Man geht über eine Brücke ins Wasserschloss Köfering – wer alles mag wohl schon diesen Weg gegangen sein? Viele berühmte Personen waren dort zu Gast: Könige und Königinnen, Fürsten, Ministerpräsidenten und andere Politiker, Diplomaten und Kirchenfürsten. Schließlich zählen die Hausherren, die Grafen von und zu Lerchenfeld, zum bayerischen Uradel. Ihre Geschichte lässt sich bis ins 11. Jahrhundert nachverfolgen. Das Geschlecht brachte zahlreiche
Persönlichkeiten hervor.
Ein besonderer Besuch fuhr im Jahr 1838 über die Brücke ins Schloss: „Bey Gelegenheit einer Reise welche Sr M. die Kaiserin Alexandra Fedorowna von Rußland von Toefelitz aus nach dem Bad Kreuth bey Tergernsee machten, geruhten dieselben am 23 July 1838, Ihr Nachtlager in Koefering zu nehmen.“
Die Zarin reiste mit großem Gefolge: Neun Kutschen, 46 Pferde, Kammerjungfern, Ärzte, Kammerdiener, Wagenlenker und zwei Kosaken umfasste der Tross. Und als sie von Regensburg aus nach Köfering kam, begleitete sie auch Fürst Maximilian Karl von Thurn und Taxis samt Hofdamen.
Es muss ein rauschendes Fest gewesen sein, das im Köferinger Schloss zu Ehren der Zarin gefeiert wurde. Gleichwohl war der Hintergrund der Reise ein ernster: Die Zarin war gesundheitlich angeschlagen. Sie war auf dem Weg zur Nachkur in Kreuth am Tegernsee. Gleichzeitig galt es, für die Zarentöchter Olga und Marija passende Ehegatten zu finden. Zwei der potenziellen Heiratskandidaten stammten aus Bayern: Kronprinz Maximilian von Bayern und Herzog Maximilian von Leuchtenberg.
Es darf angenommen werden, dass beim Besuch auf Schloss Köfering über die möglichen Eheverbindungen gesprochen wurde, war doch der Hausherr kein geringerer als Graf Maximilian von und zu Lerchenfeld, der bayerische Gesandte in St. Petersburg. Auch seine Halbschwester, Amelie von Krüdener, war in die Heiratspläne eingeweiht.
Der Hintergrund der Reise
Der Winter 1837/38 war für das Zarenpaar anstrengend gewesen. Der Winterpalast in St. Petersburg war abgebrannt. „Im Frühjahr [… 1838] gab Mamas Gesundheit zur Sorge Anlaß“, notiert die Zarentochter, Großfürstin Olga, in ihren Lebenserinnerungen. „Die Leibärzte Marcus und Rauch waren bald am Ende ihres Lateins. Mandt wurde konsultiert [… und er] malte Mamas Zukunft in schwärzesten Farben vor. […] Für Mama ordnete er folgende Behandlungen an: nichts Flüssiges, keine Suppen, keinen Kaffee, dafür Roastbeef, Kartoffelbrei, Schalen bitterer Orangen, Milchgrütze. Und das durch Wochen hindurch! Dann wurde von Kuren im Ausland gesprochen, von Salzbrunn oder Kreuth.“
Als sich die Kur konkretisierte, schrieb die Zarin am 3. März 1838 ihrer Tante, Fürstin Therese von Thurn und Taxis, nach Regensburg: „Diesen Sommer geh ich nach Deutschland u[nd] mein Weg wird mich glaube ich, nah an Ihnen vorbei führen theure liebe Tante, allso [sic!] hoffe ich darauf Ihnen die Hand in diesem Jahre, zu küßen.“
Nur die jüngste Zarentochter Alexandra und deren kleinere Brüder durften mitkommen. Marija und Olga blieben zunächst in Schloss Peterhof bei St. Petersburg. Auf Wunsch ihres Großvaters, Friedrich Wilhelm III. von Preußen, wurden sie später nach Berlin und Potsdam gebracht.
