Politik

Nebenwirkungen eines Medikaments nachzuweisen, ist laut Fachleuten „extrem schwer“. (Foto: dpa/Maximilian Schönherr)

18.10.2024

Undurchsichtige Angelegenheit

Die Kampagne #MedSafetyWeek will auf die Gefahren von Arznei-Nebenwirkungen hinweisen

Im besten Fall entfaltet ein Arzneimittel seine volle Wirkung, man nimmt es, wird wieder gesund und hat nichts Negatives abbekommen. Häufig ist dies nicht der Fall. Die Wirkung der Arznei ist begrenzt. Und es stellen sich Nebenwirkungen ein. Die zu reduzieren, darauf zielt die internationale Kampagne #MedSafetyWeek ab. Anfang November findet sie zum neunten Mal statt.

Leider ist sie selbst in Medizinerkreisen relativ unbekannt. Auch Thomas Kühlein vom Allgemeinmedizinischen Institut des Uniklinikums Erlangen hat erst durch BSZ-Anfrage von der Initiative erfahren. Und findet sie „problematisch“. In Studien die Wirkungen eines Arzneimittels nachzuweisen, sei schon schwer genug. Nebenwirkungen nachzuweisen aber sei „extrem schwer“.

Kühlein verweist auf eine Studie zur Nebenwirkung „Muskelschmerzen“ bei einem Medikament, das Cholesterin senken soll. Einbezogen waren 60 Patienten. Alle hatten die Statine wegen Muskelschmerzen abgesetzt. Einen Monat lang erhielten sie, ohne es zu wissen, nach einem Zufallsprinzip entweder Statin oder Placebo. Über eine App sollten sie eventuelle Muskelschmerzen protokollieren: „Im Ergebnis hingen die Schmerzen nicht mit der Einnahme des Statins zusammen.“'

Der Allgemeinmediziner, der sich bei der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte namens „MEZIS – Mein Essen zahl’ ich selbst“ engagiert, hält es dennoch für richtig, dass Menschen auf Nebenwirkungen achten und ihren Ärzten davon erzählen. Weil jeder Mensch biochemisch völlig unterschiedlich sei, könnten bei Medikamenten weder Wirkung noch Nebenwirkung vorhergesagt werden. „Was wirkt, wirkt auch neben“, so der Wissenschaftler.

Nebenwirkungen melden ist sehr aufwendig

Durch die Kampagne #MedSafetyWeek sind alle Akteur*innen, die mit Medikamenten in Berührung kommen, aufgefordert, Nebenwirkungen zu melden. „Neben Ärzten und Apothekern können dies auch Patienten tun“, sagt Tobias Dreischulte vom Institut für Allgemeinmedizin des Uniklinikums München. Dies könne per Mail zum Beispiel an das Paul-Ehrlich-Institut geschehen (https://nebenwirkungen.bund.de/nw/DE/home/home_node.html).

Allerdings: „Der Dokumentationsaufwand ist nicht trivial, er dürfte bis zu 15 Minuten pro Fall in Anspruch nehmen“, konstatiert er. Grundsätzlich ist es laut dem Mediziner gar nicht so einfach, Wissen zu Nebenwirkungen zu generieren. Dies sei unter anderem deshalb so schwierig, weil ältere Menschen, die in erster Linie Arzneimittel einnehmen, meist kaum in Zulassungsstudien einbezogen werden. Dieser Mangel soll durch Beobachtungsstudien nach der Zulassung kompensiert werden: „Dies ist das Forschungsfeld der Pharmakoepidemiologie.“ Das jedoch sei in Deutschland unterentwickelt. Angesichts der Dimension der Problematik ist dies kaum nachvollziehbar.

„Bevor wir Medikamente verschreiben, machen wir uns intensiv Gedanken“, sagt Mohammad Ahmadi, Hausarzt in Mainstockheim bei Kitzingen. Dabei würden Ärzte heute sehr gut von EDV unterstützt. Möchte er etwas verordnen, gibt er die entsprechende Medizin ein und schaut, ob ein Warnhinweis aufleuchtet: „Also etwa, dass sich das Medikament, das ich verschreiben möchte, nicht mit einem anderen Medikament des Patienten verträgt.“ Für manche seiner Kollegen ist die Kampagne #MedSafetyWeek nicht zuletzt mit Blick auf die inzwischen nicht mehr anzuzweifelnden Nebenwirkungen der Corona-Impfung wichtig. Mohammad Ahmadi allerdings, der nach eigenen Angaben rund 15.000 Patient*innen geimpft hat, sieht in seiner Praxis nur „extrem wenige Patienten“ mit Impfschäden. Allerdings habe er sehr viele Post-Covid-Patienten: „Von denen sind die allermeisten nicht geimpft.“

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) teilt mit, dass es nicht möglich sei, sämtliche Nebenwirkungen eines Medikaments vor der Zulassung zu erforschen. „Im Rahmen von klinischen Prüfungen können zwar seltene, nicht aber sehr seltene Nebenwirkungen, die in weniger als einem von 10.000 Fällen auftreten, erkannt werden.“

Dem PEI würden von verschiedenen Akteuren Nebenwirkungen von Impfstoffen, Allergenen und Antikörpern (nur dafür ist das PEI zuständig) gemeldet. So war das auch bei den Corona-Impfungen. Die diesbezüglich gemeldeten Nebenwirkungen wurden bis Ende März 2023 veröffentlicht. Bis zu diesem Zeitpunkt lagen dem PEI über 340.000 Meldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung oder Impfkomplikation vor.

Während das PEI für Impfstoffe, Allergene und Antikörper zuständig ist, ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für alle anderen Medikamente verantwortlich. Dem BfArM können Nebenwirkungen ebenfalls online gemeldet werden. 11.275 direkte Meldungen von Nebenwirkungen gingen 2023 ein. Das ist wenig: 2019 waren es 15.842. „Die am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen 2023 sind für Deutschland Fatigue, gefolgt von Kopfschmerz“, berichtet Anja Kleist von der BfArM-Pressestelle. Sie verweist darauf, dass jeder, der einen Heilberuf ausübt, berufsrechtlich verpflichtet ist, Nebenwirkungen zu melden. (Pat Christ)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll sich Bayern für die Olympischen Spiele 2040 bewerben?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.