Etwa 12 000 Sinti und Roma leben in Bayern. Sie sind die einzige anerkannte Minderheit im Freistaat. Und doch gibt es kaum eine Bevölkerungsgruppe, der so viel Feindseligkeit entgegenschlägt. Erich Schneeberger hofft, dass sich das mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages endlich ändert. Natürlich weiß aber auch er: Für ein Ende der Diskriminierung braucht es weit mehr.
BSZ Herr Schneeberger, Sie haben ihn lange gefordert, jetzt kommt er: der Staatsvertrag mit den Sinti und Roma in Bayern. Was erhoffen Sie sich davon?Erich Schneeberger Es geht darum, unseren Stellenwert in der Gesellschaft zu heben. Ständig werden

wir deutschen Sinti und Roma in einen Topf geworfen mit Migranten aus Osteuropa, über die gerne abfällig berichtet wird. Ich erhoffe mir von der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 23. Januar ein Umdenken. Die Anerkennung, dass wir ein Bestandteil Deutschlands sind. Und dass unsere kulturelle Identität auch ein Teil deutscher Kultur ist. Das steht im Vertrag auch explizit so drin.
BSZ Aber es geht auch ums Geld?Schneeberger Nicht in erster Linie. Ursprünglich wollte die Staatsregierung nur die gemeinsame Erklärung von 2007 erweitern – mit einer stattlichen Erhöhung der Förderung. Auf dieses Geld habe ich verzichtet. In der Erklärung bekennt sich die Staatsregierung dazu, die Situation der Sinti und Roma in Bayern in besonderer Weise zu behandeln. Doch sie basiert nur auf Freiwilligkeit. Ich wollte einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der zum Ausdruck bringt, dass wir ganz normale bayerische Bürger sind. Wir deutschen Sinti sind seit über 600 Jahren in diesem Land. Die deutschen Roma seit 200 Jahren. Wir sind in erster Linie Bayern und erst in zweiter Angehörige einer Minderheit.
BSZ Wie hoch fällt die Förderung jetzt aus?Schneeberger Es sind rund 475 000 Euro im Jahr – einschließlich 40 000 Euro zum Erhalt der Grabstätten holocaustüberlebender Sinti und Roma. Das ist nicht üppig, wenn man bedenkt, dass unsere jüdischen Mitbürger mindestens zehn Millionen Euro bekommen. Damit ist die Arbeit unseres Verbands zwar sichergestellt – aber nur gerade so. Dabei hätten wir viele weitere tolle Ideen für Projekte, etwa im Bildungsbereich und mit Blick auf die Chancengleichheit. Und natürlich für unsere Arbeit gegen die Diskriminierung.
BSZ Wie äußert sich die konkret?Schneeberger Familien bekommen zum Beispiel keine Wohnung, wenn sie zu erkennen geben, dass sie Sinti oder Roma sind. Nicht wenige verschweigen aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung ihre kulturelle Identität. Wir leben so wie die Normalbevölkerung – meist in den Großstädten verstreut. In Nürnberg spielen im Serenadenhof manchmal Kapellen Sinti-Jazz. Einen der Musiker habe ich mal gefragt: Wie fühlst du dich als Sinto auf der Bühne? Er hat geantwortet: Mensch, auf der Bühne werde ich gefeiert, da bin ich der King. Aber sobald ich von der Bühne runter bin, will keiner mehr etwas mit mir zu tun haben.
"Und plötzlich war die Wohnung bereits vermietet"
BSZ Haben Sie auch persönlich schon Diskriminierung erlebt?Schneeberger Aber ja! Als ich zum Beispiel mit meiner Frau in ein schönes Neubaugebiet in der Nürnberger Nordstadt ziehen wollte, schien alles perfekt. Als ich dem Vermieter aber erklärte, wer ich bin, gab er plötzlich vor, noch mal dringend mit seiner Frau Rücksprache halten zu müssen. Am nächsten Tag kam der Anruf, dass die Frau ohne sein Wissen die Wohnung leider schon vermietet habe. Dabei müsste sich doch jeder Vermieter über die finanzielle Sicherheit freuen, die ich als Landesvorsitzender zu bieten habe.
