Bis spätestens März will der Freistaat dem Bund Vorschläge vorlegen, wie in Bayern die Kapazität der Windkraft trotz der umstrittenen Abstandsregelung (10H-Regel) hochgefahren werden kann. Darauf einigten sich vor Kurzem Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Bundesklimaschutz- sowie Bundesenergieminister Robert Habeck (Grüne) bei einem Treffen in München.
Zudem hat Ministerpräsident Söder schon letztes Jahr erklärt, dass Bayern als erstes Bundesland bis 2040 klimaneutral sein soll. Dieses Ziel des Freistaats unterstützen auch die bayerischen Energieversorger. Allerdings dürfte die Sache aus Sicht der bayerischen Staatsregierung einen Haken haben. Denn die im Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) organisierten Unternehmen wollen dem Windkraftausbau in Bayern jetzt zu neuem Schwung verhelfen. Sie haben in ihrem neuesten Positionspapier Argumente für die Nutzung dieser umweltfreundlichen Stromerzeugung aufgezeigt.
Die bayerischen Energieversorger sehen die Windenergie insbesondere als Komplementär zur Photovoltaik, Wasserkraft und Bioenergie bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung. Bei einem breiten Energiemix erneuerbarer Energieträger können wetter-, tages- und jahreszeitbedingte Schwankungen abgemildert und damit der Netz- und Speicherausbaubedarf am besten reduziert werden.
Sachlich informieren
„Wir wollen die Bevölkerung auf sachlicher Grundlage informieren und nicht auf Stammtischniveau verunsichern“, so VBEW-Geschäftsführer Detlef Fischer. Wind sei in ganz Bayern vorhanden, und die Stromproduktion daraus werde immer günstiger.
Dafür benötigt man aber laut Bernd Wust, dem Landesvorsitzenden des Bundesverbands Windenergie (BWE), moderne Anlagen. Die haben allerdings eine Nabenhöhe von 160 Metern. Und schon geraten sie in Konflikt mit der 10H-Regelung. Diese besagt, dass ein Windrad einen Abstand von mindestens dem Zehnfachen seiner Höhe zur nächsten Siedlung einhalten muss, sonst wird die Genehmigung stark erschwert – das entspricht in der Regel einer Entfernung von mehr als zwei Kilometern.
Die 10H-Regel kann auch uminterpretiert werden
„Wir erwarten deswegen, dass sich Bayern von der 10H-Regelung verabschiedet und stattdessen die Steuerung der Windenergie über die Regionalplanung wieder aufnimmt“, sagt Wust. Er betont, dass auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, der VBEW sowie große Umweltverbände wie der Bund Naturschutz und der Landesbund für Vogelschutz das fordern.
Die von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigten „Ausnahmen“ von der 10H-Regelung mögen als Schritt in diese Richtung gemeint sein, sind aber bei Weitem nicht ausreichend. „Wir halten es weder für sinnvoll noch für rechtlich durchführbar, den Ausbau der Windenergie allein auf Staatsforstflächen zu konzentrieren. Vielmehr müssen wir ohne Ansehung der Eigentümerstellung die am besten geeigneten Standorte identifizieren“, unterstreicht Wust. Dies funktioniere nur, indem man gesetzliche Mindestabstände ohne Schutzgehalt zur Seite legt und im Rahmen der Regionalplanung unter Berücksichtigung aller Belange die am besten geeigneten Flächen ausweist. Diese können in Staatsforsten liegen, aber auch in privaten Waldgebieten oder auch auf Freiflächen.
Repowering, also die Leistungsverbesserung bestehender Windkraftanlagen, ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Allerdings ist das Repowering-Potenzial in Bayern in den nächsten Jahren ziemlich überschaubar.
Die 10H-Regelung, an der Bayern laut Söder festhalten will, sollte man zumindest uminterpretieren. So könnte man die Nabenhöhe anstatt der Gesamthöhe als Maßstab für den Abstand zur nächsten Wohnbebauung nehmen. Dafür müsste das Gesetz jedoch geändert werden.
Landwirtschaftliche Flächen nutzen
Auch könnte man verstärkt landwirtschaftliche Flächen für Standorte von Windkraftanlagen in den Blick nehmen. Das hat sich bisher schon bewährt. „Wir haben in Bayern über 1100 Windenergieanlagen, die allermeisten davon auf landwirtschaftlich genutzten Flächen“, sagt Windenergiefachmann Wust. Die Grundstückseigentümer werden bereits jetzt im Rahmen der Pachtverträge an den Erträgen beteiligt. Hier hat die Branche vielfach sehr gute Modelle entwickelt, die nicht nur den jeweiligen Eigentümer des Standorts profitieren lassen, sondern im Rahmen von Flächenpoolmodellen auch die umliegenden Eigentümer*innen. Windenergieanlagen können so einen nennenswerten Beitrag zur Erhaltung ländlicher Strukturen und kleinerer Bauernhöfe beitragen.
Fest steht: In Sachen Windkraft muss sich im Freistaat dringend etwas bewegen. Denn im kommenden Jahr wird die Kernenergie als ein Stromerzeugungsbestandteil wegen der Abschaltung zahlreicher Reaktoren entfallen. Dann müssen zeitnah 40 Terawattstunden Strom ersetzt werden. Die Staatsregierung muss also die Frage beantworten, wie Bayern mit Strom versorgt werden soll.
Wer dabei nur auf Photovoltaik setzt, muss die Flächenfrage klären. Und er muss beantworten, woher der Strom nachts und im Winter kommt. Wer auf mehr Gas setzt, der muss die Kostenfrage und die CO2-Frage beantworten. Wer auf einen noch größeren Import-Anteil setzt, der muss das zumindest klar artikulieren. Denn eine Abhängigkeit von Dritten bei der Stromversorgung gehört jedenfalls nicht zur bayerischen Tradition. Und: Ein erhebliches Erzeugungsdefizit in Bayern hat auch eine bundesweite Komponente. Denn diese Anteile müssen ja dann an anderer Stelle erzeugt werden.
Mit 100 modernen Windenergieanlagen kann eine Terawattstunde Strom erzeugt werden. Mit 1500 neuen Anlagen könnte die Stromerzeugung in Bayern damit auf rund 20 Terawattstunden anwachsen. Das Potenzial für Windenergie im Freistaat ist weitaus größer, aber allein dieser moderate Zubau kann einen signifikanten Unterschied machen.
(Ralph Schweinfurth)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!