Unser Bayern

Ein bisschen wie im "Dritten Mann": In Münchens Kanalisation. (Foto: Stadt München)

26.04.2013

Anrüchige Arbeit

Serie "Aktenkundig": Vom Goldgrübler zum Kanalarbeiter: Ein Berufsstand verändert sich parallel zur Modernisierung städtischer Infrastruktur


Die Geschichte der Hygiene und Sauberkeit mittelalterlicher, frühneuzeitlicher und frühmoderner Städte ist eng mit den Stadtbächen verknüpft. Kaum jemand kann sich heute noch vorstellen, dass beispielsweise am Münchner Färbergraben oder an der Roßschwemme in der Nähe des Viktualienmarktes Bäche durch die Innenstadt flossen. Sie trieben Mühlen an – beispielsweise lieferte der Pfisterbach in der heutigen Sparkassenstraße die Energie zum Betrieb der Pfistermühle. Die Bäche hatten zudem eine eminent wichtige Bedeutung für die Beseitigung der Abfälle und Fäkalien. Es war daher kein Zufall, dass der Rat der Stadt München, nachdem König Ludwig der Bayer (1314 bis 1347) die Fleischbänke vom Marktplatz verwiesen hatte, diese am Petersbergl, direkt über dem später so benannten Roßschwemmbach ansiedelten, damit von dort aus die Schlachtabfälle direkt abtransportiert werden konnten. Wichtig für die Unratbeseitigung waren auch die „Einschütt" am Katzenbach, in der Nähe der heutigen Hochbrückenstraße, in der die „Nachtkönige" oder auch „Goldgrübler", also die genossenschaftlich organisierten Aborträumer, Unrat und Fäkalien aus privaten und öffentlichen „Prifets" oder „heimlichen Gemächern" entleerten. Die Menschen, die diese Arbeit übernahmen, hatte unterschiedliche Bezeichnungen: In München hießen sie eben Goldgrübler, in der Reichsstadt Nürnberg „Pappenheimer", auch Sekretgräber und -feger, sonst häufig Nachtarbeiter. In Nürnberg sind die „Pappenheimer" erstmals im 14. Jahrhundert nachgewiesen. Der Name soll sich von den Hilfskräften der Grafen von Pappenheim herleiten; diese waren bei Königsbesuchen als Reichserbmarschälle unter anderem für die seuchenpolizeilichen Schutzmaßnahmen zuständig. Unter den konzessionierten Kärrnern wählte der städtische Rat vier Pappenheimer aus, die mit ihren normierten Pferdekarren durch die Stadt zogen und die Abortgruben reinigten – allerdings nur zwischen Gallus und Ambrosiustag (16. Oktober bis 4. April) und nur nachts. Man wollte die all zu starke Geruchsbelästigung vermeiden.Die Pappenheimer stellten selbst die Pferdekarren und das Handwerkszeug, kümmerten sich um die Organisation und versahen die Aufsicht über Hilfskräfte, die für die eigentliche Arbeit zuständig waren: die Führer, Grundfahrer, Haspler, Ausrichter und Stengleinlauferinnen. Die Arbeit ging diesen frühen Stadthygienikern nicht aus. Jedoch war es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein vergeblicher Kampf gegen den städtischen Unrat, weil sich am System der städtischen Müll- und Fäkalienbeseitigung über Jahrhunderte hindurch so gut wie nichts änderte – trotz wohlgemeinter Mandate, Verordnungen und Ratschläge. In offenen, teils gepflasterten, teils ungepflasterten Straßengräben leitete man einen Großteil des anfallenden Haus- und Niederschlagwassers direkt in die Stadtbäche. Dort, wo keine Fließgewässer in der Nähe waren, wurden Versitzgruben für das Abwasser und Gruben zur Aufnahme der Fäkalien und des Hausmülls angelegt. In regelmäßigen Abständen waren die Gruben zu leeren. Das übernahmen die Goldgrübler, Pappenheimer oder Nachtarbeiter. Sie verkauften den Unrat als Dünger. Die meisten Gruben blieben jedoch sich selbst überlassen und verseuchten das umliegende Erdreich. Der fehlende Abfluss von Niederschlagswasser führte zur Aufweichung des Straßenpflasters und machte die Straßen im Winter oft unpassierbar. Im 19. Jahrhunderts formierte sich eine zarte Gegenbewegung, die auf eine Abwasserbeseitigung über Kanäle setzte. In Nürnberg gab es vereinzelt „Dohlen", flache unterirdische Kanäle von rechteckigem Querschnitt und meist unbefestigter Sohle und einer Sandsteinabdeckung. Durch sie gelangten die Abwässer in die Pegnitz, den Fischbach und den Stadtgraben leiteten. Allerdings erfolgte der Bau solcher Kanäle ohne planerisches Gesamtkonzept. 