Politik

In anderen Bundesländern gibt es sogenannte Drogenkonsumräume. Dort können Abhängige unter anderem saubere Spritzen erhalten – es ist aber auch sofort Hilfe da, sollte beim Konsum etwas passieren. (Foto: dpa/Uli Deck)

19.07.2024

Vorurteile helfen nicht weiter

Immer mehr Drogentote in Bayern – warum ändert sich nichts?

Tagelang lag sie in der Wohnung, bis man sie endlich fand. Um die 50 war die Frau aus dem Landkreis Amberg. Lange hatte sie harte Drogen konsumiert. Opiate wie Heroin. Bayernweit sterben jedes Jahr Dutzende Menschen wie sie direkt oder indirekt am Drogenkonsum. 259 waren es 2023. Bundesweit starben fast 2230 Menschen.

Am 21. Juli wird alljährlich der verstorbenen Drogenkonsument*innen international gedacht. Fachleute setzen sich an diesem Tag außerdem für eine andere Drogenpolitik ein. Für Benjamin Treffert von der Caritas-Fachambulanz für Suchtprobleme in Amberg wäre in erster Linie die Politik gefordert. In Bayern, sagt er, gibt es bis heute keine Drogenkonsumräume: „Doch die würden definitiv Menschenleben retten.“ Spritzt ein Junkie daheim Heroin und kollabiert, kann er sterben. Kollabiert er in einem Drogenkonsumraum, ist sofort jemand da, der ihm hilft. In solchen Anlaufstellen wäre es außerdem einfacher, Konsumenten in kritischen Situationen darauf anzusprechen, ob sie es sich nicht vielleicht doch vorstellen könnten, an einem Substitutionsprogramm teilzunehmen oder gar abstinent zu werden. „Drogenkonsumräume würden viele Dinge erleichtern“, so der Amberger Suchtexperte.

In Amberg selbst arbeitet man gerade daran, einen Spritzentauschautomaten aufzustellen: „Das ist jedoch schwieriger als gedacht.“ Von Politik und Bevölkerung gibt es heftigen Gegenwind. Spritzentausch, heißt es, animiere zum Konsum. Immer wieder betont das Team der Caritas: Nein, es geht allein darum, Leid zu minimieren!

In München kümmert sich der Verein Condrobs um Konsumierende. Das geschieht unter anderem im Kontaktladen „limit“. Immer wieder, sagt Olaf Ostermann, der die Angebote für Ältere und für niedrigschwellige Hilfen von Condrobs in München leitet, sterben Menschen: „Bis zu 15 im Jahr.“ Überdosis ist ein Hauptgrund, allerdings nicht der einzige. Viele Drogenkonsumenten erliegen Langzeitfolgen.

Crack, Fentanyl, Badesalz: Es gibt viele Substanzen

Es kommt zu multiplem Organversagen. Zu Tumorbildung. Zum Schlaganfall. „Ein Drogentoter ist also nicht nur jemanden, bei dem die Spritze noch im Arm steckt“, so der Suchtberater. Allerdings gehen User, die an Langzeitfolgen sterben, nicht unbedingt in die Statistik ein. Die offiziellen Todeszahlen bilden also bei Weitem nicht die gesamte Misere ab.

Bis vor etwa 15 Jahren sei die Zahl der Drogentoten im Übrigen tendenziell gesunken, so Olaf Ostermann: „Irgendwann waren wir einmal bundesweit bei 900 Verstorbenen.“ In den letzten Jahren stiegen die Zahlen deutlich an. 2022 gab es laut dem Condrobs-Mitarbeiter in München einen Peak mit über 70 Verstorbenen. Bayernweit waren es 288. Letztes Jahr sank die Zahl in München auf knapp 50.

Die Gründe für das insgesamt hohe Sterbegeschehen sind schwer zu eruieren. Suchtberatungen beobachten, dass die Zahlen seit Beginn der Krisenzeiten wachsen. Durch den Ukraine-Krieg und die Inflation steigt die Bedürftigkeit in der Bevölkerung. Suchtkranke sind besonders hart betroffen. Zu vermuten sei aber auch, so Olaf Ostermann, dass immer gefährlichere Substanzen konsumiert würden: „In Westdeutschland ist Crack inzwischen weitverbreitet.“ Zwischen 2012 und 2015 habe man auch hohe Zahlen von Fentanyl-Konsum in Bayern registriert. Auch daran seien Menschen gestorben. Diesbezüglich geht der Trend aktuell zurück. Dafür sind psychoaktive Substanzen wie Badesalz en vogue: „Die sind im Internet leicht zu bestellen.“

Olaf Ostermann plädiert für mehr Prävention bei Jugendlichen und, wie sein Kollege Benjamin Treffert aus Amberg, für Drogenkonsumräume im Freistaat. Außerdem sollte eine spezielle Drogenberatung für junge Menschen angeboten werden. Schließlich müsse personell auf die wachsende Nachfrage reagiert werden.

In Bayern dürfe es keine Region geben, die drogenfrei ist. „Auch bei uns im beschaulichen Weiden wird konsumiert“, berichtet Michaela Lang von der Weidener Caritas-Fachambulanz. Und auch in und rund um Weiden wird gestorben. Bei einem der Verstorbenen handelte es sich um einen Mann Mitte 30, der just von der Therapie kam. Er wurde rückfällig. Und nahm die gleiche Dosis wie zuvor. Was sein Körper nicht mehr gewohnt war. Auch nach Haftentlassung kommt es immer wieder zur Überdosierung. Und auch hier sind meist junge Männer um die Mitte 30 betroffen.

Michaela Lang würde sich mindestens eine zusätzliche Stelle wünschen, um intensiver mit Drogenkonsumenten arbeiten zu können. Außerdem träumt sie davon, in Weiden Begegnungsräume für Abhängige zu schaffen – wenn es schon keinen Drogenkonsumraum geben darf.

Anlässlich des Gedenktags für verstorbene Drogenkonsumt*innen fordert sie schließlich mehr Einsatz für das Mittel Naloxon. Dabei handelt es sich um ein Notfallmedikament, das bei Überdosierung mit Heroin verabreicht wird und sich lebensrettend auswirken kann. In Naloxon-Schulungen werden Konsument*innen befähigt, sich damit gegenseitig zu helfen: „Doch die Nachfrage ist sehr gering.“ Dies liegt nach ihrer Beobachtung nicht zuletzt daran, dass Ärzte Naloxon-Initiativen nicht ausreichend unterstützen: „Wir wissen nicht, warum.“

Im Würzburger Ringpark wächst seit 2023 ein Gedenkbaum für Drogentote. Am 21. Juli um 11 Uhr wird dort eine Andacht gehalten. In München wird diesen Freitag, 19. Juli, von 11.30 bis 13:30 Uhr, eine Veranstaltung am Marienplatz organisiert. (Pat Christ)
 

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