Politik

Léa Briand, Geschäftsführerin von abgeordnetenwatch.de. (Foto: Andreas Dobrzewski)

13.12.2024

"Überlegen, ob man einen Interessenkonflikt riskiert“

Léa Briand, Geschäftsführerin der Transparenzinitiative abgeordnetenwatch.de, über ihre Bilanz nach 20 Jahren, die Schweigsamkeit vieler Abgeordneter und ihre Zukunftspläne

Vor 20 Jahren wurde abgeordnetenwatch.de gegründet: eine überparteiliche und unabhängige Onlineplattform, die es ermöglicht, Abgeordnete verschiedener Parlamente öffentlich zu befragen. Dabei geht es oft um das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten bei wichtigen Parlamentsentscheidungen, aber auch um andere Dinge, etwa Nebeneinkünfte.

BSZ: Frau Briand, täglich nutzen Dutzende Wählerinnen und Wähler Ihr Portal, um Abgeordneten Fragen zu stellen. Dabei könnten sie sich doch auch direkt an die Politiker*innen wenden. Haben Sie eine Erklärung?
Léa Briand: Die Zahl der Fragen und auch der Antworten ist seit unserer Gründung vor 20 Jahren nahezu gleich geblieben, obwohl es heute gerade über Social Media sehr viel mehr Möglichkeiten gibt, mit Abgeordneten in Kontakt zu treten. Ich denke, das liegt vor allem daran, weil wir öffentlich auftreten und der Dialog bei uns unabhängig und überparteilich moderiert wird.

BSZ: Auf die Antwort müssen die Fragenden im Durchschnitt mehrere Wochen, manchmal sogar Monate warten. Sind Sie damit zufrieden?
Briand: Natürlich würden wir uns insgesamt schnellere Antworten wünschen. Deshalb erinnern wir die Abgeordneten regelmäßig an noch offene Fragen und bitten um rasche Antworten. Verpflichten können wir sie dazu nicht. Oft braucht es aber einfach Zeit, bis auf Fachfragen auch fundierte Antworten gegeben werden können. Im Zweifel geht Qualität vor Schnelligkeit.

BSZ: Das mit der Qualität ist so eine Sache. Manche Antworten sind sehr knapp, andere sehr allgemein gehalten.
Briand: Wir sind überparteilich, wir nehmen auf den Inhalt der Antworten keinen Einfluss. Außer die Antworten enthalten sachliche Fehler oder entsprechen nicht unseren Regeln. Dann greift unsere Moderation ein und ermuntert Fragende oder Antwortende, ihre Beiträge entsprechend zu überarbeiten. Am Ende ist aber jeder selbst verantwortlich für das, was gefragt und geantwortet wird. Die Bewertung überlassen wir den Nutzer*innen.

BSZ: Grob überschlagen bleibt rund ein Drittel der Fragen unbeantwortet. Ist das eine akzeptable Quote?
Briand: Unser Ziel war von Anfang an eine Antwortquote von 80 Prozent. Diese erreichen wir über alle Parlamente in Deutschland gesehen knapp. Großes Interesse stellen wir bei den Bundestagsabgeordneten fest, in manchen Landtagen ist es deutlich weniger. Hier versuchen wir, die Abgeordneten gezielt anzusprechen und zu motivieren.

BSZ: Der Trägerverein des Portals hat sich die Förderung der Transparenz in der Politik auf die Fahnen geschrieben. Sehen Sie da Fortschritte?
Briand: Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland in Sachen Transparenz im Gesetzgebungsprozess, bei der Parteienfinanzierung und der Nebentätigkeit von Abgeordneten hinterher. Aber gerade in den vergangenen Jahren gab es, beschleunigt durch diverse Skandale, einige Fortschritte. Wir haben jetzt auf Bundesebene und in einigen Ländern Lobbyregister, was verdeckte Einflussnahmen auf politische Entscheidungen zumindest erschwert. Auch auf eine Petition von Abgeordnetenwatch geht zurück, dass Abgeordnetenbestechung in Deutschland jetzt eine Straftat ist. Zudem müssen Abgeordnete inzwischen genauere Angaben zu ihren Nebentätigkeiten machen.

BSZ: Sie sprechen sich für ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien aus. Warum?
Briand: In einem demokratischen System sollte nur an Parteien spenden dürfen, wer auch Teil dieses Systems ist. Das sind die Wählerinnen und Wähler. Unternehmen und Wirtschaftsverbände dürfen nicht wählen, sie sind auch nicht wählbar. Zudem könnten ihre Spenden dazu dienen, sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Vielleicht nicht in einem konkreten Fall, aber die Parteien könnten sich verpflichtet fühlen, Wünsche und Vorstellungen ihrer Spender zu erfüllen. Aus unserer Sicht darf in einer Demokratie dieser Eindruck erst gar nicht aufkommen.

BSZ: Sie beobachten auch die Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Halten Sie nebenberufliche Tätigkeit für ein grundsätzliches Problem?
Briand: Abgeordnete im Bundestag und in den meisten Landtagen verdienen ausreichend Geld, um auf Nebeneinkünfte nicht angewiesen zu sein. Bei Nebentätigkeiten spielt immer auch die Gefahr eines Interessenkonflikts mit. Lässt sich zum Beispiel ein Aufsichtsratsmandat wirklich von der Tätigkeit als Abgeordneter trennen? Verbieten wird man das nicht können, aber es muss so transparent gestaltet werden, dass die Abgeordneten sich genau überlegen, ob sie diesen Interessenkonflikt auch wirklich riskieren wollen.

BSZ: Aber viele Abgeordnete haben einen Bauernhof zu bewirtschaften, ihr Unternehmen zu führen oder ihre Anwaltskanzlei zu betreiben. Da geht es um ihre Existenz nach der Politik.
Briand: Das muss natürlich weiter möglich sein. Aber es wäre aus unserer Sicht wünschenswert, wenn es mehr Vertretungslösungen gäbe, damit Abgeordnete nicht mehr mit dem operativen Geschäft betraut sind. Ich denke, mit klareren Regeln für eine Trennung von Mandat und Beruf ließen sich auch hier Interessenkonflikte vermeiden. Man muss aber auch betonen, dass die meisten Abgeordneten keine bezahlten Nebentätigkeiten ausüben.

BSZ: Was sind die Pläne von Abgeordnetenwatch für die Zukunft?
Briand: Zunächst einmal müssen wir unsere Demokratie und unsere Werte stärker verteidigen, als das noch vor zehn Jahren nötig gewesen war. Wir versuchen das, indem wir faktenbasierte Informationen zur Verfügung stellen. Auf politischer Ebene werden wir weiter aktiv bleiben, um die Parteienfinanzierung transparenter zu machen. Und wir fordern die Schaffung einer unabhängigen Instanz, die die Einhaltung der schon bestehenden Transparenzvorgaben überwacht. Derzeit tun das die Präsidentin des Bundestags und die Präsident*innen der Landtage. Das ist eine nicht akzeptable Doppelrolle, weil die Präsident*innen als Abgeordnete von den Transparenzregeln selber betroffen sind. Hier braucht es eine unabhängige Kontrolle.
(Interview: Jürgen Umlauft)

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