Politik

Ungeliebte Erscheinung aus den Tiefen seines Gehirns: Der "Überichhofer" des Ministerpräsidenten versucht Angela Merkel als Erinnerung zu verdrängen. (Foto: dpa)

24.02.2016

Unterwegs im Kopf von Seehofer: Fulminantes Singspiel mit politisch düsterer Aussicht

Auch Mama Bavaria widmet sich in ihrer Fastenpredigt der Flüchtlingskrise - erreicht aber beim Publikum auf dem Nockherberg eine deutlich durchwachsenere Reaktion

"Humor ist das, was uns von Extremisten und Fanatikern unterscheidet", sagte Mama Bavaria fast zum Schluss ihrer Fastenpredigt im Paulaner-Keller am Nockherberg - und konnte damit im Großen und Ganzen den Saal wieder mit ihrer zum Teil harten Kritik versöhnen. Wer möchte sich aber auch nachsagen lassen, er haben keinen Humor? Denn einige ihrer Sprüche waren schon arg heftig gewesen. Luise Kinseher, von der es vor sechs Jahren noch hieß, sie sei zu brav, mehr Comedy als Polit-Kabarett, bewegte sich in diesem Jahr schon nah an der Grenze zum letzten Bruder Barnabas Michael Lerchenberg, den sein ätzender, kränkender Spott zuletzt den Job gekostet hatte. Erstmals gefroren auch bei Bemerkungen von Mama Bavaria Gesichtszüge im Saal. Thomas Kreuzer, der Fraktionschef der CSU im bayerischen Landtag, musste sich beispielsweise vorwerfen lassen: "Da wo andere einen offenen Geist haben, ist bei Dir ein Fliegengitter." Und Andreas Scheuer, der Generalsekretär der Christsozialen, bekam attestiert: "Wenn man in der AfD sagt, dass an der Grenze geschossen werden darf, dann kann der Andi Scheuer auch nur noch die Kalibergröße nachkläffen." Die beiden, von der Staatszeitung befragt, reagierten unterschiedlich. Scheuer konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: "Das war teilweise schon flach. Ich hätte mir mehr Zweideutigkeit gewünscht." Thomas Kreuzer dagegen blieb zumindest äußerlich gelassen: "Da muss man drüber stehen." Etwas angefressen wirkte danach Ministerpräsident Horst Seehofer. Zwar hatte er zu Beginn noch gefrotzelt: "Wer die Dinge in Berlin miterlebt, der weiß: schlimmer kann es nicht kommen." Doch als ihn der BR später um ein erstes Statement bat, sagte der Regierungschef mit unbewegter Miene nur: "Passt scho." Und als die Fernsehreporterin ihre Frage noch einmal variiert stellte, erneut: "Passt scho."

Keiner wird so gelobt wie Münchens OB Dieter Reiter

Viel besser gelaunt war Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter: "Mir hat es gefallen - aber das wird Sie nicht überraschen", beschied er auf Nachfrage. Logisch - kam der Rathauschef der Landeshauptstadt doch von allen Politikern am besten weg. Ein "Macher" sei er, lobte Mama Bavaria. Da mochten es die Sozialdemokraten insgesamt auch verzeihen, dass das Urteil über die Genossen in der Landtagsfraktion fast schon wie gewohnt spöttisch-mitleidig und eher kurz ausfiel. "Und weil heute mein Freudentag ist, habe ich beschlossen, den Markus Rinderspacher mal zu loben. Ich weiß zwar nicht für was! hast Du selber eine Idee?", ätzte die Kinseherin. Begeistert zeigte sich in ihrer Einschätzung der Fastenpredigt auch Margarete Bause, die Fraktionschefin der Grünen im Landtag. "Großartig", meinte die Politikerin, sei die Rede gewesen - auch wenn die Mama Bavaria "ein, zwei Mal heftig" zulangte. "Aber sie zielte nicht nur auf Gags, sondern hatte einen klaren Standpunkt." Während also die Fastenpredigt eher durchwachsene Einschätzungen hervorrief, löste das Singspiel quer durch alle Parteien Begeisterung aus. Erstmals in der Geschichte des aufgeführten Stücks kam es nach der Schluss-Szene zu stehendem Applaus im Saal. Und der zuvor noch etwas grantige Horst Seehofer meinte begeistert, dies sei "eine Sternstunde" gewesen. Dabei waren Regie und Schauspieler durchaus hart mit ihm umgesprungen - schmerzhafte Einblicke in sein Seelenleben inklusive. 