BSZ Die Vorurteile scheinen tief in der Gesellschaft verankert zu sein, ein Staatsvertrag allein wird das nicht ändern. Was also tun?Schneeberger Man müsste als erstes bei den Medien ansetzen, die sich noch immer allzu oft auf ein bestimmtes Bild der Sinti und Roma konzentrieren. Zum Beispiel wenn sie über die Situation in Rumänien oder Bulgarien berichten. Diese Situation betrifft uns deutsche Sinti und Roma aber überhaupt nicht, wir haben auch kulturell mit diesen Menschen nichts zu tun. Doch dieses über die Medien verbreitete Negativbild setzt sich in den Köpfen unserer Gesellschaft fest. Was nutzt es da, wenn ich an der Uni einen Vortrag über Diskriminierung halte? Mein großer Wunsch wäre ein Sitz im Rundfunk- und Medienrat, die für die Aufsicht der öffentlich-rechtlichen sowie privaten Sender zuständig sind.
BSZ Das Gremium wurde im vergangenen Jahr erst um drei Sitze vergrößert, Ihr Verband ist aber nicht zum Zug gekommen. Allerdings: Auch Organisationen von Muslimen oder Homosexuellen gingen leer aus.Schneeberger Für uns war dies ein herber Schlag. Von Seiten der CSU war uns zugesichert worden, dass wir auf der Liste ganz oben stünden. Immerhin sind wir doch die einzig anerkannte Minderheit in Bayern. Damit stehen wir unter dem Schutz des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten, das explizit eine Berücksichtigung in den Rundfunkgremien fordert. Zudem sind wir eine Opfergruppe, die im Nationalsozialismus sehr gelitten hat. Die deutschen Sinti und Roma sind zu über 90 Prozent in den KZs ermordet worden. Das sollte man doch in den Köpfen präsent halten.
"Der Völkermord kommt in den Schulen kaum vor"
BSZ Der Völkermord an Sinti und Roma wurde erst spät anerkannt. Wie steht es um die Aufklärungsarbeit heute, zum Beispiel an den Schulen?Schneeberger Wir haben die Politik bereits vor zehn Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass in bayerischen Schulbüchern kaum etwas über den Völkermord an Sinti und Roma steht. Die Wichtigkeit des Themas scheint nun aber bei Kultusminister Spaenle angekommen zu sein. Ich gehe, davon aus, dass sich da bald etwas ändert. Zurzeit läuft übrigens ein Zeitzeugenprojekt, in dessen Rahmen zwei Holocaustüberlebende an Schulen von ihren Erlebnissen in der Nazizeit berichten. Das Feedback der Schüler zeigt, dass sie das sehr beeindruckt.
BSZ Sie sagten, Sinti und Roma sind ganz normale Bayern. Gibt es auch etwas, wodurch sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden?Schneeberger Wir haben keine eigene Tracht oder Riten, aber einen besonderen Familiensinn. Und was uns Sinti auch ausmacht, ist unsere eigene Sprache Romanes. Sie gibt uns ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Natürlich sprechen wir in der Familie viel Deutsch, aber wir pflegen auch die alte Sprache. Leider finden das viele junge Leute aber nicht mehr cool, die Hälfte der deutschen Sinti spricht Romanes deshalb gar nicht mehr.
BSZ Gibt es in Bayern so etwas wie ein Kultur- und Begegnungszentrum, in dem sich Sinti austauschen können?Schneeberger Leider nein, wir würden uns so etwas wünschen. Baden-Württemberg hat in Mannheim ein Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung, das auch vom Land gefördert wird. Der Freistaat aber lehnt das ab. Dass wir unseren Vertrag jetzt bekommen, verdanken wir der Weltoffenheit von Ministerpräsident Horst Seehofer. Ich bedauere sehr, dass er sein Amt abgibt.
(
Interview: Angelika Kahl)
Foto (dpa): Erich Schneebergers (67) Eltern waren Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau.
Info: Sinti und Roma
In Deutschland leben etwa 50 000 Sinti und 20 000 Roma. Der Name Sinti (der Sinto, die Sintezza) verweist wohl auf die Region Sindh in Nordwestindien, aus der der Stamm ursprünglich stammt. In Deutschland sind die Sinti seit etwa 600 Jahren beheimatet. Der Name Roma (der Rom, die Romni) bedeutet „Männer“ und bezeichnet laut Landesverband deutscher Sinti und Roma Stämme überwiegend aus Südosteuropa, die vor etwa 200 Jahren zugewandert sind. Die Sprache der Sinti und Roma – das Romanes – entstammt der alten indischen Sprache Sanskrit. Sie wird mündlich weitergegeben. Da Sinti und Roma zwei eigenständige Gruppen sind, haben auch ihre Sprachen unterschiedliche Entwicklungen genommen und unterscheiden sich signifikant.
(aka)
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