Anna Rasehorn wollte an jenem Tag Mitte Januar eigentlich nur in Augsburg Plakate für die Bundestagswahl aufhängen. Doch dann wurde die bayerische SPD-Landtagsabgeordnete attackiert. Ein Mann drohte der 33-Jährigen nach Parteiangaben Schläge an, drängte sie zurück und schubste sie.
Der Übergriff gegen die SPD-Frau ist kein Einzelfall. Quer durch die Republik häufen sich seit mehreren Jahren Übergriffe auf Wahlkämpfer. Am häufigsten werden AfD-Mitglieder gewaltsam attackiert, gefolgt von den Grünen. Das ergab eine AfD-Anfrage an die Bundesregierung. Im Jahr 2023 wurden Repräsentanten der AfD 86 Mal attackiert, Grünen-Personal 62 Mal. Addiert man Beleidigungen und andere Übergriffe hinzu, ergeben sich noch krassere Zahlen. Den vorläufigen Daten vom Januar 2024 zufolge waren in 478 Fällen AfD-Politiker und -Mitglieder betroffen, 420 Mal Sozialdemokraten sowie in jeweils knapp 300 Fällen Repräsentanten von FDP und Unionsparteien. Mit 1219 Angriffen im Jahr 2023 waren die Grünen am häufigsten betroffen.
Tritte ins Gesicht
Oft beginnt die Attacke mit einer Beleidigung. In Berlin etwa beschimpften im Dezember Zeugen zufolge mehrere Neonazis zwei SPD-Mitglieder an einem Infostand der SPD als „linke Zecken“. Dann sollen die Rechtsradikalen die Sozialdemokraten geschlagen und getreten haben. Den Wahlkämpfern zu Hilfe eilende Polizisten wurden ebenfalls attackiert. Ein Polizist und ein SPD-Mitglied mussten zur Behandlung in die Klinik. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sprach von einem „Angriff auf unsere Demokratie“
Es war der bislang heftigste Angriff auf Anhänger oder Funktionäre einer Partei im bisherigen Bundestagswahlkampf. Am 4. Januar 2025 pöbelte ein Unbekannter an einem Infostand der Grünen im Münchner Stadtteil Neuperlach die Wahlkämpfer zunächst an und zerstörte in der Folge den gesamten Infostand. Im gleichen Monat warf eine Lokalpolitikerin der Linken dem FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner bei einem Wahlkampftermin in Greifswald eine Torte aus Rasierschaum ins Gesicht.
Die Bereitschaft zur gewalttätigen politischen Auseinandersetzung scheine in Teilen der Bevölkerung zuzunehmen, sagte jüngst CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, ist überzeugt: „Wenn die Polizei nicht mit aller Kraft diesen Wahlkampf schützen würde, gäbe es Mord und Totschlag auf unseren Straßen.“ Immer öfter würden auch die zu Hilfe eilenden Polizisten attackiert, so Wendt im BSZ-Gespräch.
Schuld an der zunehmenden Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker ist Fachleuten zufolge auch die zunehmend aggressiv geführte politische Auseinandersetzung. Deshalb verpflichteten sich SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und die Linke im Dezember zu einer „Vereinbarung zu einem fairen Bundestagswahlkampf“ – mit mäßigem Erfolg. Noch immer titulieren manche Politiker ihre Kontrahenten als „Arschloch“ und Schlimmeres.
Schulungen für Wahlkämpfer mit Blick auf Attacken
Auch beim Wahlkampf für die Europawahl im Juni 2024 kam es zu teils massiven Attacken. Mehrere Politiker von Linken, AfD, CDU und Grünen sowie Sozialdemokraten wurden körperlich attackiert. Auf einen AfD-Politiker flog ein Aschenbecher. Und Matthias Ecke, sächsischer SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, wurde im vergangenen Jahr sogar so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus operiert werden musste. Der damalige Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) warnte Wahlkämpfer, „vorsichtig zu sein, nicht alleine die Plakate zu hängen, vor allem nicht in den Abend- oder Nachtstunden“.
Die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen „Amts- und/oder Mandatsträger“ stieg laut Bundeskriminalamt (BKA) 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent auf 5388. Laut BKA hat sich die Zahl der Straftaten gegen Mandatsträger seit 2019 von damals 1674 Straftaten in nur vier Jahren mehr als verdreifacht.
Über 3000 Beleidigungen
In den meisten der angezeigten Fälle handelte es sich um Beleidigungen. Diese verdoppelten sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr praktisch von 1791 auf 3156. Bei den Gewaltdelikten machten Erpressungsdelikte mit 69 (im Vorjahr 135) einen Großteil der Straftaten aus. Die Zahl der Körperverletzungen stieg von 17 im Jahr 2022 auf 27 im Jahr 2023.
Die Schutzmaßnahmen für Wahlkampfveranstaltungen wurden in den vergangenen Jahren verstärkt. So trat etwa Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck am vergangenen Samstag nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen in einer Halle statt auf dem Marienplatz auf. Im Vorfeld der Bundestagswahl haben manche Wahlkämpfer zudem Schulungen besucht.
Für den Wahlkampf der AfD ist die jetzige Situation eine große Herausforderung: Wahlkampfveranstaltungen können teils gar nicht mehr öffentlich bekannt gemacht werden – aus Angst vor Attacken durch politische Gegner. Häufig werden Wirte bedroht, die der AfD Räume für Wahlkampfveranstaltungen überlassen.
(Tobias Lill)
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