„Der Aufenthalt der Kaiserin in Schlesien [… und] ihre ferneren Reisepläne […] beschäftigen unsere etwas sommerlich verödeten Salons so gut wie die auswärtigen Zeitungen“, vermerkte der in Passau erscheinende Kourier an der Donau. „In Betreff der Kaiserin hört man, daß die Brunnenkur ihr zwar allerdings gute Dienste geleistet habe, daß zur vollständigern Wirkung derselben jedoch von den Aerzten eine ungleich ruhigere Art des Daseyns, was nicht so häufig durch festliche Veranstaltungen, Lustparthien u. dgl. unterbrochen würde, sehr gewünscht wird. Die Kaiserin selbst findet sich durch diese meist unvermeidlichen Störungen ihres ruhigen Aufenthaltes sehr angegriffen, und hofft in Kreuth Das zu erlangen, was die Verhältnisse in Fürstenstein ihr nicht gewähren konnten.“
Auch der Zar machte sich auf den Weg nach Kreuth, nachdem er zuvor noch in Teplitz mit dem Kaiser von Österreich zusammengetroffen war.
Denn in Kreuth sollte die Zarin „offiziell zur Nachkur [… weilen], inoffiziell, um die Heirat ihrer Tochter“ anzubahnen.
Die bayerischen Heiratskandidaten
Kronprinz Maximilian von Bayern stand als möglicher Schwiegersohn des Zaren obenan. Im Jahr 1832 war es König Ludwig I. von Bayern gelungen, seinen noch minderjährigen Sohn Otto auf den griechischen Königsthron zu heben. Diese neue dynastische Verbindung zwischen Bayern und Griechenland ließ in St. Petersburg vor dem Hintergrund der eigenen Balkan- und Mittelmeerpolitik den Plan entstehen, den jungen griechischen König sowie seinen Bruder, den bayerischen Kronprinzen Maximilian, mit Töchtern des Zaren zu verheiraten. König Ludwig I. von Bayern zeigte sich zunächst aufgeschlossen für eine russische Großfürstin als Schwiegertochter. Was aber König Otto von Griechenland betraf, so änderte der Vater seine Meinung. Er sah es alsbald als zu kritisch an, die Frau des Königs von Griechenland aus einem der Herrscherhäuser der drei Schutzmächte Griechenlands auszuwählen, da dies bei den anderen möglicherweise zu einem Misstrauen gegen eine zu einseitige Orientierung der griechischen Außenpolitik hätte führen können.
Deutlich größeres Interesse zeigte Ludwig I. an einer Eheschließung von Kronprinz Maximilian von Bayern mit der Zarentochter Olga, wenn dadurch ein Eintreten Russlands für die Abtretung der rechtsrheinischen Gebiete der ehemaligen Kurpfalz durch Baden erwirkt werden könne.
Auf Anordnung von Ludwig I. nahm Graf von und zu Lerchenfeld das Projekt einer Heirat des bayerischen Kronprinzen mit einer Zarentochter im Dezember 1836 wieder auf. In seiner Abwägung der Vor- und Nachteile hob er besonders die Schönheit und gute Erziehung der Großfürstin Olga hervor. Auch von russischer Seite wurde eine Vermählung mit dem zukünftigen König von Bayern erwogen.
