Die Fundamente sind zum Teil bereits gebaut, doch jetzt steht der Windpark Wülfershausen/Wargolshausen im Landkreis Rhön-Grabfeld auf der Kippe. Denn mit einer im Landtag beschlossenen Änderung der Bauordnung fallen nun auch genehmigte, aber noch nicht fertiggestellte Windkrafträder unter die 10-H-Regel. Einem Bestandsschutz verweigerten sich CSU und Freie Wähler – sie torpedieren damit die Energiewende.
Ärger und Enttäuschung schwingen in jedem Satz mit, den Harald Schwarz äußert. Zutiefst frustriert sei er, sagt der Windenergie-Investor aus Wülfershausen im Landkreis Rhön-Grabfeld. „Ein Schlag ins Gesicht“ sei die Entscheidung gewesen, die der Bayerische Landtag vor gut zwei Wochen getroffen habe, als er in Sachen Windkraft für eine Änderung der Bayerischen Bauordnung votierte, gegen die Stimmen von Grünen, SPD und FDP.
Aiwanger hatte noch 2019 vollmundig angekündigt: „Wir retten diese Windräder“
Wegen dieses Beschlusses droht nun dem Windpark-Projekt Wülfershausen/Wargolshausen des Unternehmens Regio E2, in dem Schwarz als Geschäftsführer fungiert, das Aus. Obwohl schon acht von 13 Fundamenten gebaut sind. Obwohl die Anlagen als Bürgerwindräder geplant sind, um die Wertschöpfung in der Region zu halten. Und obwohl der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) in seiner Regierungserklärung Ende November 2019 noch vollmundig angekündigt hatte, man werde die juristischen Bedingungen so anpassen, dass dieses und andere Vorhaben verwirklicht werden könnten: „Wir retten diese Windräder.“
Diese Rettung ist gescheitert. Und zwar so gründlich, dass Schwarz inzwischen von „Lug und Trug in der Politik“ spricht. Starke Worte für jemanden, der sich in seiner Heimat 18 Jahre lang als Gemeinderat engagiert hat. Dabei war der unterfränkische Windpark schon 2014 genehmigt worden, wenige Monate, bevor im Freistaat die umstrittene 10-H-Regelung in Kraft trat. Sie schreibt zwischen Windkraftanlagen und Siedlungen einen Mindestabstand vor, der das Zehnfache der Anlagenhöhe beträgt. Wegen mehrerer Klagen und Baustopps verzögerte sich das Vorhaben im Landkreis Rhön-Grabfeld jedoch jahrelang. Mit der Folge, dass der genehmigte Anlagentypus – 199 Meter hohe Windräder der Firma Nordex – irgendwann nicht mehr lieferbar war. Deshalb wechselten die Planer zu moderneren Enercon-Windrädern, die nicht nur leiser und effizienter sind, sondern auch sechs Meter niedriger als die Nordex-Mühlen. Dafür genügte eine Änderungsanzeige – eine Praxis, die sogar das bayerische Bauministerium den Genehmigungsbehörden empfohlen habe, sagt Schwarz. Dann aber meldete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Zweifel an dieser Regelung an, sodass der Gesetzgeber gefragt war.
