung, dass das Parlament völlig falsch liegt – so geschehen im Dezember 2013 beim Thema kommentierte Ausgabe von Hitlers Mein Kampf. Allerdings hatte der allerhöchste Wind vor drei Jahren keinerlei Auswirkung: Die finanzielle Unterstützung war längst überwiesen, das IfZ ließ sich von dem bizarren Störfeuer nicht beeindrucken, der durchschlagende Erfolg der Edition ließ Seehofers abstrusen Einspruch schnell in Vergessenheit geraten.

Maunz war unbeanstandet bayerischer Kultusminister

So gesehen muss einem auch um das neue Projekt des IfZ nicht bange sein, das Institutsdirektor Andreas Wirsching jetzt zusammen mit Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) präsentierte. 1,8 Millionen Euro stellt das Land Bayern bereit, um in den nächsten Jahren die bayerischen Ministerien und Behörden daraufhin zu untersuchen, inwieweit sich in ihnen in den ersten drei Jahrzehnten nach 1945 ein demokratischer Neuanfang zeigt und inwieweit die alten Nazi-Seilschaften am Werk sind. Andreas Wirsching umschreibt das Projekt unter anderem damit, dass man sich bei der Bewertung einer historischen Person „nicht mehr mit der NSDAP-Zugehörigkeit zufriedengeben“ werde. Der neue Ansatz sei darauf ausgerichtet, „den Begriff der ‚NS-Belastung’ neu zu fassen und von seiner unbefriedigenden Bindung an formale Kriterien wie Mitgliedschaft in NS-Organisationen zu lösen“.

Das wäre in der Tat ein Fortschritt, denn bekanntlich gab es nicht wenige Widerstandskämpfer, die zur Tarnung ihrer Tätigkeit unbedingt Parteimitglied sein mussten. Umgekehrt gab es überzeugte Nazis, die keineswegs von 1933 bis 1945 als NSDAP-Mitglied geführt wurden. Beispiel Alfred Seidl: Der Jurist, der sich schon in seiner strafrechtlichen Dissertation bei Roland Freisler, dem nachmaligen Präsidenten des Volksgerichtshofs, anwanzte, verteidigte nach 1945 offensichtlich aus Überzeugung reihenweise NS-Kriegsverbrecher und war in den Siebzigerjahren Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion, Justizstaatssekretär und Innenminister. Parteigenosse war Seidl angeblich aber nur von 1937 bis 1940 – was ihn später nicht daran hinderte, jahrzehntelang den Münchner Obernazi Gerhard Frey zu unterstützen, wie erst nach Seidls Tod 1993 bekannt wurde.

Im gleichen Jahr 1993 segnete auch eine andere bayerische NS-Koryphäe das Zeitliche, deren Name jedem Juristen geläufig ist, und zwar ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Grundgesetz: Der Maunz-Dürig ist ein Kommentar zum Grundgesetz, doch sein Begründer war der entschiedenste Gegner des Grundgesetzes, den man sich vorstellen kann.

Man braucht nur Grundgesetz Artikel 1 herzunehmen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die nationalsozialistische Rechtsauffassung dagegen kreist um die Maxime: „Die Würde des Deutschen ist unantastbar.“ Einer der vielen Juristen, die sich Hitler und seinen Schergen andienten, formulierte es vor 80 Jahren so: „Das deutsche Recht hat einen auf rassischer Grundlage aufgebauten Gleichheitsgrundsatz, während sich die Gleichheit anderer Völker und Staaten vielfach ungegliedert auf den Menschen überhaupt bezieht.“

Der Jurist, der hier doziert, heißt Theodor Maunz. Seine einfühlsame Interpretation des nationalsozialistischen Unrechts als Recht hatte für den Staatsrechtler nach 1945 keinerlei Konsequenzen. Im Gegenteil: Maunz war nicht nur unbeanstandet Professor für Öffentliches Recht an der Münchner Universität, er war auch von 1957 bis 1964 bayerischer Kultusminister. Erst die Beharrlichkeit der Münchner FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher bringt ihn zu Fall. Jahrelang weist sie auf die NS-Vergangenheit des CSU-Ministers hin, wofür sie von ihrer eigenen Partei mit einem aussichtslosen Listenplatz abgestraft wird. Ein CSU-Abgeordneter rät ihr, Bayern zu verlassen. Das geläufige Schimpfwort, das bei der Nennung ihres Namens reflexartig fällt, lautet: „preußische Krampfhenne“.