Nur Reden übers „liebe ich“
Der Kronprinz selbst holte von verschiedenen Personen Rat ein. Er erkundigte sich auch nach dem Aussehen und Charakter der Zarentochter. Im Frühsommer 1838 lernte er die Großfürstin Olga persönlich kennen. Auch wenn er sich für sie zu interessieren schien, stießen seine Bemühungen auf keine Gegenliebe. Über das Treffen schreibt Großfürstin Olga in ihren Lebenserinnerungen: „In Charlottenburg war ein déjeuner dansant, das mir deshalb gut erinnerlich ist, weil ich den Kotillon mit dem Kronprinzen Max von Bayern tanzte, einem Neffen der Tante Elise. Sie wünschte sehr, dass eine Heirat mit einer von uns zustande käme. Man dachte natürlich gleich an Mary. Der Kronprinz aber, der in mir eine Ähnlichkeit mit der Schloßfrau von Hohenschwangau zu finden glaubte, die dort auf einem Freskogemälde abgebildet ist, sagte sich: diese und keine andere. Er sprach beständig von den Sagen seiner Berge, seinen Dichtern, seiner Familie, seinem Vater, der ihn nicht verstehe, seinem Wunsch nach einem Heim und davon, welche Erwartungen er in seine zukünftige Gattin setze, kurzum, beständig von dem, was sein liebes Ich betraf. Ich gab öfters verkehrte Antworten, weil er mich fürchterlich langweilte, ohne zu ahnen, daß dies seine Art war, den Hof zu machen. Auch wagte zu meinem Ärger niemand, mich zum Tanz aufzufordern, um das Gespräch zwischen uns nicht zu unterbrechen. Schon wurde allgemein die Bekanntgabe unserer Verlobung erwartet. Nur ich selbst ahnte nichts davon, kindlich wie ich noch war. Am nächsten Tag nach dem Frühstück in Charlottenhof, als die Jugend zu Fuß nach Hause ging, schloß der Kronprinz sich mir wieder an. Ich lief um den Teich herum, um ihm zu entkommen, er versuchte, mich von der andern Seite her wieder zu erreichen; da hing ich mich an Onkel Wilhelms Arm, bat ihn um seinen Schutz und verließ ihn nicht mehr. Am Tor von Sanssouci stand eine hessische Bäuerin, die geflochtene Körbe feilbot. Erst nahm ich einen, dann zwei, dann noch mehrere, weil sie so hübsch waren und geeignet als Geschenk für die zu Hause gebliebenen Freundinnen. Die Vettern spotteten: ,Willst du so viele Körbe austeilen?‘ Tante Elise, höchst unzufrieden, rief: ,Was fällt euch ein, von Körben zu sprechen!‘ Mein Deutsch war zu schlecht, um die Anspielung zu verstehen, doch fühlte ich mich höchst unbehaglich. Endlich kam mir Mama zu Hilfe. ,Plagt sie nicht, sie weiß ja gar nicht, was ihr von ihr wollt!‘ Und sie nahm Mary und mich beiseite, berichtete von den Absichten des Kronprinzen und lachte hell auf, als ich entsetzt: ,Nein, nein, nein!‘ rief.“
Kronprinz Maximilian erhoffte sich von einer Verbindung mit Olga wohl vor allem außenpolitische Vorteile. Dass zum Zeitpunkt des Besuchs der Zarin noch keine endgültige Entscheidung über eine Ehe gefallen war, zeigt, dass Maximilian wohl im Juli 1838 „Betrachtungen über die Russische Frage“ anstellte, in denen er das Für und Wider einer Heirat mit Großfürstin Olga auf sieben zweispaltigen Folioseiten nüchtern abwog. Die Bilanz: Es gab eindeutig mehr Gegenargumente. Der Kronprinz und sein Vater befürchteten vor allem, in eine Art höfische Abhängigkeit von dem potenteren Zarenhaus zu geraten. Zudem erschienen Maximilian und König Ludwig I. die Gewohnheiten und Bedürfnisse einer russischen Großfürstin nicht so einfach mit dem Budget einer bayerischen Kronprinzessin vereinbar. Sie befürchteten auch, dass der mächtige Zar als Schwiegervater sich in die bayerische Politik einmischen könnte.
