Politik

Bald ist Bundestagswahl. (Foto: dpa/Monika Skolimowska)

07.01.2025

Der Wahlkampf-Oldtimer

Eine Glosse von Hannes Burger

Wer als Oldtimer mit weißem Haar und diversen Ersatzteilen in der U-90 spielt, verfügt notgedrungen über genug sittliche Reife, um jungen Jammerlappen und Heulsusen von Wahlkämpfen aus der „guten alten Zeit“ zu erzählen: „Gegen des, was mir da früher erlebt hamm, war der Kriag gega de Breissen 1866 direkt a Sportveranstaltung!“ Aber um einen neumodischen vergleichenden „Faktencheck“ zu machen, ist der Wahlkampf im Frühjahr 1983 ein passenderer Vergleich. Hört gut zu, junge Hupfer, was der Opa Hannes erzählt:

Es war einmal ein Bundeskanzler Helmut Schmidt, der hatte im Oktober 1982 in seiner Partei und dann auch im Bundestag keine Mehrheit mehr, weil die Liberalen die Wirtschaftspolitik der SPD und deren Angst vor zu viel Wettrüsten nicht mehr mitmachen wollten. Daher wechselte die FDP die Seiten in eine Koalition mit der Union. Erst stellte Schmidt die Vertrauens-Frage und verlor sie ehrlich; danach stellte sie auch Bundeskanzler Helmut Kohl und verlor sie absichtlich, um im Frühjahr durch Neuwahlen eine neue Mehrheit zu erreichen.

"Werte Lügnerinnen und Lügner!"

Kurz nach der Wahl wurde beim Salvator auf dem Nockherberg entkrampfendes, versöhnliches und kräftigendes Fastenbier ausgeschenkt, um alle Verwundeten und Geknickten aufzurichten oder die Sieger im Übermut ihrer Politik zu mäßigen. In die Festrede für Walter Sedlmayr habe ich an die gereizten und ermatteten Wahlkämpfer eine Begrüßung aus ihren eigenen Zitaten geschrieben: „Sehr geehrte Herren Verbrecher und Verleumder! Werte Lügnerinnen und Lügner! Liebe müde und kalte Krieger, blutige Stümper, Dilettanten und Gaukler! Geschätzte geistige Brunnenvergifter, Bürgerkrieger und Brandstifter! Ehrenwerte Erpresser, Klassenkämpfer und Klimaverpester!“

Nach der erwarteten Unruhe im Saal ging es weiter: „Was is denn los? Ich begrüße Sie doch nur mit den gesammelten Titeln, die Sie sich reihum im Wahlkampf selber gegeben haben, um unser Vertrauen zu gewinnen! Also liebe Handlanger Moskaus und Speichellecker Washingtons, opportunistische Abstauber, Schaukelpolitiker und sesselklebrige Erbhofbauern, mittelmäßige Spießbürger und reaktionäre Maulhelden, rotgrüne Chaoten und linke Landsknechte! Ich begrüße Sie mit Hochachtung auch in Begleitung ihrer ahnungslosen Engel und nützlichen Idioten! Aber für Leidtragende dieses Gemetzels gilt in Bayern der faire Grundsatz: Geschlagene Gegner werden nicht vernichtet, denn man braucht sie ja noch zum Derblecken!“

"Schwoam mas owe!"

Unter den so Begrüßte saßen damals im Saal: Franz Josef Strauß, Hans-Dietrich Genscher, Hans-Jochen Vogel, Fritz Zimmermann, Otto Graf Lambsdorff, Theo Waigel, OB Georg Kronawitter, Edmund Stoiber, Josef Ertl sowie viele andere Minister und „Spitzenpolitiker“, von denen manche heute noch nicht vergessen sind. Aber noch keine Grünen! Niemand hat sich aufgeregt, niemand war beleidigt, alle Schwergewicht-Demokraten haben über sich selbst gelacht und sich wieder zugeprostet: Schwoam mas owe! Noch mehr Beispiele aus Wahlkämpfen gefällig?

Heute regen sich Hüter des „Fairnes-Abkommens“ der demokratischen Parteien schon über einen harmlosen „Trottel“ und ein gewöhnliches „Arschloch“ auf, was ja wie das Echo vom Königssee genauso zurückkommt. Der so angesprochene Kanzler Scholz sagt „Fritze Merz erzählt gern Tünkram“ und Saboteur Lindner habe „ohne sittliche Reife“ drei Jahre mit ihm regiert. Merz dagegen verbittet sich so plumpe Anreden und muss sich über den Kanzler in Europa fremdschämen, Lindner über den „linksgrünen Mainstream“, Habeck beschäftigt die Justiz mit Beleidigungsprozessen und entlarvt die Union als „Flunkerkanone“. Unsere Talkshow-Onkel und -Tanten pflegen ihre Sorgenfalten bei Stilkritik an der Verwilderung der Sitten. Macht es doch wie die Wähler: Nehmt euch nicht so ernst!

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