München und der Freistaat wollen sich für die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele ab 2036 bewerben. Das überrascht: Nicht nur wegen der angespannten Haushaltslage, sondern auch, weil die Auflagen des Internationalen Olympischen Komitees sehr hoch sind. Dennoch steht die Politik im Freistaat geschlossen hinter der Bewerbung – selbst die AfD.
Bei der Münchner Olympiabewerbung für die Winterspiele 2022 wurde Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal durften die Menschen in München darüber abstimmen, ob sie die Spiele wollen. 53 Prozent lehnten sie bei dem Bürgerentscheid vor zwölf Jahren ab. „Es war kein Misstrauensvotum gegen München, sondern gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC)“, schrieb der Spiegel damals.
Doch das IOC steht nach wie vor in der Kritik – zuletzt wegen einer Studie der Deutschen Sporthilfe. Sie wittert Ausbeutung, weil das IOC durch die Spiele in Paris rund 5 Milliarden US-Dollar einnahm, davon aber nur 4 Prozent an die Athleten gingen. Viele müssen daher die Teilnahme aus eigener Tasche finanzieren – besonders Sportler aus Randsportarten wie Trampolinturnen. Das Investment lohnt sich nur bei einem Olympiasieg – und der muss dann noch versteuert werden.
Warum bewirbt sich München trotz der Kritik jetzt erneut? Vielfach wird auf die positive Stimmung bei den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024 verwiesen. Das ist auch der Grund, warum jetzt alle Fraktionen im Münchner Stadtrat dem Bewerbungsantrag der CSU-Fraktion aus dem Jahr 2022 zugestimmt haben.
Neben München+, das Plus steht für Nürnberg und Augsburg, bewerben sich auch Berlin+, Hamburg+ und die Region Rhein-Ruhr. Der Münchner Entwurf, der von der Landeshauptstadt, dem bayerischen Sportministerium und dem Münchner Olympiapark erarbeitet wird, sieht unter anderem vor, auf Neubauten weitgehend zu verzichten und dafür das Olympiastadion, die Olympia-Schießanlage und die Ruderregatta zu sanieren.
Das Konzept muss bis zum 31. Mai 2025 beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eingereicht werden. Im Herbst 2025 soll die Münchner Bevölkerung bei einem Bürgerentscheid erneut darüber abstimmen – das Urteil ist bindend. Bei einer Zustimmung entscheiden die DOSB-Mitglieder bis September 2026, welche Bewerberstadt den Zuschlag erhält.
Lässt sich der Erfolg von 1972 einfach wiederholen?
Bei einem Zuschlag rechnen sich Stadt, Freistaat und Olympiapark „riesige Chancen und Entwicklungsimpulse“ aus – nicht zuletzt beim Wohnungsbau. „Paris hat gezeigt, dass die Olympischen Spiele als Katalysator genutzt werden können, um städtische Projekte zu beschleunigen oder neue Stadtviertel zu entwickeln“, sagt Stadtplaner Mark Michaeli von der Technischen Universität München. Das sei auch bei den Spielen 1972 gelungen – etwa mit dem Olympiagelände, der U-Bahn und dem Mittleren Ring.
Daher ist es laut Michaeli trotz knapper Kassen klug, sich jetzt zu bewerben und bei einer Zusage die dadurch entstehenden Förder- und Investitionsprogramme des Bundes zu nutzen. Dabei müssten aber auch mögliche negative Folgen bedacht werden. Durch die Aufwertung des Stadtgebiets drohten beispielsweise höhere Mieten und Gentrifizierung.
Das IOC wirbt ausdauernd damit, dass sich trotz der hohen Investitionen und Auflagen die Spiele für alle Städte lohnen. Daran glaubte auch der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) im Jahr 2013. Heute sieht er das kritischer, „weil mir klar geworden ist, was für eine unglaubliche Zumutung der internationale Sport für die Bürger aller Städte darstellt“, sagte er 2022 rückblickend.