Als zweiter Heiratskandidat galt Herzog Maximilian von Leuchtenberg. Wie geheim jedoch diese Heiratspläne waren, zeigt, dass nicht einmal die Großfürstin Olga frühzeitig eingeweiht wurde. Selbst in ihren Lebenserinnerungen schreibt sie noch, dass erst „im Verlauf von Mamas Badekur in Kreuth in den bayerischen Alpen […] ein anderer Heiratsplan am Horizont [erschien]. Es war auch ein Prinz Max, jedoch nicht aus dem königlichen Haus, vielmehr jener Max Leuchtenberg, der einst bei den Manövern in Gatschina Mary so gut gefallen hatte. Seine Mutter war die Prinzessin Auguste von Bayern, Schwester des Königs, die mit Eugène Beauharnais vermählt worden war [dem Stiefsohn Napoleons]. Dieser hatte hierauf den Titel eines Herzogs von Leuchtenberg erhalten“.
Amelie von Krüdener, die Halbschwester des Grafen Lerchenfeld, war allerdings schon früher in diese potenzielle Verbindung eingeweiht: Sie war „Vertrauensfrau für diverse organisatorische Fragen“ bei der Reise der Zarin. Bereits Mitte Juni beauftragte sie im Auftrag des Zaren den Haushofmeister der Leuchtenbergs, Graf Méjan, mit der Sondierung, ob dessen Mutter „eine Heirat ihres Sohnes mit der Großfürstin Maria [sic!] genehm wäre“.
Amelie von Krüdener war eines der vermutlich fünf außerehelichen Kinder aus der Affäre von Therese von Thurn und Taxis mit dem Vater von Graf Maximilian von und zu Lerchenfeld. Im Jahr 1836 übersiedelte die „inoffizielle Cousine der Zarin“ nach St. Petersburg. Der Zar soll ihr dort das Gut Sobstwernnaja geschenkt haben. Im Sommer 1838 war sie jedoch wieder einmal in ihrer bayerischen Heimat und sollte die Möglichkeiten einer Ehe der Großfürstin Marija mit dem Herzog Maximilian von Leuchtenberg ausloten.
Zwischenstopp in Regensburg
Über den anstehenden Besuch der Zarin in Regensburg berichtete schon einige Tage im Voraus die Presse. So schrieb am 15. Juli der Fränkische Merkur: „Ein am 9. Juli in Regensburg eingetroffener Kurier hat Nachricht gebracht, daß die Kaiserin von Rußland am 22. Juli mit einem Gefolge von 36 Personen dort eintreffen wird, der Gasthof Goldenes Kreuz ist vollständig für sie in Besitz genommen worden. Auf jeder Station werden 46 Pferde erfordert.“ Und am 21. Juli schrieb der Kourier an der Donau: „Ihre Maj. die Kaiserin von Rußland mit der Großfürstin kais. Hoheit werden, neuern Nachrichten zufolge, nicht Sonntags den 22., sondern erst Montags den 23. dahier eintreffen.“ Die Ankunft verzögerte sich um einen Tag, da sie „einen Tag länger, als bestimmt war, in Dresden verweilte“.
Am Nachmittag des 23. Juli 1838 traf kurz nach 15 Uhr die Kaiserin von Russland schließlich von Weiden kommend in Regensburg ein. Sie nahm zunächst ihr Absteigequartier im Gasthaus Zum Goldenen Kreuz. Auf dem Platz vor dem Gasthaus wurde sie „unter lautem Jubel der versammelten Volksmenge empfangen und das Musikkorps des […] Infanterie-Regiments paradierte vor dem Gasthofe selbst“. Begrüßt wurde die Zarin von Graf Maximilian von und zu Lerchenfeld, der als königlich bayerischer Gesandter am kaiserlich russischen Hofe sie im Namen des Königs von Bayern empfing. Gleich nach Ankunft der Zarin ... (Wolfgang A. Voigt)
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Abbildungen:
Zarin Alexandra. (Foto: SZ Photo)
Zwei gute Partien, die sich aber nicht widerstandslos verheiraten ließen: Marija Nikolajewna und Olga Nikolajewna Romanowa, die Töchter von Zar Nikolaus I. Pawlowitsch und seiner Gemahlin Alexandra Fjodorowna. Ausschnitt aus einem Porträt (1838) vom russischen Hofmaler Carl Timoleon von Neff. (Foto: Wikipedia)
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