Für die Grünen läuft es derzeit alles andere als gut. Die Wahl in Brandenburg ist die vierte in Folge, bei der die Grünen Stimmen verloren haben. Im Bund liegen sie aktuell nur noch bei 10 Prozent. Und die CSU beharrt darauf, im Bund keinesfalls mit den Grünen zu koalieren.
BSZ: Frau Lettenbauer, der Bundesvorstand der Grünen tritt zurück, führende Köpfe der Parteijugend gehen von der Fahne – was ist los bei den Grünen?
Eva Lettenbauer: Man muss das getrennt voneinander betrachten. Der Bundesvorstand hat den Weg für einen Neustart frei gemacht, weil er nach den verlorenen Wahlen in Ostdeutschland gesehen hat, dass wir etwas ändern müssen. Dieser Schritt zeugt von Größe. Aus der Grünen Jugend verlassen uns einige Funktionäre, weil sie sich weniger parteipolitisch engagieren wollen. Der Großteil der Organisation bleibt uns erhalten. Alle, die weiter in der Grünen Jugend mitarbeiten wollen, sind uns herzlich willkommen. Wir brauchen eine kritische und meinungsstarke Jugend.
BSZ: Den Grünen laufen aber vor allem die Wähler*innen davon. Warum funktioniert das grüne Narrativ nicht mehr?
Lettenbauer: Es zeigt sich, dass in den Wahlkämpfen die Sorgen der Menschen um wirtschaftliche Stabilität, finanzielle Absicherung sowie die Sicherheit und die Migration im Mittelpunkt gestanden haben. Wir müssen mit den Menschen noch viel intensiver ins Gespräch kommen und dabei unsere Ideen viel prägnanter einbringen.
BSZ: Die Kernthemen der Grünen beim Klimaschutz, der Demokratiegefährdung von rechts oder der sozialen Ungleichheit haben nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Warum dringen Sie damit nicht mehr durch?
Lettenbauer: Ich fange bei uns selber an: Sowohl im Europawahlkampf als auch den Wahlkämpfen in Ostdeutschland haben wir sehr stark auf die Gefahr von rechts aufmerksam gemacht. Den Kampf gegen rechts verbinden die Menschen aber ohnehin mit uns. Ich habe aus vielen Gesprächen mitgenommen, dass die Leute wissen wollen, wofür wir kämpfen – also Klimaschutz, mehr Kita-Plätze, Investitionen in die marode Infrastruktur, eine bessere finanzielle Situation junger Familien. Da haben wichtige Angebote in der Kampagne zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, der Schwerpunkt war falsch. Und dann gibt es noch externe Gründe.
BSZ: Welche zum Beispiel?
Lettenbauer: In den sozialen Medien ist sehr viel Desinformation gerade über uns Grüne unterwegs. Wir können oft selbst nicht bestimmen, wie die Öffentlichkeit uns wahrnimmt. Das ist oft fremdbestimmt von anderen Parteien oder Gruppierungen irgendwo aus dem Internet. Auch die CSU mit Markus Söder trägt dazu bei.
BSZ: Wie sehr belastet die Beteiligung an der Ampel?
Lettenbauer: Die belastet uns. Die Wahlkämpfe haben sich zuletzt hauptsächlich um Bundespolitik gedreht. Da hilft uns das Erscheinungsbild der Ampel als Grüne wenig. Natürlich ist es schwierig, in einer Dreierkonstellation zu regieren, aber trotzdem müsste es viel besser laufen. Wir müssen auch viel besser kommunizieren, was wir alles erreicht haben in dieser Koalition, zum Beispiel bei den Themen Energiewende, schnellere Arbeitserlaubnisse für Geflüchtete oder zusätzliche Investitionen für die Bahn. Aber klar, vielen Menschen ist das zu wenig.
BSZ: Die Spitze der Grünen Jugend in Bayern begründet ihren Austritt mit dem Satz: „Die Grünen sind nicht mehr das linke Projekt, das wir uns wünschen.“ Machen die Grünen zu viele Kompromisse?
