14 Jahre nach der Umstellung der bayerischen Gymnasien auf das G8 startet in der kommenden Woche offiziell wieder die neunjährige Variante. Für einen schleichenden Übergang sind bereits im vergangenen Schuljahr die Fünftklässler ins G9 eingeschult worden, sie kommen nun in die 6. Jahrgangsstufe. Der Gymnasiallehrer Bernd Sibler ist seit März 2018 bayerischer Minister für Unterricht und Kultus. Er geht von einem reibungslosen Neustart des G9 aus.
Frage: Mit dem neuen Schuljahr beginnt wieder das G9 - wie sieht die praktische Umsetzung aus? Ist alles fertig geworden?
Antwort: Die Schüler, die im vergangenen Schuljahr die 5. Klassen besucht haben und jetzt in die 6. Klasse kommen, sind unser erster Jahrgang des G9. Bei den Vorbereitungen hatten wir alle beteiligten Gruppen - Schüler, Eltern, Lehrer, Direktorenvereinigung - mit an Bord. In diesem Frühsommer konnte ich dann die neue gymnasiale Schulordnung mit der Stundentafel bis zur elften Klasse in Kraft setzen. Die Lehrpläne wurden mit genügend Vorlauf angefertigt und die Schulbücher rechtzeitig ausgeliefert. Die Lehrpläne für die oberen Jahrgänge werden noch gemacht. Wir sind auf jeden Fall gut vorbereitet für den offiziellen Start.
Frage: Was ist neu im neuen G9?
Antwort: Ein entscheidender Punkt ist der Nachmittagsunterricht. Gerade in Unter- und Mittelstufe war das die Kernkritik der Eltern am G8. Der Nachmittagsunterricht wurde deutlich reduziert. Wichtig ist auch, dass wir vor allem die Kernfächer wie Mathematik, Deutsch und Englisch gestärkt haben. Zudem haben wir die politisch-historische Bildung und den Informatikunterricht ausgeweitet.
Frage: Die Möglichkeit, das achtjährige Gymnasium zu absolvieren, bleibt aber weiterhin bestehen.
Antwort: Ja, auf der sogenannten "Überholspur" können unsere Schüler auch in Zukunft in acht Jahren ihr Abitur machen. Auch dieses Konzept ist schon sehr weit. In der 8. Klasse soll zunächst informiert, dann beraten und anschließend geschaut werden, wer dafür infrage kommen könnte. Die Schüler haben die Möglichkeit, die 11. Klasse zu überspringen - übrigens pädagogisch begleitet. Das bedeutet in der 9. und 10. Klasse entsprechende Förderangebote in den Hauptfächern.
Frage: Die CSU war lange Zeit gegen eine Rückkehr zum G9 - was sprach letztlich doch für die Kehrtwende?
Antwort: Da muss man sich zunächst die Situation Anfang der 2000er Jahre vor Augen führen mit fünf Millionen Arbeitslosen und einer angespannten wirtschaftlichen Situation. Deutschland war der kranke Mann in Europa. Das hat sich heute deutlich verändert. Früher waren die deutschen Abiturienten und Hochschulabsolventen im europäischen Vergleich wesentlich älter. Durch das G8 und die Umstellung auf Bachelor und Master hat sich das Alter verringert - insofern können wir unseren jungen Menschen durch das G9 wieder mehr Zeit einräumen. Natürlich ist es auch Teil der Wahrheit, dass viele Leute unzufrieden waren mit dem G8. Es gab eine Umfrage der Landeselternvereinigung der Gymnasien, deren Teilnehmer zu etwa 80 Prozent für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium gestimmt haben. Dann muss man eben auch einmal etwas rückgängig machen, wenn die Akzeptanz nicht da ist und sich die Rahmenbedingungen geändert haben.
Frage: An welchen Stellen könnte nachgebessert werden müssen?
Antwort: Das Konzept der Klassen 5 bis 11 steht und ist tragfähig. Mit einer Stärkung in den Bereichen politisch-historische Bildung, Informatik und Medienpädagogik mit Medienwirkungsforschung - wo es beispielsweise um Cybermobbing geht - reagieren wir auf aktuelle Entwicklungen. Wir haben uns auch bewusst dafür entschieden, den Beginn der zweiten Fremdsprache in der 6. Klasse beizubehalten. Das beruht auf der Erkenntnis, dass es sinnvoll ist, mit dem Sprachenlernen früher zu beginnen.
(Interview: Ute Wessels, dpa)
Opposition warnt vor Fehlstart
Der SPD-Mann Martin Güll, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Landtag warnt vor einem Fehlstart des G9. „Bei der Wiedereinführung des G9 stottert der Motor gewaltig. Ich vermisse ein pädagogisches Gesamtkonzept und kreative Ideen, wie wir die gewonnene Zeit am Gymnasium für die Schüler und Schülerinnen optimal nutzen können", sagt er. In ein pädagogisches Konzept für ein zukunftsweisendes Gymnasium müssten seiner Auffassung nach folgende Inhalte aufgenommen werden: Zeitgemäßes und umfassendes digitales Lernen, Vernetzung der Unterrichtsfächer und vernetztes Lernen sowie verstärkte Projektarbeit und selbst gesteuertes Lernen. Verbindlichkeit vermisst Güll bei der angekündigten verstärkten politischen Bildung und Demokratieerziehung. „Da wollen wir sicher sein, dass feste Zeitfenster vorgesehen sind.“
Der Freie Wähler Michael Piazolo, Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses, betont: "Mit dem G9 ist die Staatsregierung in der Bringschuld und muss bereits jetzt mehr Lehrkräfte einstellen und deren Zahl sukzessive erhöhen – nicht erst ab 2025." Auch, dass noch nicht entschieden ist, wie die Oberstufe des neuen G9 künftig aussehen soll, kritisiert er und erklärt: "Wir Freie Wähler fordern hier die Wiedereinführung von Leistungskursen sowie die Möglichkeit, mehr Wahlfächer zu belegen.“
Thomas Gehring (Grüne) warnt vor Unterrichtsausfällen, vor Überlastung der Lehrkräfte und vor einem Verlust der Bildungsqualität. So sei gerade an den Grundschulen in Bayern die Personalversorgung auf Kante genäht. Ein weiteres Problem sieht der grüne Bildungspolitiker in Punkto Qualität bei dem nun wiederbeginnenden G9. „Anstatt in Qualität zu investieren, werden hier zum neuen Schuljahr sogar Stellen eingespart, Lehrerstellen verringert und das setzt sich bis ins Jahr 2025 so fort.“ Was Gehring außerdem ärgert ist der starre Lehramtsbezug in der Lehrkräfteausbildung. (BSZ)
Kommentare (1)