Politik

Kinderarmut bringt oft soziale Ausgrenzung mit sich. (Foto:dpa/Gero Breloer)

03.01.2020

Vor allem die Kinder leiden

Bayern hat die bundesweit geringste Armutsquote – warum Verbände und Opposition dennoch Alarm schlagen

Die gute Nachricht: Die Armutsgefährdungsquote in Bayern, gegenüber dem Vorjahr leicht auf 11,7 Prozent gesunken, ist die niedrigste in ganz Deutschland. Bundesweit liegt sie bei 15,5 Prozent, in Bremen sogar bei 22,7 Prozent. Das freut Margit Berndl, Vorstand des Paritätischen in Bayern. Eine schlechte Nachricht hat sie aber auch: „Der gute Durchschnittswert darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Bayern Regionen gibt, in denen sich trotz des Positivtrends die Zahlen verschlechtert haben“, betont Berndl. In Teilen Ober- und Mittelfrankens sowie in Ingolstadt zum Beispiel sei die Armutsgefährdung gestiegen. Spitzenreiter in Bayern ist Hof mit einer Armutsgefährdungsquote von 14,6 Prozent.

Wenn von Armut in Deutschland die Rede ist, geht es weniger um Hunger oder direkte Not. Armut wird über das Haushaltseinkommen und die daraus folgenden Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe definiert. Die Armutsgefährdungsquote gibt den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. In Bayern liegt die Grenze bei einem Single laut der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1040 Euro. „In Bayern sind fast 1,9 Millionen Menschen von Armut bedroht“, erklärt Thomas Beyer, Chef der AWO im Freistaat, die eine Armutsrisikoquote von 14,5 Prozent in Bayern errechnet hat. Besonders betroffen: Alleinerziehende und deren Kinder. Rund 250 000 Kinder seien im Freistaat von Armut bedroht, so Beyer. „Das ist beschämend.“ Armut sei längst kein Randthema mehr, so Beyer, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Eine Forderung, die von Wohlfahrtsverbänden, Grünen und SPD deswegen immer wieder kommt: die Einführung einer sogenannten Kindergrundsicherung, in der alle staatlichen Leistungen für Kinder unbürokratisch zusammengefasst werden. „Es ist doch Wahnsinn, dass diejenigen mit hohem Einkommen über den Kindergeldfreibetrag letztendlich mehr Geld bekommen, als die mit niedrigem Einkommen“, ärgert sich AWO-Chef Beyer. Sein Vorschlag: Jede Familie bekommt den selben Kindergeldgrundbetrag, der dann zusammen mit dem Haushaltseinkommen besteuert wird. So bleibt für Kinder aus einkommensschwächeren Familien mehr übrig. Der paritätische Wohlfahrtsverband fordert darüber hinaus eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und einen armutsfesten Mindestlohn.

Wohnungsnot und hohe Mieten begünstigen Armut

„Das Risiko der Verarmung ist für Menschen in Bayern deutlich geringer als in anderen Bundesländern, wir haben auch die geringste Quote an Soziahilfeempfängern“, betont die CSU-Landtagsabgeordnete Sylvia Stierstorfer. Allerdings sei jeder einzelne Mensch, der in Armut lebt, einer zu viel. „Wir müssen daher gerade besonders von Armut gefährdete Gruppen wie Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern, Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose in den Blick nehmen“, erklärt sie. Und sieht die Staatsregierung dabei bereits gut aufgestellt. Junge Familien und Pflegebedürftige würden zum Beispiel mit dem Familiengeld und dem Landespflegegeld gefördert, so Stierstorfer. Außerdem unterstütze der Freistaat nicht nur die Tafeln. „Er hat heuer auch mit fünf Millionen Euro Startkapital eine Stiftung Obdachlosenhilfe Bayern gegründet.“ Insgesamt stelle die Staatsregierung im aktuellen Doppelhaushalt 7,2 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen bereit, betont Stierstorfer.

Den Grünen aber reicht das nicht. „Sozialpolitik für sozial schwache Familien muss zielgerichtet statt mit der Gießkanne erfolgen“, fordert deren sozialpolitische Sprecherin Kerstin Celina. „Die Söder-Regierung fördert aber beispielsweise bisher mit dem Baukindergeld plus nur eine kleine Gruppe und mit der Stiftung Obdachlosenhilfe nur punktuelle Projekte.“ Was es aber dringend bräuchte: günstigen Wohnraum für alle Familien, Alleinerziehende und sozial schwache Personengruppen. Außerdem sollten die Kommunen zur Vermeidung der Obdachlosigkeit strukturell unterstützt werden.
Doris Rauscher (SPD), Vorsitzende des Sozialausschusses, fordert kommunale Präventionsketten, mehr Stellen und eine bessere Finanzierung für die Jugendsozialarbeit an Schulen. Angebote, die die ganze Familie von Beginn an begleiten und Hilfestellung in schwierigeren Situationen bieten, wären wichtige Präventionsmaßnahmen, erklärt sie und bemängelt: „Die Staatsregierung steckt zu wenig Engagement in nachhaltige Gegenmaßnahmen.“

Zum Beispiel in die Bekämpfung der Wohnungsnot. Steigende Mieten gehören zu den Hauptursachen für Armutsgefährdung, erklärt AWO-Chef Beyer. In München etwa haben mehr als 9000 Menschen keine Wohnung, hieß es jüngst bei der ersten katholischen Armutskonferenz auf Einladung der Caritas. Die Kirche fordert die Landesregierung auf, mehr Sozialwohnungen anzubieten – und will selbst mit gutem Beispiel vorangehen: 30 Prozent des Wohnungsbestands der katholischen Kirche soll künftig für Sozialwohnungen bereitgestellt werden. Stierstorfer indes verweist darauf, dass im Freistaat bereits 886 Millionen Euro in die soziale Wohnraumförderung fließen. Außerdem wolle die staatliche Wohnungsbaugesellschaft Bayernheim 10 000 Wohnungen für Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen bis 2025 schaffen.

Nicht immer aber fehlt es nur am Geld. AWO-Chef Beyer nennt ein Beispiel aus der Praxis: Schülerin Mira nimmt wegen eines angeblich wichtigen Termins nicht an einer Klassenfahrt teil. Der wahre Grund aber: Die Mutter hat dafür kein Geld und schämt sich, das zuzugeben. „Dabei haben die Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistung, also darauf, dass ihnen so etwas bezahlt wird“, erklärt Beyer. „Doch das wird in erschreckend hohem Maß nicht in Anspruch genommen, aus Unkenntnis oder aus Scham.“ Seine Forderung: Die Kommunen sollten die Betroffenen offensiv auf diese Möglichkeiten hinweisen.
(Lucia Glahn)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.