Die SPD im Landtag ist trotzdem optimistisch. Deren sportpolitischer Sprecher Arif Ta(¸s)delen ist überzeugt, dass das Olympische Dorf nach den Spielen in zusätzlichen Wohnraum umgewandelt wird. In Paris lag der wirtschaftliche Effekt laut SPD bei 3 Milliarden Euro. „Die Bewerbung setzt auf ein nachhaltiges Konzept, das den Klimaschutz berücksichtigt und auf bestehende Infrastrukturen zurückgreift“, sagt Taşdelen. Damit ist er auf einer Linie mit dem bayerischen Sportministerium.
Sportminister Joachim Herrmann (CSU) glaubt durch den weitgehenden Verzicht auf Sportstätten-Neubauten, kurze Wege zwischen den Austragungsstätten, die Nutzung erneuerbarer Energien und eine Priorisierung des öffentlichen Personennahverkehrs an nachhaltige Spiele. „Dazu gehört auch ein kluges, funktionierendes und alltagstaugliches Verkehrskonzept, von dem die Menschen vor, während und auch nach Olympia profitieren.“ Dazu zähle die zweite Stammstrecke, die bis dahin fertig sein soll, so Herrmann.
Die Grünen im Landtag sprechen sich ebenso für eine Bewerbung Münchens aus. Dabei warf Fraktionschefin Katharina Schulze dem IOC 2022 noch „Knebelverträge“ vor, „die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen“. Den Sinneswandel erklärt der sportpolitische Sprecher Max Deisenhofer: „Olympische Winterspiele in den bayerischen Alpen sind wegen der Klimakatastrophe nicht mehr vertretbar.“ Sommerspiele hingegen seien bei Sanierung statt Neubau aus ökologischer Sicht anders zu bewerten. Sein Credo: Besser hier als in der Wüste bei Autokraten.
So sehen es auch Freie Wähler und AfD: Der AfD-Abgeordnete Markus Walbrunn sieht enorme „ökonomische Chancen“ – vor allem durch den Tourismus. Zwar müsse der Freistaat wohl erhebliche Finanzmittel zuschießen. Aber: „Wir würden uns sehr freuen, dieses traditionsreiche Fest in unserer Stadt willkommen heißen zu dürfen.“
Kritik kommt vom Bund Naturschutz (BN) in Bayern. „Bisher hat keine der bisherigen Ausrichterstädte finanziell profitiert“, sagt ein Sprecher. Auch sei es unwahrscheinlich, dass die 70 Jahre alten Olympiasportstätten dem IOC genügen werden. „Alle Olympischen Spiele wurden im Vorfeld als die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten bezeichnet – das Ergebnis war ein anderes.“ So befürchtet der BN ein Verkehrschaos oder – wegen der Sponsorenverträge wie schon bei der Fußballweltmeisterschaft – ein Verkaufsverbot für Münchner Bier.
Auch die ÖDP im Münchner Stadtrat glaubt nicht an einen Erfolg. „Paris kalkulierte mit 2,4 bis 3 Milliarden Euro, die tatsächlichen Kosten belaufen sich auf 7,7 Milliarden“, sagt ÖDP-Stadtrat und ÖDP-Landeschef Tobias Ruff. Die bloße Bewerbung koste München mindestens 7 Millionen Euro – und das in einer ohnehin angespannten Haushaltslage.
Sylvia Schenk von Transparency International befürchtet nach dem bisher wenig transparenten nationalen Verfahren Intransparenz und unklare Kriterien im Entscheidungsprozess des DOSB. Immerhin: „Die Korruptionsrisiken innerhalb der Bewerberstadt München, korporatives Mitglied bei Transparency Deutschland, sind eher gering“, sagt sie. Eine „Euphorie“ kann sie nicht erkennen: „Die Bewerbung dümpelt nach meiner Beobachtung national vor sich hin, von Begeisterung oder Aufbruch ist nichts zu spüren.“ Der DOSB versuche sich durch die Bewerbung lediglich am eigenen Zopf aus dem Niedergang des Spitzensports zu ziehen.
Ob Deutschland oder gar München den Zuschlag bekommt? Konkurrenz kommt dieses Mal unter anderem aus anderen europäischen Städten, aus Indien, Ägypten und Indonesien. Es wird jedenfalls schwer: Seit 1986 sind deutsche Bewerbungen sieben Mal ohne Erfolg geblieben. (David Lohmann)
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