Der Bayer fremdelt noch heute: Karl Theodor? Noch immer kommt keinem echten Münchner etwa die Ortsbezeichnung „Karlsplatz“ freiwillig über die Lippen. Es heißt „Stachus“! Auch wenn man gar nicht (mehr) so genau weiß, was es mit diesem Namen auf sich hat. Es gibt wohl weltweit kaum eine herrschaftlich angeordnete Umbenennung, der sich die Allgemeinheit dermaßen konsequent widersetzt, und das seit mehr als 200 Jahren und so konsequent, dass die Landeshauptstadt irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Namen Stachus in Klammern hinter Karlsplatz setzte, auf Stadtplänen und im U-Bahnhof – vermutlich um die Fremden nicht allzu sehr zu verwirren.
Ungeliebtes Erbe
Es war allerdings eine Abneigung auf Gegenseitigkeit: Karl Theodor, der seinen Umzug nach München angeblich mit den Worten „Jetzt sind die guten Tage vorbei!“ kommentierte, war alles andere als glücklich, als er 1777/78 Kurbayern aufgrund der Wittelsbacher Hausverträge erbte. Diesen zufolge sollten, wenn eine Wittelsbacher Linie ausstarb, deren Länder und Rechte an eine andere Linie fallen. So war es bereits anno 1329 in Pavia beschlossen worden. 1766 und 1771 hat man das Hausgesetz noch einmal erneuert. Als Residenz des Gesamtreichs wurde München festgelegt.
Am 30. Dezember 1777 starb Max III. Joseph und für Karl Theodor hieß es Koffer packen und sein geliebtes Mannheim verlassen. Dort hatte er sich einen barocken Musenhof geschaffen, hatte den schönen Künsten und den schönen Frauen gefrönt. Mindestens neun illegitime Kinder von vier Hauptmätressen waren das Ergebnis.
Karl Theodor (in der Pfalz meist mit „C“ geschrieben) war am 10. Dezember 1724, also vor nunmehr 300 Jahren, in einem Landschloss im heutigen Belgien geboren, genauer in Drogenbos in den damals Österreichischen Niederlanden. Dort verbrachte er auch seine ersten Lebensjahre. Dank verschiedener Erbfälle und aufgrund seiner Heirat 1742 mit seiner Cousine Elisabeth Auguste von Pfalz-Sulzbach stieg er schrittweise von einem unbedeutenden Prinzen auf zum „Herr der sieben Länder“, was Friedrich dem Großen angeblich die Bemerkung „Glücksschwein!“ entlockt haben soll. Im Jahr seiner Hochzeit wurde er Kurfürst von der Pfalz. Von da an regierte er politisch äußerst aktiv von Mannheim aus, das zu seiner Zeit zu einem kulturellen Zentrum von europäischer Bedeutung aufstieg. Das nahe Schwetzingen ließ Karl Theodor ab 1752 zur prächtigen Sommerresidenz ausbauen, mit herrlichen Gartenanlagen und Hoftheater.
Und nun München! Noch in der Silvesternacht machte sich Karl Theodor auf den beschwerlichen Weg. Nach der Rekordzeit von eineinhalb unbequemen Reisetagen rumpelte seine Kutsche durch das Münchner Stadttor. Nach und nach trafen in seinem Gefolge auch Beamte und Vertreter der Mannheimer Hofgesellschaft ein, die die angestammten Beamten in München nach und nach von ihren Posten verdrängten. Dies allein wäre schon genug gewesen, um es sich mit den neuen Untertanen zu verscherzen. Doch auch in anderen Fragen erwies Karl Theodor ein unglückliches Händchen. Gänzlich in Ungnade aber fiel der neue Landesherr, als ruchbar wurde, dass er zunächst nur Teile des Landes, dann ganz Kurbayern gegen die habsburgischen Niederlande an die Österreicher vertauschen wollte. Ausgerechnet an die Österreicher! Der österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Panduren-Einfällen und der letzten Besetzung Münchens rund drei Jahrzehnte zuvor waren noch in allzu guter respektive schlechter Erinnerung. In höchsten Kreisen wurde gegen die Tauschpläne angekämpft. Maria Anna, die Witwe seines Vorgängers, Karl August von Pfalz-Zweibrücken, Herzogin Maria Anna von Pfalz-Sulzbach und andere Wittelsbacher standen an der Spitze der Opposition einer Patriotenpartei, ja sogar Friedrich II. von Preußen half, die Tauschpläne zu durchkreuzen – Letzterer tat dies allerdings nicht aus reiner Liebe zu Bayern. Er hatte vielmehr Angst, dass Wien zu mächtig würde. Dennoch genoss Friedrich der Große in der Folge großes Ansehen in Altbayern – ganz im Gegensatz zu Karl Theodor.
Die Kluft zwischen dem an die elegante, frankophile Lebensart gewöhnten Karl Theodor und dem eher bayerisch-bodenständigen Münchner Hofstaat war unübersehbar. Bereits am 12. November 1778 schrieb Mozart, noch immer schlecht auf München zu sprechen ob seiner Ablehnung durch Kurfürst Max III. Joseph, an seinen Vater: „Der Kurfürst wird, glaube ich, gar gern wieder seine Residenz in Mannheim machen, indem er die Grobheiten von den Herrn Bayern unmöglich lange wird aushalten können.“ Unter Karl Theodor hatte Mozart bereits in Mannheim mehr Erfolg als seinerzeit in München.
