Diese phantastische alte Regalwand! Lauter schmale Fächer, aus denen es ab und zu und nur einen Lidschlag lang farbig zu blitzen scheint. Davor auf dickem Dielenboden, der alles Laute schluckt, ein langer wuchtiger Holztisch mit Kerben, Schrunden und einer Patina aus bunten Farbflecken, als hätte sich darauf ein Künstler ausgetobt. Zeichnungen, Lineale, dazwischen altes Handwerksgerät. Unterm Tisch sorgfältig aufgereihte Holzrahmen und eine Kiste, aus der es geheimnisvoll grünlich leuchtet.
Selbst das sonnige Tageslicht, das durch das riesige Werkstattfenster hereinfällt, vermag diesem Raum nicht die magische Atmosphäre zu rauben. Wie bei Ollivander, dem Zauberstabmacher in der Winkelgasse aus Harry Potter, schießt einem durch den Kopf, wenn man Fred Mayerhofers Reich in der Schwabinger Schwindstraße betritt.
Autsch! Das ging unter die Haut. Vorbei ist’s mit dem Phantasieren. Man sollte besser aufpassen, wenn man sich gedankenverloren auf die Werkbank aufstützt: Nur allzu schnell pieksen sich feinste Glassplitter in die Hand. Ein wenig amüsiert blitzen Fred Mayerhofers Augen über den Rand seiner Halbbrille, wenn Besucher geradezu andächtig in der Werkstatt stehen und ihm fast ehrfürchtig bei der Arbeit zuschauen, als wär er tatsächlich ein Magier. Das kommt vielleicht daher, dass man hier Maschinen bestückte Hightech immer noch nicht brauchen kann, dass man vielmehr ein uraltes Handwerk beobachtet.
Die eigene Arbeit rekonstruieren
Fred Mayerhofer schneidet Glas in der Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck. Seit 1887 gibt es das Unternehmen in der Münchner Schwindstraße, es ist eine der ersten Adressen für zeitgenössische Glaskunst und modernes Glasdesign – einst wie heute. Und es gilt heute als Spezialist für Restaurierungen und Rekonstruktionen.
Diesmal liegt ein besonderer Auftrag vor: Die Rekonstruktion eines Fensters, das die Hofglasmalerei selbst 1908 gefertigt hat, das aber im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde. Es geht um das 37 Quadratmeter große, dreiteilige Prachtfenster aus dem Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).
Im Zentrum zeigt ein 1,84 mal 1,70 Meter großes Glasbild die thronende Madonna mit dem Jesuskind auf dem Arm – das Motiv des Universitätssiegels seit 1472. Seitlich sind Wappenbilder der drei Universitätsstandorte Ingolstadt, Landshut und München zu sehen.
Nach dem Krieg schloss recht nüchtern ein motivloses Fenster mit zeitgemäßem, aber nicht historischem Glas die Lücke im Lichthof, der einmal ein beeindruckendes Raumkunstwerk gewesen war. Dieses wenigstens zitatweise wieder herzustellen, dazu hat man sich erst in jüngerer Zeit entschlossen: Vor zwei Jahren erfolgte die Sanierung der Raumschale, daran schließt sich ein mehrteiliges Rekonstruktionsprogramm an: Inzwischen sind die ebenfalls zerstörten großen Bronzelaternen nachgebaut worden, auch die Rekonstruktion des Glasfensters ist vor Kurzem abgeschlossen worden.
Altes Handwerkszeug
„In der Arbeitsweise hat sich seit dem Mittelalter nicht viel verändert“, sagt Raphaela Knein über die Kunst, Glasbilder anzufertigen. Sie ist Glasmalermeisterin und eine der beiden Geschäftsführerinnen der Hofglasmalerei. Allenfalls, wirft Fred Mayerhofer ein, gebe es kleine Veränderungen beim Werkzeug: „Kaum jemand greift noch zum Diamantschneider. Der ist schwieriger in der Handhabung. Üblicherweise nimmt man heute einen Stahlradschneider.“ Auf der Werkbank liegt ein solcher Diamantschneider mit schmeichlerisch abgenutztem Holzgriff: „Den habe ich seit ich hier vor 36 Jahren mit meiner Lehre begonnen habe. Da steckt immer noch der erste Diamant drin.“ Gefühlssache sei es, wann er ihn benutzt: „Bei schwierigen Rundungen nicht.“
Jetzt jedenfalls nimmt er lieber den Stahlradschneider her. Es raschelt, dann ein helles Ritzgeräusch und ein leichtes Knacken: Fred Mayerhofer fährt mit dem Schneider an einer Schablone eine geschwungene Form entlang, legt das darunter liegende gelbe Glasplättchen an den Rand der Werkbank – ein leichtes Klopfen, und entlang der Ritzlinie bricht die dünne Platte entzwei. Mit einer Spezialzange knipst er den Rand sauber ab: „Die ist auch schon sehr alt und ganz abgerundet.“ Gerade richtig, meint man herauszuhören. Dann wird die Bruchstelle fein säuberlich entgratet.
