Der chinesische Tourist konnte es kaum glauben. Fast zwei Stunden musste er am Füssener Bahnhof warten, bis ihn ein Linienbus in den einige Kilometer entfernten Ort unweit seines Hotels fuhr. Auch andere Touristen, die soeben Neuschwanstein besichtigt hatten, waren sauer.
Vor allem am Wochenende fahren in der Gegend rund um Bayerns wichtigstes touristisches Aushängeschild kaum Busse. Dabei ist die Situation im Allgäu noch weit besser als in den meisten anderen ländlichen Regionen im Freistaat. „In weiten Teilen Ostbayerns ist die ÖPNV-Anbindung auf dem Land katastrophal“, erläutert der renommierte Verkehrsforscher Heiner Monheim. Im Landkreis Straubing-Bogen fährt sonntags kein Bus, werktags sind es nur eine Handvoll Schulbusse. In Niederbayern und der Oberpfalz sitzen manche Menschen abseits der größeren Städte praktisch in ihren Orten fest. „Zudem sind Busse und Bahnen beim Umsteigen noch immer kaum aufeinander abgestimmt“, klagt Lukas Iffländer vom Fahrgastverband Pro Bahn.
Selbst schuld, wenn man da kein Auto hat, mag da mancher denken. In Zeiten des Klimawandels eine zynische Sichtweise. Die Zahl der Autos nimmt hierzulande kontinuierlich zu – auch und gerade auf dem Land. Den Preis für den wachsenden Spritverbrauch zahlen kommende Generationen. Zwar konnte Deutschland seinen Ausstoß an Kohlendioxid seit der Wiedervereinigung deutlich senken. Allerdings nahmen im Bereich Verkehr die CO2-Emissionen laut Bundesumweltamt zu, sie liegen mittlerweile um zwei Millionen Tonnen über denen des Jahres 1990. Im Jahr 2016 war der Verkehrssektor der Behörde zufolge bereits für fast ein Fünftel des Ausstoßes an Treibhausgasen Deutschlands verantwortlich – 95 Prozent davon gehen auf das Konto des Straßenverkehrs.
Vorbild Schweiz
Mobilitäts- und Klimaforscher sind sich weitgehend einig, dass die deutschen Klimaziele nur mit einer gleichzeitigen Verkehrswende erreicht werden können. „Doch die Landes- und Bundespolitik behandeln Bahn und öffentlichen Nahverkehr seit vielen Jahren stiefmütterlich“, sagt Bahn-Anhänger Iffländer. Noch immer werde viel zu wenig Geld in den Ausbau von Bahnstrecken gesteckt. Fast kein europäisches Land investiert weniger Geld in die Schienen-Infrastruktur als der angebliche Öko-Musterknabe Deutschland. 2016 waren es pro Einwohner gerade einmal 64 Euro. Zum Vergleich: In der Schweiz waren es mit 378 Euro sechsmal so viel – auch die meisten anderen EU-Staaten wie Großbritannien (151 Euro pro Kopf) und Österreich (198 Euro) nahmen deutlich mehr Geld in die Hand.
In Bayern ist nicht einmal jeder zweite Streckenkilometer elektrifiziert. Nicht selten tuckern auch auf den Verbindungen von München in europäische Hauptstädte alte Dieselloks. In der Schweiz sind 100 Prozent der Bahnstrecken elektrifiziert, selbst Dörfer verfügen oft über einen Bahnanschluss. Jede Ortschaft mit mehr als 200 Einwohnern hat einen gesetzlichen Anspruch auf einen Bahn-, Bus- oder Seilbahnanschluss.
Autofahrer werden bevorzugt
Längst fordern vielerorts in Bayern Anwohner die Wiederbelebung stillgelegter Strecken. „Doch die Landesregierung ist hier noch immer zu zögerlich“, kritisiert Iffländer.
Klar ist auch: Im Vergleich zu Nutzern anderer Verkehrsmittel werden Bahnfahrer von der Politik benachteiligt. Auf Bahntickets muss man für Fahrten über 50 Kilometer die vollen 19 Prozent Umsatzsteuer zahlen, für eine Übernachtung im Luxushotel aber nur 7 Prozent. Auch zählte die Bahn 2016 zu einem der größten Einzahler in das EEG-Umlagesystem; energieintensive und klimaschädliche Industrien sind dagegen in weiten Teilen von den Ausgleichszahlungen für die Förderung des Ökostroms befreit. Auch das Mineralöl für die Dieselloks wird versteuert, während das weit klimaschädlichere Flugbenzin steuerfrei ist. Im Vergleich zu Autofahrern werden Zugfahrer benachteiligt. In Deutschland ist die Nutzung der Autobahnen kostenlos, während Bahnanbieter im Fernverkehr Trassengebühren zahlen müssen – zugleich presst der Staat der DB Gewinne ab. Auch das Absetzen einer BahnCard100 von der Steuer sei noch immer weit schwieriger als das Absetzen eines spritfressenden Dienstwagens, so Iffländer.
Deutschland ist noch immer ein Autoland, Bayern ganz besonders. Die von der Staatsregierung in diesem Jahr beschlossenen zusätzlichen Millionen für den ÖPNV sind aus Sicht von Verkehrsexperten nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Noch immer ziehen auch wegen der schlechten Bahnanbindung viele Menschen in die Großstädte und treiben dort die Mieten in die Höhe. Am Ende verlieren viele, nur Autoindustrie und Immobilienkonzerne reiben sich die Hände.
(Tobias Lill)
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