Es kam anders, als Mozart prophezeit hatte. Karl Theodor arrangierte sich mit seiner neuen Residenz, allerdings ohne je eine größere Zuneigung zu empfinden. Er umgab sich hauptsächlich mit Pfälzern und interessierte sich lange Zeit wenig für bayerische Angelegenheiten. Als es 1788 mit dem Münchner Rat zu heftigen Auseinandersetzungen über wirtschaftliche Fragen gekommen war, verlegte Karl Theodor vorübergehend seine Residenz tatsächlich wieder nach Mannheim. Und als etwa im Sommer 1796 im Ersten Koalitionskrieg die Heere der verfeindeten Österreicher und Franzosen vor den Toren der Stadt lagen, war Karl Theodor der Erste, der samt Hofstaat aus der Stadt floh und einem Regentschaftsrat die Verhandlungen mit dem französischen General Moreau überließ.
Zugegeben: Karl Theodor war gebildet, kultiviert, der Aufklärung zugetan, für Neuerungen stets aufgeschlossen. Er stieß viel Sinnvolles an, was vor allem rückblickend erkannt wird. Da waren zum Beispiel seine Anregungen zum Ausbau des Straßen- und Wasserwegenetzes. Oder die Abschaffung etlicher katholischer Feiertage, inklusive Prozessionen, Wallfahrten und diverser Bräuche: eine in volkswirtschaftlicher Hinsicht sicher sinnvolle Maßnahme, die jedoch nicht dazu angetan war, die Herzen der Untertanen zu gewinnen. Das Misstrauen in der ländlichen Bevölkerung war so groß, dass weder die neue Dienstbotenordnung von 1781 noch die Bemühungen um die Hebung der Viehzucht, die schließlich 1790 zur Errichtung der Veterinärschule am Rand des Englischen Gartens führte, anerkannt wurden. Versuche, die Landeskultur durch Mandate, Zertrümmerung großer Güter oder die Einführung neuer Wirtschaftssysteme zu fördern, wurden von vielen sogar abgelehnt.
Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten in der Landwirtschaft rückten auch die Moore immer mehr ins Blickfeld. Als erstes großes Kultivierungsprojekt wurde ab 1781 das etwa 60 000 Tagwerk große Donaumoos in Angriff genommen. Dies war erst unter Karl Theodor möglich geworden, denn die Grenze zwischen dem Kurfürstentum Bayern und dem Herzogtum Pfalz-Neuburg verlief quer durch das Donaumoos. Karl Theodor vereinte nun aufgrund der Erbfälle beide Herrschaften. Dennoch barg die Angelegenheit Konfliktpotenzial mit den Grundeigentümern; auch die Arbeiten waren begleitet von einer Unzahl von Prozessen. „Kolonien“ wurden eingerichtet, um das neu gewonnene Land zu bewirtschaften – die Namen Karlshuld oder Karlskron erinnern noch heute an den Kurfürsten. Doch die alteingesessenen Bauern zogen nicht mit fliegenden Fahnen ins einstige Moos. Die Ansiedler (vor allem „Überrheiner“, Pfälzer aus den linksrheinischen Gebieten) mussten mit Freiheiten und Privilegien angelockt werden. Die ersten Kolonisten waren meist vermögenslose, „verunglückte“ Leute. Von den Bauern der Nachbarschaft misstrauisch beargwöhnt, begannen sie das Land zu bestellen, vor allem mit dem gerade populär werdenden Nahrungsmittel Kartoffel. Im Donaumoos – wie auch in anderen Mooskulturen – machte man allerdings den Fehler, bei der Auswahl der Ansiedler wenig wählerisch zu sein und auch die zugewiesenen Flächen zu klein zu bemessen, sodass sie zur Ernährung der Familien nicht ausreichten. (Dass die Trockenlegung auch Auswirkungen auf das Klima hat, stellte man allerdings erst in unseren Tagen fest und kann Karl Theodor nicht mehr angelastet werden.) Die Leute verarmten weiter und nicht selten mussten sie sich nach Nebenerwerbsquellen umsehen – und da diese nicht immer im legalen Bereich gesucht wurden, war der Ruf der „Mösler“ nicht der beste.
Auf die Knie gezwungen
Kaum eine Bevölkerungsschicht versäumte Karl Theodor gegen sich aufzubringen, kaum eine Gelegenheit ließ er aus. Die Münchner Stadtratsmitglieder düpierte er, als er sie zwang, auf Knien vor seinem Bildnis Abbitte zu leisten, weil sie eine als revolutionär betrachtete Publikation herausgegeben hatten. Dazu kam, dass Karl Theodor hauptsächlich Französisch sprach und Deutsch einst nur als „Fremdsprache“ erlernt hatte. Geschichten wie die von der verweigerten Bierprobe – auch wenn sie sich vermutlich gar nicht so zugetragen hat – steigerten seine Beliebtheit hierzulande obendrein nicht. Doch für diese Beleidigung beim Salvatoranstich „rächte“ sich die Brauerei und druckte das kurfürstliche Konterfei zusammen mit dem von Bruder Barnabas, dem Cellerar des Paulanerklosters, noch Jahrhunderte später auf ungezählte Bierflaschen und Werbeplakate.
Hatte Karl Theodor bereits bei seiner Ankunft die alteingesessenen Beamten verärgert, das allgemeine Volk sowieso, machte er sich auch in den Reihen der Gelehrten unbeliebt, indem er rigoros gegen die Illuminaten vorging ... (Cornelia Oelwein)
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