1810 erreichten diese Dohlen eine Länge von 2,7 Kilometern. Auch in Teilen der Altstadt Münchens gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein derartiges System. Diese Kanäle mit einer Höhe zwischen 0,73 und 1,76 Metern und einer Breite von 0,58 bis 0,87 Metern waren dazu vorgesehen, durch vergitterte Abflüsse alles Regen- und sonstige Abwasser aufzunehmen. Allerdings besaßen die Kanäle untereinander keine Verbindungen und führten auf dem kürzesten Weg zum nächsten öffentlichen Wasserlauf. Sie hatten zudem ein geringes Gefälles und für das Abschwemmen fester Stoffe ungünstiges Profil (flache Sohle, steile Seitenwände). Also sammelten sich dort die Abfallstoffe an, gingen in Fäulnis über und sickerten über das undichte Mauerwerk in den Boden. Trotz dieses gravierenden Mangels wurde dieses unsystematisch ausgeführte Konzept weiter verfolgt. Ab 1820 wurde mit dem „Kanalkonkurrenz-Beitrag", der je Fuß/Häuserfront erhoben wurde, dieser Kanalbau finanziert. Bis zur Neukanalisation Münchens im Jahr 1881 erstreckte sich dieses System über eine Länge von 21,3 Kilometer. Die Effizienz dieser Kanalsysteme war gering. Die Verseuchung und Verunreinigung des Trinkwassers aus Fließgewässern, öffentlichen Brunnen oder privaten Hausbrunnen ging weiter. Wie andere europäische Städte wurde München im 19. Jahrhundert von der Cholera heimgesucht. Das war der Auslöser für die Verbesserung der Stadthygiene. Bei der ersten Epidemie in den Jahren 1836/37 stand die Medizin dieser neuen Seuche vollkommen hilf- und ratlos gegenüber. Wenn auch bereits einzelne Stimmen die „überfüllten Wohnungen ... Unreinlichkeiten und Demoralisation gewissen Einwohnerklassen" dafür verantwortlich machten, wie beispielsweise der Münchner Arzt A.F. Spring, so vermerkt der amtliche Generalbericht jedoch, dass „vorzugsweise die bemittelte und höhere Klasse der Bewohner es war, die am häufigsten und heftigsten von der Seuche befallen wurde". Erst während der zweiten Epidemie im Jahr 1854 gelang des dem Arzt und Apotheker Max von Pettenkofer durch systematische Forschungen einen Zusammenhang zwischen Bodenbeschaffenheit, Grundwasserspiegel und Cholera zu belegen. Er legte beispielsweise ein Grundbuch über die Verteilung der Todesfälle an. Er erkannte, „dass die Cholera durch Entwicklung eines Gases bei Zersetzung flüssiger Exkrementtheile in feuchtem, porösem Erdreich verursacht wird." Man musste dringend handeln: Allein im Stadtgebiet gab es 2700 Gruben für den Hausabfall – die Abortgruben gar nicht mitgezählt. Es wurden Sofortmaßnahmen angeordnet: alle Gruben sollten abgedichtet werden, neue Abortgruben mussten gemauert ausgeführt werden. Bereits 1855 forderte die Regierung von Oberbayern die Stadt auf, systematische Pläne für eine Kanalisation vorzulegen. Das galt vor allem die neu hinzugekommenen Stadtviertel, wie die Max- und Ludwigsvorstadt, in denen die Abwasserbeseitigung noch immer durch meist offene, an beiden Straßenseiten geführte Rinnen erfolgte. 1862 begannen dort die Kanalisationsarbeiten nach den Plänen des Bauingenieurs Arnold Zenetti, der sich vor allem an der Hamburger Lösung der Sielnetze orientierte. Diese Siele hatten ein eiförmiges Profil, besaßen Ventilations- und Spüleinrichtungen sowie ein für die Abschwemmung fester Stoffe günstiges Gefälle. Erlaubt war aber zunächst nur die Einleitung von Regen- und Wirtschaftsabwässern – verboten war das Einleiten von Fäkalstoffen. Die Versitzgruben blieben weiterhin in Gebrauch. Um sich die Kosten für deren Entleerung zu sparen, schwemmte dann doch mancher nachts die Grubeninhalte einfach in die Siele. Und da diese nicht für die Abschwemmung fester Stoffe ausgelegt waren, führte dies zu erheblichen Geruchsbelästigungen... (Christoph Bachmann) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der April-Ausgabe von Unser Bayern! Abbildungen (von oben): Wie unterschiedlich früher „Toilettenanlagen" aussahen, skizziert eine Karikatur aus dem 18. Jahrhundert. (Foto: SZPhoto) Das ewige Straßenaufreißen in München persiflierten 1887 die "Fliegenden Blätter" mit einer Karikatur. Grund für die Arbiten war die forcierte Ausweitung des Kanalnetzes. (Foto: SZPhoto) Arbeiten im Untergrund: um die Jahrhundertwende hatte München ein 225 Kilometer langes Kanalnetz, heute sind es gut 2400 Kilometer, wovon etwa 1200 begehbar sind. (Foto: Stadt München)

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