Es war ein Hilferuf. Knapp 40.000 Menschen in Bayern seien wohnungslos, warnte die Diakonie erst kürzlich. Und laut einer Studie des Pestel-Instituts fehlen im Freistaat fast 200.000 Sozialwohnungen. Als Folge leben viele Gering- und mitunter auch Normalverdienende in Wohnungen, die sie sich eigentlich nicht leisten können. In Ballungsräumen frisst die Miete schnell 40 oder 50 Prozent des Einkommens auf.
Doch bislang gelang es weder dem Bund noch dem Freistaat trotz enormer und teils kostspieliger Anstrengungen, den Wohnraummangel wirksam zu bekämpfen. Für dieses und das kommende Jahr stellt der Freistaat jeweils einen Rekordbetrag von rund 1,1 Milliarden Euro für die Wohnraumförderung in Bayern zur Verfügung. Und die Ampel pumpt allein 2024 knapp 3,2 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau.
Trotz des vielen Fördergelds sank die Zahl der Genehmigungen für den Bau von Wohnungen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres deutschlandweit drastisch – um 21,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 106.700. Und die Situation könnte sich weiter verschärfen: Das Ifo-Institut erwartet in den nächsten Jahren eine fortgesetzte Talfahrt. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen könnte hierzulande demnach im gesamten Jahr 2026 auf nur noch 175.000 absinken. Dies wäre ein Minus von über 40 Prozent im Vergleich zu 2022. Damals wurden noch knapp 300.000 Wohnungen innerhalb eines Jahres gebaut.
Immer wieder heißt es, ein wesentlicher Grund für die Flaute beim Wohnungsbau sei neben konjunkturellen Faktoren die enorme Bürokratie auf Länderebene. Die Staatsregierung will genau hier jetzt den Hebel ansetzen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will im Zuge seiner Entbürokratisierungsoffensive im Baurecht rund 30 Vorgaben abschaffen oder lockern. Vergangene Woche hat der Landtag in Erster Lesung drei Gesetzentwürfe der Staatsregierung zum Bürokratieabbau in Bayern beraten. Im Rahmen eines Modernisierungsgesetzes soll das Baurecht verschlankt werden. Bislang ist etwa die Errichtung von Kinderspiel- und Parkplätzen ab einer gewissen Größe eines Gebäudes Pflicht.
Mehr vor Ort entscheiden
Die Entscheidung darüber, ob es Spielgeräte oder Stellplätze tatsächlich braucht, soll künftig in die Hand der Kommunen gelegt werden. Setzt sich die Staatsregierung mit ihren Plänen durch, sollen zudem künftig Bauvorhaben wie ein Dachgeschossausbau, die Errichtung von Terrassenüberdachungen, der Bau von Gartenpools sowie mehrere weitere kleinere Maßnahmen verfahrensfrei sein. Überdies sollen Freiflächengestaltungssatzungen von Kommunen, in denen Vorgaben zur Verhinderung von Bodenversiegelung oder Nutzung standortgerechter Bepflanzungen gemacht werden konnten, komplett abgeschafft werden.
Der Bayerische Bauindustrieverband (BBIV) begrüßt die geplanten Reformen. Mit dem ersten Modernisierungsgesetz habe die Staatsregierung bestätigt, „dass es ihr mit der Initiative zum Bürokratieabbau ernst ist“, sagt dessen Hauptgeschäftsführer Thomas Schmid der Staatszeitung. Schmid zufolge sei „das Maßnahmenpaket geeignet, dem Wohnungsbau in Bayern neuen Schwung zu geben“. Der BBIV begrüße ausdrücklich die Anpassung der Garagen- und Stellplatzverordnung. Durch die Neuregelung erfolge „eine weitere Flexibilisierung im Hinblick auf die Stellplatzpflicht vor allem bei Neubauten“.
Dass die Pflicht zur Schaffung von Kinderspielplätzen und Stellplätzen künftig in kommunale Hände gegeben wird, begrüße man zwar grundsätzlich. Schmid hält jedoch ein nachlaufendes Monitoring hinsichtlich der Wirksamkeit der Neuregelung für sinnvoll. „In der Praxis muss sich erst zeigen, ob die Kommunen diese neue Flexibilität auch nutzen.“ Die geplanten Vereinfachungen bei den Brandschutzvorschriften seien „ebenfalls sinnvoll“. Diese erlaubten es, „durch einen intelligenten Ansatz im Brandschutzbereich Baukosten zu senken, ohne den Brandschutz einzuschränken“.
Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, stimmt den grundsätzlichen Anliegen des Gesetzentwurfs zu. Haack: „Überbordende Bürokratie lähmt die gesellschaftliche Entwicklung.“ An der konkreten Umsetzung übt die Kammer jedoch Kritik. „Erheblichen Nachbesserungsbedarf sehen wir insbesondere bei den Streichungen der Ermächtigungsgrundlagen für kommunale Satzungen.“ Darunter könne die Wohnqualität leiden. „Eine Siedlungsentwicklung, die sich an den Erfordernissen der Klimaanpassung, der Biodiversitätskrise und der notwendigen Durchgrünung der Siedlungsräume orientiert, braucht verbindliche Maßstäbe, die für alle gelten“, glaubt die Architektenkammer. Die Kommunen bräuchten hier „starke und wirksame Instrumente, wie sie bisher mit den Freiflächengestaltungssatzungen existieren“.
Die Architektenkammer lehnt die Kommunalisierung von Spiel- und Kleinkinderspielplätzen ab. „Damit würden künftig rein rechnerisch weniger Spielplätze geschaffen, was nicht sozial- und kindgerecht sein kann“, findet Haack. Der Bayerische Städtetag wiederum moniert, dass er nicht in die Vorbereitungen für die Baurechtsreform einbezogen worden sei. Auf Widerstand stößt unter anderem die Abschaffung der staatlichen Stellplatzpflicht. In Zeiten der Klimakrise sei dies „das falsche Signal“, teilt der Verband mit. Der Städtetag fürchtet, dass viele Hausbesitzer und Mieter dann mangels eigenem Parkplatz Straßen und Gehwege zuparken. Auch die Grünen kritisieren, dass den Kommunen zu viele Rechte genommen würden. Ob das wirklich so schlecht ist, muss sich jetzt in der Praxis zeigen. (Tobias Lill)
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