Ob Horst Seehofer auch Bosheiten wie diese im Kopf hatte, als er für einen parteiübergreifenden Energiekonsens plädierte? Wenn Seehofer künftig vom Kurs halten spreche, ätzte die Chefin der Grünen-Landtagsfraktion Margarete Bause unlängst, „sollte er auch sagen, welchen er gerade meint“. Dass ihn die Opposition und – schlimmer noch – die eigenen Leute für wankelmütig und populistisch halten, nervt den CSU-Chef seit Langem. Auch deshalb reichert er sein Vokabular zunehmend mit Begriffen wie „verlässlich“ und „gradlinig“ an oder spricht eben vom „Kurs halten“.
Dass Seehofer jetzt den Radikal-Schwenk bei der Atompolitik mit dem Konsensangebot an die politische Konkurrenz verknüpft, verleiht dem wendigen CSU-Vorsitzenden plötzlich eine fast staatsmännische Attitüde. Der ZEIT hatte Seehofer gesagt: „Die Energieversorger müssen darauf vertrauen können, dass nicht jede Bundesregierung wieder einen ganz neuen Kurs fährt. Dafür brauchen wir langfristig tragbare Verabredungen über die Parteigrenzen hinweg.“
Selbst Seehofers parteiinterne Kritiker, die ihn unlängst wegen seines hurtigen Atom-Schwenks rügten, nennen seinen aktuellen Konsens-Vorstoß „nicht ungeschickt“.
„Unser Markenkern
löst sich immer mehr auf“
Seehofers agiler Umweltminister Markus Söder rüstet derweil sein Ressort zur Anti-Atom-Zentrale um und verkündet schon mal, beim Atom-Ausstieg die rot-grüne Konkurrenz ausstechen zu wollen: „Da haben wir jetzt einen neuen Wettbewerb: Grün-Rot gegen Schwarz-Gelb.“ Dass die CSU noch beim letzten Parteitag die Kernkraft für unverzichtbar erklärt hatte – vergessen. Altgediente CSU-ler maulen: „Erst haben wir immer gesagt, die Reaktoren sind sicher. Entweder haben wir die Leute früher verarscht oder wir tun’s heute.“
Dennoch: Nach ihrem ersten Schock über die Wahlpleite der Schwesterpartei im Nachbarland Baden-Württemberg ist die CSU schwindelerregend schnell wieder mit sich im Reinen. „Es läuft gut“, jubelt ein CSU-Präside. Die Bürger würden mit dem baldigen Atom-Ausstieg besänftigt, Rot-Grün in Stuttgart wiederum werde „mit Pauken und Trompeten scheitern“ – zu dünn sei die Landtagsmehrheit von drei Sitzen.
In ihrer Euphorie vergessen viele Christsoziale indes, dass die CSU mit dem Atom-Schwenk zwar die Stimmung der Bevölkerungsmehrheit aufnimmt, damit aber ein weiteres konservatives Kernthema preisgibt. Beim Lebensgefühl der 30-Jährigen, glaubt Politikprofessor Heinrich Oberreuter, sei die CSU deshalb „noch lange nicht angekommen“. Die Frage, warum man CSU wählen solle, sei mit dem neuen energiepolitischen Kurs keineswegs beantwortet.
Fakt ist: Viele Alleinstellungsmerkmale sind der CSU nicht geblieben. Die christliche Werteethik als zentrales Kernthema werde auf Dauer nicht reichen, glaubt auch Oberreuter, selbst CSU-Mitglied: „Denn wer in der Gesellschaft korrespondiert noch mit diesem Wertesystem?“
"Dumpfe Mir-san-mir-Politik reicht nicht mehr"
Besonnenere CSU-Politiker sehen das ähnlich: „Was sollen denn Jung-Akademiker an uns finden?“, fragt ein erfahrenes Mitglied der Landtagsfraktion. Für „leistungsorientierte Leute, die Begründungen wollen statt dumpfem ’Mir san mir’ haben wir weder die richtigen Themen noch das richtige Personal.“ Doch derlei Stimmen sind in der Minderheit. Und Horst Seehofer schätzt Unkenrufe wie diese eh nicht. Er sonnt sich derweil in der Gewissheit, zurzeit fester im Sattel zu sitzen denn je. Denn dass der von der Basis noch immer geliebte Karl-Theodor zu Guttenberg in die aktive Politik zurückkehrt, glaubt im CSU-Establishment keiner. Charismatiker vom Kaliber KTG, die Seehofer Konkurrenz machen könnten, sind derzeit nicht in Sicht.
Auch bei der Opposition nicht. Das bereitet selbst den erfolgsverwöhnten Grünen Sorge. In den Reihen der Landtagsfraktion herrscht zwar Euphorie über das grüne Hoch bei den jüngsten Landtagswahlen. Doch weiß man auch, dass ein Zugferd vom Schlage des verstorbenen Sepp Daxenberger im Moment fehlt. Freie Wähler und FDP müssen nach den jüngsten Umfrageergebnissen ohnedies um ihren Wiedereinzug in den Landtag bangen. Und ob sich die bayerische SPD dem sozialdemokratischen Ermüdungstrend auf Bundesebene entziehen kann, ist ungewiss.
Ein CSU-Stratege sagt: „Unser Markenkern löst sich immer mehr auf. Aber wir profitieren von der Schwäche unserer Gegner.“
(Waltraud Taschner)
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