Politik

"Rettet die Bienen": Das Volksbegehren Artenvielfalt startet am 31. Januar. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

28.01.2019

Von Bienen und Joints

Das direktdemokratische Instrument Volksentscheid gibt es in Bayern schon hundert Jahre. Nicht alle Ideen haben es ins Gesetzbuch geschafft

Die Abschaffung der Studiengebühren, das strikte Rauchverbot oder die Streichung des bayerischen Senats: Einige Gesetze, die heute in Bayern gelten, wurden nicht von der bayerischen Regierung, sondern vom Volk angestoßen. Wie beim aktuellen Volksbegehren zur Rettung der Bienen hat sich im Freistaat schon mehr als 50 Mal eine Gruppe von Bürgern aufgemacht, um die Gesetze auf Landesebene zu ändern - mal mehr und mal weniger erfolgreich.

In diesem Jahr feiert die direkte Mitbestimmung des Volkes in Bayern runden Geburtstag. Erstmals erwähnt in der bayerischen Verfassung von 1919 gibt es die Möglichkeit seit hundert Jahren - zumindest auf dem Papier. Denn genutzt wurde sie bis 1946 - als nach Kriegsende die neue Bayerische Verfassung in Kraft trat - offenbar nicht.

Das Innenministerium hat jedenfalls keine amtlichen Statistiken zu Volksbegehren vor 1946. Simon Strohmenger, Sprecher beim bayerischen Landesverband von Mehr Demokratie, weiß von einem "Quasi"-Begehren im Jahr 1924. "Quasi deshalb, weil das Begehren, das das Amt des Staatspräsidenten wieder einführen wollte, gar nicht erst zugelassen wurde und es eine versteckte Parteieninitiative war."

Am Verfassungsgerichtshof gescheitert: Die Legalisierung von Cannabis

Damit aus einer Volksidee ein Gesetz oder eine Gesetzesänderung wird, ist es ein langer Weg. Zunächst braucht es 25 000 Unterschriften von Wahlberechtigten, die das Begehren unterstützen. Alleine hier scheiterten laut Mehr Demokratie bis 2017 insgesamt 31 Anträge.

Werden die Stimmen erreicht, müssen sie beim Innenministerium abgegeben werden. Das entscheidet, ob der Vorschlag gesetzeskonform ist. Im Zweifel befragt es den bayerischen Verfassungsgerichtshof. Laut Ministeriumssprecherin hat das Gericht von 19 Anträgen bisher 15 kassiert, unter anderem die Legalisierung von Cannabis. Die Begründung gegen die Joints: Der Antrag betrifft Bundesrecht.

Gibt es hingegen keine rechtlichen Bedenken, tritt wenige Monate später die zweite Phase ein: das Volksbegehren. Dafür müssen sich in Bayern zehn Prozent aller Wahlberechtigten in Listen eintragen. Bei der Bienenrettung werden fast eine Millionen Stimmen benötigt. Zwölf Volksbegehren sind laut Strohmenger an diesem Punkt gescheitert, unter anderem der Wunsch nach Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebensmitteln und das Verbot zum Klonen von Menschen.

Volksbegehren: Zehn Prozent der Wahlberrechtigen müssen sich  eintragen

Sein Verband fordert, die Hürde auf fünf Prozent zu senken. Zuletzt schaffte das Begehren zur Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium nur 2,9 Prozent. Die Wahlmöglichkeit wurde trotzdem eingeführt, der Landtag hat sie von sich aus beschlossen.

Knackt das Volksbegehren die Eintragungs-Hürde, ist zunächst der Landtag dran. Er kann den Vorschlag zur Gesetzesänderung einfach annehmen. Eingetreten ist dieser Fall bisher nur einmal: Als 2013 der Landtag dem Nein zu Studiengebühren zugestimmt hat. Lehnt der Landtag das Begehren jedoch ab, sind die Bürger wieder am Zug - es kommt zum Volksentscheid und alle Stimmberechtigten dürfen mit Ja oder Nein über den Vorschlag abstimmen. Eine einfache Mehrheit für Ja reicht aus, damit das Gesetz geändert wird. Doch der Landtag kann auch einen Gegen- oder leicht veränderten Vorschlag bei der Abstimmung vorlegen.

19 Mal wurden die Bayern seit 1946 aufgerufen, eine solche Volksentscheidung zu treffen. Allerdings: In 13 Fällen kam die Idee dazu nicht aus dem Volk. Denn einen Volksentscheid gibt es auch dann, wenn die bayerische Verfassung geändert werden soll. "Diese Entscheide finden meist gemeinsam mit anderen Wahlen - beispielsweise bei Landtagswahlen statt", sagt Stohmengler. Unter diese Kategorie fällt auch der erste "echte" Volksentscheid in Bayern 1964: die Bürger wurden ausgerechnet gebeten, die bayerische Verfassung anzunehmen. Sie taten das mit einer Mehrheit von 70 Prozent.

Volksentscheid zum Rauchverbot: Initiator bekommt bis heute Morddrohungen

In Bayern war von den sechs Volksentscheiden "von unten" bisher genau die Hälfte erfolgreich: Die Einführung kommunaler Bürgerentscheide 1995, die Abschaffung des Bayerischen Senats 1998 und das strenge Rauchverbot 2010. Für Strohmengler am spektakulärsten war die Entscheidung von 1995, als es darum ging, auch auf kommunaler Ebene die Mitentscheidung der Bürger zuzulassen. "Damals hat das Volk ganz klar gegen den Landtag rebelliert, der ebenfalls eine Vorlage zur Abstimmung gestellt hatte. Obwohl zu der Zeit eigentlich nur die Atomkraft die Menschen auf die Barrikaden brachte, ging ein demokratischer Ruck durch Bayern." Zwischen 1995 und 2017 fanden auf kommunaler Ebene mittlerweile fast 3000 Bürgerentscheide statt.

Am emotionalsten wurde laut Strohmengler der Volksentscheid um das Rauchverbot geführt. Der Initiator Sebastian Frankenberger bekommt bis heute die Wut der Raucher zu spüren - bis hin zu Morddrohungen. Dennoch sagt er: "Das Nichtraucherschutzvolksbegehren war eine der ersten großen Social-Media-Kampagnen und von einer unglaublichen Gemeinschaft getragen." Und: "Ich würde es jederzeit wieder machen."

Doch auch die drei vermeintlich erfolglosen Volksentscheide haben es ins Gesetzbuch geschafft: beim Begehren zur Schulrefom 1968, der Rundfunkfreiheit 1973 und bei der Neuorganisation des Abfallrechts 1991 wurde jeweils der Kompromiss des Landtags angenommen.

Trotz so manch gescheiterter Initiative und hoher Hürden stuft der Verein Mehr Demokratie den Freistaat bei der Volks-Mitbestimmung im Bundesvergleich seit Jahren als Spitzenreiter ein. Mit sechs Volksentscheiden, die durch Unterschriftensammlungen eingeleitet wurden, liegt Bayern im bundesweiten Vergleich knapp hinter Hamburg auf Platz zwei - dort gab es bisher sieben Entscheide. Wie der Volksbegehrensbericht 2017 des Verbands zeigt, gab es überhaupt erst in sieben Bundesländern Volksentscheide "von unten", in den meisten wurde das Instrument erst in den 90er-Jahren eingeführt.

Auch Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betont: "Bayern hat mit vielen Volksbegehren und Volksentscheiden hervorragende Erfahrungen gemacht. Wir sind stolz darauf, dass das Volk in Bayern bei der Gesetzgebung mitwirken kann."
(Elena Koene, dpa)

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