Das Forschungsprojekt war eine Idee des Grünen Dürr

Dabei hatte Hildegard Hamm-Brücher einfach nur recht: Theodor Maunz war ein unverbesserlicher Nazi, der nur so tat, als ob er mit der Demokratie was am Hut hätte. Das zeigt sich endgültig, als Maunz 1993 stirbt und Gerhard Frey bekannt gibt, Maunz habe ihn nicht nur jahrzehntelang juristisch beraten, sondern auch unter Pseudonym regelmäßige Hasstiraden in Freys Nazi-Zeitungen abgeliefert.

Auf seinen frühen Amtsvorgänger angesprochen, bemüht sich Spaenle sichtlich, cool zu bleiben: „Ein Maunz genügt in einer Ahnengalerie“, flachst er und druckst betont locker herum. Ein bayerischer Kultusminister, der nicht nur eine tiefbraune Vergangenheit, sondern auch eine ebensolche zweite Natur hatte? Kein Problem für den amtierenden Minister ein halbes Jahrhundert später! Spaenle gibt sich informiert, auf- und abgeklärt wie stets.

Derweil erklärt IfZ-Direktor Wirsching, warum ausgerechnet Theodor Maunz im anlaufenden Projekt nicht erforscht wird: Eine Dissertation über den NS-Juristen und CSU-Politiker ist bereits in Arbeit, ja „fast fertig“ – da hätte es natürlich keinen Sinn ergeben, eine „Dublette“ zu produzieren.

Und es ist ja auch nicht so, dass es den bereits in Angriff genommenen Teilprojekten an Brisanz fehlte. So kümmern sich die IfZ-Wissenschaftler künftig um „Die Bayerische Staatskanzlei, die Personalpolitik und das 131er Gesetz“ (das die alten Nazis protegierte) oder um „Landeskriminalamt und Verfassungsschutz“ – Bereiche, die, wie Wirsching unumwunden zugibt, erst heute untersucht werden können.

Wie es ja auch erst heute vorstellbar ist, dass sich der Landtag das Ansinnen eines Grünen-Abgeordneten einstimmig zueigen macht. Schließlich geht das ganze Forschungsprojekt auf eine Idee des Grünen-Abgeordneten Sepp Dürr zurück. (Florian Sendtner)

Kommentare (1)

  1. W. Rösler am 29.03.2017
    Schade, dass die Bayerische Staatszeitung einen so schlecht recherchierten Artikel veröffentlicht.

    Autor Florian Sendtner schreibt darin zum Beispiel, dass 1993 "Gerhard Frey bekannt gibt, Maunz habe ihn nicht nur jahrzehntelang juristisch beraten, sondern auch unter Pseudonym regelmäßige Hasstiraden" abgeliefert. (Natürlich hat Frey nicht bekanntgegeben, Maunz habe "regelmäßige Hasstiraden" abgeliefert, sondern Sendtner unterschiebt Frey eine solche Äußerung durch den Gebrauch der indirekten Rede.) Was Herr Sendtner hier insinuiert, ist sachlich falsch, denn die National-Zeitung gab 1993 eine Reihe von Maunz-Texten noch einmal wieder, teilweise mit Faksimiles der handschriftlichen Manuskripte. Und daraus ergibt sich, dass Maunz auch an dieser Stelle keine Tiraden veröffentlichte, sondern komplexe verfassungsrechtliche Themen abhandelte und Verfassungsgerichtsentscheidungen erläuterte, offenbar ohne Zorn, Eifer und Verzerrungen, wie sie bei oben stehendem Artikel der Bayerischen Staatszeitung ins Auge stechen. (Kein Geringerer als Roman Herzog hat daher erklärt, er habe Maunz-Artikel aus der National-Zeitung gelesen und die seien "harmlos" gewesen.) Herr Sendtner muss einfach ein Archiv aufsuchen und die Quellen zu Rate ziehen, ehe er scharfe, aber unfundierte Urteile abgibt.

    Was Alfred Seidl angeht, dürfte Sendtner allerdings insoweit Recht haben, als dieser vermutlich auch "aus Überzeugung" in Nürnberg verteidigte - nämlich aus der Überzeugung, die die Alliierten teilten, dass ein "fair trial" ohne Verteidigung nicht denkbar ist.
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