Auf der Werkbank liegt ein Rahmen, er umschließt eine nummerierte Umrisszeichnung – man erkennt das Münchner Kindl. „Die Zahlen stehen für die Glasfarben“, erklärt der Kunstglasergeselle und deutet zum Werkstattfenster. Wie in einem überdimensional großen Setzkasten sind dort im Gegenlicht Farbmuster aufgereiht – die aktuell benötigten stehen aussortiert oben in einer eigenen Reihe.
Fred Mayerhofer legt das soeben geschnittene Glasplättchen auf eines der nummerierten Felder der Zeichnung. Bevor er die nächste Form schneidet, geht er zur Regalwand: „Jetzt brauche ich nur ein kleines Stück Glas. Hier ist bestimmt was passendes drin.“ Abschnitte der etwa einen halben Quadratmeter großen Glasplatten, die mundgeblasen in der Regel aus der Glashütte Lamberts im oberpfälzischen Waldsassen kommen, wirft der Meister nicht weg: Er sammelt sie sorgfältig im Regal. Lange suchen muss er nicht: Die Fächer mit den Glasabschnitten sind ebenfalls systematisch nummeriert.
Wieder das Ritzen und Knacken – Stück um Stück schneidet der erfahrene Handwerker in einer fast meditativ ruhigen Beständigkeit. Die Planzeichnung wird bald vollständig bedeckt sein. Später verbleite er sie selbst nebenan in den Glaswerkstätten.
Und noch eine Weile später wird sich Peter van Treeck, der Gesellschafter der Hofglasmalerei, lachend erinnern, dass erst am zusammengelöteten Bild auffiel, dass da etwas nicht stimmt: „Sehen Sie“, deutet er auf eine Fotografie, „diesen kleinen Zwickel hier zwischen Arm und Körper des Jesuskindes haben wir blau gemacht. Wir dachten, dass der noch zum Mantel der Madonna gehört. Erst beim fertigen Bild ist uns aufgefallen, dass dieser Teil ja schon zum Kind gehört.“ Der Fehler war rasch behoben, das Fenster war ja noch nicht eingebaut.
Derweil sitzt Lilli Ramisch im Atelierraum der Hofglasmalerei an anderen Teilen des Unifensters. Durch die zwei Geschoss hohe Fensterfront fällt zwar so viel Licht, dass man meint, im Freien zu sein, aber der große Leuchttisch ist zusätzlich eingeschaltet, gibt diesem eher nüchternen Arbeitsbereich ebenfalls eine geheimnisvolle Aura. Das liegt freilich auch am Werkstoff selbst.
Nüchtern betrachtet, besteht Glas aus Sand, Mineralien und Metalloxiden, die miteinander verschmolzen werden. Aber das Ergebnis atmet doch ein wenig den Hauch des Alchemistischen: Schon ein kleiner Lichtstrahl genügt, um Glas selbst wie eine materialisierte Lichtquelle von innen heraus funkeln zu lassen. Im Germanischen bezeichnete glasa „das Glänzende, Schimmernde“.
Luxuriöse Kleinode
Und wie edel leuchtet es da gerade vor Lilli Ramisch! Sie ist eine der Glasmalerinnen bei van Treeck: Bewundernswert zitterfrei zieht sie mit dem Pinsel feine, geschwungene Konturlinien aus Schwarzlot um kleine, tiefrote Teile aus Überfangglas, die zuvor Fred Mayerhofer geschnitten hatte, und aus denen sie bereits kleine runde Flächen herausgeätzt hat, so dass sie farblos erscheinen: Wie luxuriöse Kleinode aus Rubinen, die nur auf ihre Goldfassung als Schmuckstücke warten, sehen die Fragmente aus.
Überfangglas war im 19. Jahrhundert, vor allem im Biedermeier und später, geradezu ein Muss für edle Kunst aus Glas: Auf einer Trägerscheibe aus klarem Glas werden eine oder mehrere farbige Glasschichten aufgeblasen. Mit verschiedenen Techniken (Gravur, Schliff, Ätzung) lassen sie sich wieder abtragen und ergeben reizvolle Effekte. Das Verfahren war vor allem wichtig, um leuchtendes Rot in verschiedenen Tönen subtiler darstellen zu können: Mit dem Beimengen der entsprechenden Metalloxide in die Glasmasse, also mit durchgefärbtem Glas, waren keine optimalen Ergebnisse erzielt worden – das Rot erschien zu dunkel, schon fast wie Schwarz.