Lettenbauer: Beim Heizungsgesetz ist auch mir schnell aufgefallen, dass die finanzielle Unterstützung für die Menschen zu gering ausfällt. Da haben wir Grüne mit einer Maximalförderung von nun bis zu 70 Prozent nachgebessert. SPD und FDP mussten davon erst überzeugt werden. Das zeigt doch, dass wir die finanzielle Absicherung der Menschen im Blick haben. Das ist linke Politik im besten Sinne. Und es gibt noch viel zu tun. Ansonsten gehören Kompromisse zu einer Koalition. Sonst wäre Regieren gar nicht möglich.
BSZ: Aber ist es nicht so, dass die Grünen in der Ampel die Erwartungen gerade junger Menschen enttäuscht haben? Ich nenne mal das ausgehöhlte Klimaschutzgesetz.
Lettenbauer: Ich verstehe den Frust und die Enttäuschung. Auch wir als Grüne haben beim Klimaschutzgesetz für mehr gekämpft. Würden wir alleine regieren, sähe das ganz anders aus: bessere Unterstützung der Wirtschaft bei der Transformation, schnellerer Kohleausstieg und Ausbau der Erneuerbaren.
BSZ: Wie erklären Sie aktuell den Jugendlichen, dass das Deutschlandticket teurer, die Besteuerung des sprichwörtlichen Porschefahrers aber nicht erhöht wird?
Lettenbauer: Wir wollen beides: bezahlbare Mobilität und eine stärkere Beteiligung von Millionären an Gemeinschaftsaufgaben. In der Koalition ist das aber nur schwer durchzusetzen, vor allem weil die FDP Klientelpolitik für Spitzenverdiener macht.
BSZ: Auf den Punkt gebracht: Haben die Grünen den Realitätscheck als Regierungspartei nicht bestanden oder lässt man sich ständig von der FDP über den Tisch ziehen?
Lettenbauer: Die Realität haben wir auf dem Schirm. Wir Grüne kommen aus allen Ecken Deutschlands und wissen, was die Menschen bewegt. Und manchmal muss man eben Kompromisse schließen, die uns auch nicht gefallen. Trotzdem hat es Erfolge gegeben. Wir müssen darüber noch mehr reden, aber in der Koalition auch noch härter verhandeln.
BSZ: Halten Sie es für sinnvoll, noch ein Jahr in dieser Koalition zu bleiben?
Lettenbauer: Ich bin dafür, Monat für Monat zu prüfen, ob die Koalition aus unserer Sicht noch funktioniert. Aktuell sehe ich den Punkt für ein Scheitern nicht erreicht. Vom Weglaufen ist noch nie etwas besser geworden.
BSZ: Wie sollten sich die Grünen inhaltlich für die nächste Bundestagswahl im Jahr 2025 aufstellen? Eher links oder in der Mitte anschlussfähig?
Lettenbauer: Für mich ist das kein Widerspruch. Ich denke nur an unser Ziel eines sozial ausgewogenen Klimaschutzes. Es sollte unser Anspruch bleiben, für eine breite Mehrheit der Menschen Politik zu machen.
BSZ: Die Migrationspolitik wird auch im Bundestagswahlkampf eine zentrale Rolle spielen. Müssen die Grünen – angesichts der Stimmung im Land – ihre liberale Flüchtlingspolitik überdenken?
Lettenbauer: Unsere Außenministerin Annalena Baerbock arbeitet seit Jahren daran, die Flüchtlinge über Europa fair zu verteilen. Das ist für mich der richtige Weg. Auf dieser Grundlage gibt es jetzt eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Grenzschließungen innerhalb der EU sind dagegen unseriös und wirtschaftsschädlich. Das löst keine Probleme. Unabhängig davon müssen wir die Kommunen bei Unterbringung und Integration besser unterstützen. Da haben wir in Bayern Nachholbedarf.
BSZ: Es sieht so aus, als ob der Bundestagswahlkampf der Grünen ganz auf Robert Habeck ausgerichtet würde. Halten Sie das für richtig?
Lettenbauer: Robert Habeck ist ein guter Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Ich bin dafür, dass er im Bundestagswahlkampf eine Spitzenposition einnehmen sollte. (Interview: Jürgen Umlauft)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!