Merkel stört beim Spiel mit der Modelleisenbahn

Und das war die Handlung: Im Hirn von Horst Seehofer (Christoph Zrenner) herrscht, man ahnte es fast, aktuell ein ganz schönes Chaos. Nicht nur, dass dort der Überichhofer (Paul Kaiser) und der Eshofer (Maxi Schafroth) mit einander konkurrieren – der eine ist für die Vernunftentscheidungen zuständig, der andere fürs Gefühl. Dort spuken auch jede Menge anderer Gestalten herum. Politiker-Kollegen, für die der Chef eigentlich gerade beziehungsweise für manche auch nie einen Kopf hat. Der echte Seehofer sitzt derweil in seinem Keller und spielt dort selig mit seiner geliebten Modelleisenbahn. Dort ist sein Bayern-Land mit den Hügeln, Tälern, Seen und grünen Auen noch in Ordnung. Aber nicht lang, denn ein Unwetter zieht auf. Und bringt auch noch die Merkel (Antonia von Romatowski) mit. „Horst! Willkommenskultur sieht anders aus“, meint Merkel. Seehofers Antwort: „Ich hab keine Willkommenskultur in meinem Keller, ich hab höchstens eine Gastfreundschaft.“ Der Unterschied liege in der Zahl, Gastfreundschaft, das sei einer, sonst würde es ja Gästefreundschaft heißen. Marcus H. Rosenmüller (Regie) und Thomas Lienenlüke (Buch) setzten nicht auf schnelle Lacher. Was freilich auch am Thema liegt: die Flüchtlingskrise. Sie ist, ganz Metapher, nämlich das Unwetter, das auf der Bühne aufzieht und Seehofers Hobbyraum-Idyll trübt, während oben im Seehofer-Hirn der Überichhofer und der Eshofer die Ilse Aigner (Angela Ascher), die sich zu wenig beachtet fühlt, in Schach halten. Dass diese etwas wirre Konstellation funktioniert, ist auch dem Bühnenbild zu verdanken. Unten das Kelleridyll, oben das Seehofer-Hirn, in dem später auch der ehemalige CSU-Star Guttenberg (Stefan Murr), der Grüne Hofreiter (Wowo Habdank) und Ursula von der Leyen (Nikola Norgauer) herumgeistern werden – quasi als nicht gerade erfolgreich verdrängte Gedanken.

Innenminister Herrmann darf heuer zum ersten Mal beim Singspiel ran

Doch auch unten im Keller wird es dem Seehofer bald zu voll. Neben Merkel schauen nämlich auch Joachim Herrmann (Michael Vogtmann), Markus Söder (Stephan Zinner), Dieter Reiter (Gerhard Wittmann) und Sigmar Gabriel (Thomas Wenke) vorbei, um die Frage zu erörtern, wie viel Wetter Bayern verträgt. „Das Wetter soll gefälligst so bleiben wie es ist … dann verträgt Bayern durchaus viel Wetter“, impft der Überichhofer dem Seehofer ein. Herrmann durfte heuer zum ersten Mal im Singspiel ran und Vogtmann löste diese Aufgabe "wunderbar". Ein bisschen schneller als der echte Herrmann sprach er allerdings schon. Auch der Innenminister hat ein kleines Modell-Bayern daheim, gesteht er im Stück. „Nur sicherer“. Bei ihm stehen nämlich die Alpen rundherum. Herrmann: „Wenn ich schon nicht reinkomme, dann auch kein anderer.“ Ist eh egal, weil Herrmann auch in den eigenen Keller nicht mehr kommt. Die Selbstschussanlage hat sich selbstständig gemacht. Seehofer würde da am liebsten den Söder reinschicken. Der aber hat stattdessen ein verspätetes Geburtstagsgeschenk dabei: Eine Parkbank für Seehofers Modell. „Für die Zeit nach der Pensionierung.“   Und natürlich spielt auch Merkels „Wir schaffen das“ eine zentrale Rolle. Ein Highlight: Auf Stephan Remmlers da da da rappt Merkel „Wir schaffen da da das!“ und „Ihr liebt mich nicht, ich lieb euch schon.“ Und auch wenn Seehofer zuvor moserte: „Angela, ich sag Dir was – der europäische Gedanke, das ist wie ein Probeabo - solange die Zeitschrift nix kostet, finden sie alle gut - aber das Probeabo ist jetzt abgelaufen. Und Du hast vergessen, zu kündigen!“ - der Ministerpräsident will jetzt auch so einen Satz, für den er einmal in die Geschichtsbücher eingehen könne. Nur dummerweise fällt ihm nichts ein außer: „Die schafft uns!“   Da kann auch OB Reiter nicht weiterhelfen, dafür aber hat er eine gute Nachricht: „Ich hab neue Informationen. So richtig schlimm soll’s gar nicht werden.“ Herrmann: „Das ist unwahr! Wer sagt das?“ Reiter: „Aber ich hab‘s vom Rinderspacher, der hat‘s von seinem Metzger, der hat einen Gesellen und dessen Bruder hat ein Barometer ...“

Watschn für die Landtags-Opposition: Sie kommt gar nicht erst vor

Und das ist die eigentliche Watschn heuer: Die Landtags-Opposition kommt sonst mit keinem weiteren Satz vor. Noch schlimmer geht’s nichts. Nicht einmal dazu hat es gereicht, sich lustig darüber zu machen, wie blass sie ist. Die Knaller liefern andere. Im wahrsten Sinne des Wortes: die Goaßlschnalzer, die mitten im Saal auf den Tischen ihre Peitschen schnalzen lassen – passend zu Herrmann und Seehofer auf der Bühne, die ein Lied zur Leitkultur anstimmen. Und dann ist da noch Ilse Aigner alias Angela Ascher, die im hautengen pinken Dress über die Bühne tanzt. Frei nach Nina Hagens Ich hab den Farbfilm vergessen, singt sie dazu: „Ihr habt die Ilse vergessen, ihr Lumpenpack, genauso wie den Anstand, den ihr nie besessen habt.“   Am Ende gibt’s das Fazit der beteiligten Politiker – als Kakophonie, die der Zuschauer nicht versteht – brüllen sie doch – wie so oft im Leben – wild durcheinander. Aber am Ende hat’s der Zuschauer eben doch verstanden: Die Aussichten sind düster. Nicht wegen der vielen Flüchtlinge. Sondern wegen der Politiker, die keine gemeinsame Lösung finden. Trotzdem: Horst Seehofer hat es gut gefallen, auch die Verdreifachung seines Ichs. "Ich bin nicht nur einer, ich bin ein Multi-Kulti-Seehofer", ließ er die BSZ wissen. (Angelika Kahl, André Paul)

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