Das wiederum findet in der Glasmalerei als Schwarzlot seine Anwendung: Es ist mit Eisen und Kupferoxiden gefärbtes Bleiglaspulver mit Bindemitteln. Zu den hauchdünnen Linien, die Lilli Ramisch damit zieht, mag die schwarz-grau verschmierte Scheibe auf dem Leuchttisch so gar nicht passen. Die Glasmalerin legt den Pinsel zur Seite und demonstriert: Sie wischt mit dem Handballen über die leicht angetrocknete schwarze Farbe – immer wieder, bis an einer Stelle eine feine graue Schlierenschicht übrigbleibt; an einer anderen Stelle radiert sie – da bleiben nur noch Pünktchen übrig. Später wird die Farbe eingebrannt, wie alles, was in der Malerabteilung der Werkstatt nachträglich auf das Glas aufgebracht wird. Die Nassstupftechnik sei ein gängiges Verfahren, erzählt Lilli Ramisch, mit Schwarzlot könne man eben nicht nur Konturen ziehen, Schriften gestalten, Muster und Gesichter zeichnen, sondern auch Licht und Schatten modellieren. Im Nachhinein lasse sich rein weißes Glas flächig so abtönen, dass es mehr oder minder intensiv milchig bis lichtgrau erscheint – je nachdem, welcher Effekt gewünscht wird.
Entscheidend ist das Zusammenspiel mit den umgebenden Farben. Beim Unifenster allerdings erhielt das gesamte Glasbild einen modellierenden Überzug aus Schwarzlot: „Die Farbigkeit musste ein wenig abgemildert werden, weil sonst durchfallendes Sonnenlicht das ganze Motiv überstrahlen würde“, sagt Katja Zukic, die sich mit Raphaela Knein die Geschäftsführung teilt und künstlerische Leiterin des Betriebs ist. „Das mit den Farbwerten in der Glasmalerei und bei der Gestaltung von bunten Glasfenstern ist eine Sache des Gefühls, des Empfindens“, sagt Raphaela Knein und hält beispielhaft einige Farbproben nebeneinander: „Blau kann je nach dem Farbzusammenhang mal kalt oder warm, grünoder rotstichig wirken.“
Gefühl und Recherche
Mit dem Gefühl allein war es beim Unifenster allerdings nicht getan. Hier waren zuerst umfangreiche Recherchen und Analysen vonnöten: Vom zerstörten Originalfenster wurde nämlich keine einzige Scherbe gerettet. Wie es ausgesehen hat, weiß man nur von historischem Fotomaterial, das Elgin Vaassen, eine Expertin zur Geschichte der Glasmalerei und Ehefrau von Peter van Treeck, im Stadtarchiv München entdeckte. Allerdings zeigen die Aufnahmen das Fenster in Schwarzweiß. Auch das van Treeck-Firmenarchiv gibt zu dem Auftrag von 1908 wenig her: Weder der Entwurf noch der Karton mit den „Planzeichnungen“ sind erhalten. „Die Gebäude der Hofglasmalerei wurden im Zweiten Weltkrieg sehr stark beschädigt, vermutlich befanden sich die Unterlagen zu diesem Fenster ausgerechnet in dem Teil der Firmenarchivs, der damals mit zerstört wurde“, vermutet Raphaela Knein.
Peter van Treeck, der sich 2015 zwar als Geschäftsführer aus der Firmenleitung zurückzog, aber seinen Nachfolgerinnen fachlich weiterhin zur Seite steht, nahm sich gemeinsam mit Katja Zukic, der zweiten Geschäftsführerin, die Fotografien vor. Sie übertrugen das Fenstermotiv auf Papier, maßstabgerecht „hochgezoomt“ auf die einstige Originalgröße.
Der schwierigste Part bei den Vorarbeiten aber war die Bestimmung der Farben. Die der Wappenbilder seitlich des zentralen Madonnenbildes sind heraldisch vorgegeben: Für Ingolstadt steht der blaue, rot bewehrte Panther auf Silber, Landshut symbolisieren drei blaue Helme mit roten Bändern auf Silber und München wird vom Kindl in Gelb und Schwarz repräsentiert. Fraglich blieben bei diesen Motiven nur die Farbtöne. Man hat versucht, die Grauwerte zu übersetzen: Rot zum Beispiel erscheint schwarz. Der Grauwert für das Silber der Wappen fand sich auch im Hintergrund der Madonna.
Golden erscheinendes Silbergelb ist wahrscheinlich für die Nimben, das Szepter, den Reichsapfel und die Krone Mariens. Silbergelb hat eine Besonderheit: Im Unterschied zu anderen Glasfarben dringt bei diesem Gemisch aus Silber und Ockererde während des Brennens das Silber ins Glas ein, auf der Oberfläche verbleiben nur die Erdpartikel, die abgewischt werden.
Spekulation und Gefühl für Nuancen
Etwas mehr Interpretation war bei der Kleidung von Madonna und Jesuskind nötig. Der Mantel der Gottesmutter ist traditionell blau. Aber welche Farbe mag ihr Kleid darunter gehabt haben? Größtenteils blieb da nur das Spekulieren gepaart mit ... (Karin Dütsch)
Lesen Sie den vollständigen Beitrag ebenso wie ein Porträt der Hofglasmalerei Gustav van Treeck in der Ausgabe Januar/Februar von UNSER BAYERN, die der BSZ Nr. 2 vom 12. Januar 2018 beiliegt.
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