Zu einem Bestandsschutz für sämtliche betroffene Baugenehmigungen konnte sich die Regierungskoalition aus CSU und FW allerdings nicht durchringen, weil es offenbar vor allem bei den Christsozialen Vorbehalte gab. So einigte man sich auf einen Kompromiss. Wenn Windräder, bei denen sich der Anlagentypus geändert hat, schon in Betrieb sind, dürfen sie bleiben. Nicht aber diejenigen, die noch in Planung oder im Bau sind. So wie die 13 Anlagen von Regio E2. Für sie soll jetzt doch die 10-H-Regelung gelten. Jetzt droht ein Rückbau, was einen Schaden von rund elf Millionen Euro bedeuten würde, rechnet Investor Schwarz vor. Es sei denn, die Planer greifen auf die ursprünglich genehmigten Nordex-Anlagen zurück. Genau das überlege man momentan, sagt Joachim Keuerleber, Vertriebsleiter für Süddeutschland beim Windkraftanlagen-Hersteller Enercon, der Mitgesellschafter bei Regio E2 ist. „Vielleicht können wir die noch aus einer Auslandsproduktion bekommen.“ Was wie ein Schildbürgerstreich klingt, könnte schon bald Realität werden: dass in Bayern, das sich gerne als Hightech-Standort rühmt, Maschinen aufgestellt werden, die so gar nicht dem Stand der Technik entsprechen. Eine Aussicht, bei der Keuerleber nur noch den Kopf schütteln kann: „Wir verstehen das nicht mehr.“
Nicht nur die Windräder in Wülfershausen/Wargolshausen stehen wegen der neuen Regelung auf der Kippe. Insgesamt droht bis zu 38 geplanten Windrädern im gesamten Freistaat das Aus. Dennoch müht sich Aiwanger unverdrossen, den Beschluss zu rechtfertigen. „Wir müssen bei dieser Sache den Erfolg sehen, den wir errungen haben: Wir konnten rund 20 Anlagen retten.“
Matthias Grote, bayerischer Landesvorsitzender des Bundesverbands Windenergie (BWE) sieht das naturgemäß anders. Er verweist darauf, dass die Landtagsentscheidung Schaden in Millionenhöhe zur Folge habe. Und der Freistaat sende damit ein fatales Signal: „Wenn Projekte, bei denen ursprünglich die 10-H-Regelung nicht anzuwenden war, doch im Nachhinein daran scheitern, untergräbt dies das Vertrauen in staatliches Handeln.“
300 neue Windräder bis 2022? „Utopisch“ nennen Energieversorger diese Zahl
Denkbar schlechte Voraussetzungen also, um Investoren dazu zu bewegen, sich in Bayern zu engagieren. Dabei sieht das Ende November 2019 vom Wirtschaftsministerium veröffentlichte „Aktionsprogramm Energie“ genau das vor: Schon bis zum Jahr 2022 wolle man den Bau von 300 Windrädern initiieren, um die Energiewende voranzubringen, heißt es darin. Eine Zahl, die Grote, Keuerleber und Schwarz für utopisch halten. „Wo will der Aiwanger die denn hinstellen?“, fragt der Enercon-Vertriebsleiter. Wegen der 10-H-Regelung gebe es kaum mehr Standorte, die dafür infrage kämen. Ganz zu schweigen von den administrativen Hürden. Keuerlebers Fazit: „Ein kleines Atomkraftwerk zu bauen ist einfacher als eine Windkraftanlage in Bayern.“
Auch die geringen Zuwachsraten in den vergangenen Jahren stimmen pessimistisch. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums gingen 2018 acht und 2019 fünf Windräder in Betrieb – im gesamten Freistaat. Im ersten Quartal 2020 registrierte man immerhin sechs Neustarts. Noch schlechter sieht es bei den Genehmigungen für neue Anlagen aus: 2018 wurden zwölf erteilt, 2019 waren es fünf und im ersten Quartal 2020 keine einzige. BWE-Landeschef Grote wundert das nicht: „Unter diesen politischen Voraussetzungen will keiner mehr eine Windkraftanlage bauen.“ Daran dürfte auch die Windenergieoffensive „Aufwind“ wenig ändern, die das Ministerium Ende 2019 gestartet hat. Ihr Kernstück: sieben „regionale Windkümmerer“, die ab September in allen bayerischen Regierungsbezirken Gemeinden und Städte bei der Planung und Umsetzung von Windrädern unterstützen sollen. Was bei Fachleuten für Hohn und Spott sorgt. Davon zeugt der Spitzname, der den Neulingen schon vor ihrem Amtsantritt verpasst wurde: In der Branche, sagt Keuerleber, tituliere man sie inzwischen als „Windverkümmerer“.
(Brigitte Degelmann)
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