Aschebersch“ – so nennen die Aschaffenburger in lokaler Mundart liebevoll ihre Stadt. Bayerisch klingt das nicht, fränkisch aber auch nicht, vielleicht doch eher rheinhessisch? Wie passt das aber zusammen mit einer Stadt, die seit über 200 Jahren zu Bayern gehört, seit 1814 zum Königreich, ab 1918 zum Freistaat? Ein Blick in die Vergangenheit kann darüber Auskunft geben, wie und auf welche Weise Aschaffenburg bayerisch wurde, mit welchen Regionen die Stadt ungeachtet abstrakter Grenzverschiebungen dauerhaft verbunden blieb und wie die Besonderheiten von Lage und Geschichte die Mentalität der Bewohner geprägt haben.
Beginnen wir mit der außergewöhnlichen Lage Aschaffenburgs, die der Stadt das Privileg verschaffte, gleich mit zwei sehr markanten Regionen eng verbunden zu sein. Geologisch betrachtet liegt Aschaffenburg auf einem Prallhang, entstanden durch das kurvenreiche Äußere des Mainflusslaufs, der hier nicht nur eine größere Strömung aufweist, sondern auch eine neue Richtung einschlägt: Aus dem Süden kommend zieht er nach Westen weiter. Aschaffenburg liegt genau an dieser Schleife, die den Übergang vom Mittelgebirge zur Ebene markiert. Kommen Reisende vom Untermain, dann bildet die Stadt für sie das Tor zum Spessart Richtung Franken. Kommen sie hingegen von dort, dann wird Aschaffenburg zum Eingangstor in die Rhein-Main-Ebene.
Logistischer Knotenpunkt. Diese Lage, die gleichermaßen eine enge Beziehung der Stadt zur offenen Rhein-Main-Region wie zu den Gebieten des Westspessarts auf natürliche Weise entstehen ließ, hat Aschaffenburg früh zum logistischen Knotenpunkt von Handelswegen und damit zum Treffpunkt für den Austausch von Informationen und Nachrichten diesseits und jenseits des mit durchschnittlich 550 Meter über dem Meeresspiegel mäßig hohen Mittelgebirges werden lassen. Da der Ausbau von Verkehrswegen – man denke etwa an die wichtige Handelsroute aus dem Süden in Richtung Messestadt Frankfurt am Main – Einnahmen durch ihre Kontrolle versprach, interessierten sich seit dem Mittelalter die Herrschaftsträger der Region zunehmend für die so günstig gelegene Stadt. Genau oberhalb der Flussschleife errichtete der Erzbischof von Mainz, dessen Territorium bis weit in den Spessart hineinreichte, früh eine Burg, die zum Zentrum des Oberstifts und zur Nebenresidenz der späteren Kurfürsten avancierte. Angeblich soll sich – und da wären wir wieder bei „Aschebersch“ – dieser Mainzer Einfluss bis heute im Aschaffenburger Dialekt bemerkbar machen, was sich auch noch für die Gebiete im westlichen Spessart behaupten lässt, die ebenfalls lange unter Mainzer Vorherrschaft standen und von Mainzer Personal verwaltet wurden, das zu diesem Zweck dorthin entsandt wurde.
Ohne Frage war es die Zugehörigkeit zum Mainzer Kurfürstentum, welche Aschaffenburg und die beiden Regionen, mit denen die Stadt bis heute am engsten verbunden ist, viele Jahrhunderte prägte. Über 800 Jahre lang, seit dem späten 10. Jahrhundert bis zum Reichsdeputationshauptschluss von 1803, der die endgültige Auflösung geistlicher Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation besiegelte, gehörte Aschaffenburg zum Erzstift Mainz.
Mittelalterliche Burganlage diente als zweite Residenz
Dort, wo heute das von weit her sichtbare Schloss Johannisburg als beeindruckendes Wahrzeichen der Stadt steht, diente zunächst eine mittelalterliche Burganlage seit dem 13. Jahrhundert als zweite Residenz der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten. Aufgrund der Wirren der Reformationszeit, die im östlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches ihren Ausgang nahmen, suchte Albrecht von Brandenburg (1490 bis 1545), Erzbischof von Mainz und Magdeburg, ab 1641 immer häufiger Aschaffenburg auf, nachdem sich in seiner ursprünglichen Residenzstadt Halle die Bevölkerung reformieren ließ. Durch den für Kardinal Albrecht tätigen Matthias Grünewald wurde Aschaffenburg zum Wirkungsort eines bis heute als „Rätsel Grünewald“ betitelten Künstlers, der zu den bedeutendsten seiner Zeit zählte. Im Markgräflerkrieg von 1552 bis 1554 um die politische Vorherrschaft in Franken gingen viele von Albrecht aus Halle mitgebrachten Kunstschätze durch Plünderung und Zerstörung der Aschaffenburger Anlage verloren. Werke von Lucas Cranach dem Älteren und seiner Schule konnten jedoch gerettet werden, sie gehören heute zu den wichtigsten Beständen der im Schloss Johannisburg untergebrachten Staatsgalerie Aschaffenburg.
Schweden verschonen das Schloss. 1604 betraute der neue Erzbischof von Mainz und Kurfürst Johann Schweikhard von Cronberg (1553 bis 1626) den Straßburger Architekten und Baumeister Georg Ridinger (1568 bis 1617) mit dem Bau eines neuen Schlosses. Das streng symmetrisch angelegte Schloss im Renaissancestil, dessen Fassaden mit Sandstein aus der Region verkleidet wurden, in die das Mainzer Rad als Wappen eingemeißelt wurde, konnte am 17. Februar 1614 pünktlich zum zehnjährigen Amtsjubiläum des Erzbischofs eingeweiht werden. Der Überlieferung nach nahm der protestantische Schwedenkönig Gustav Adolf während des Dreißigjährigen Krieges 1631 von der Plünderung des Schlosses Abstand, weil er es nicht nur überaus schön fand, sondern am liebsten mit nach Schweden genommen hätte.
Von 1774 bis 1802 regierte der in Lohr am Main geborene Friedrich Karl von Erthal (1719 bis 1802) als vorletzter Kurerzbischof in Mainz. Er nutzte das Aschaffenburger Schloss, das er im Stil der Zeit modernisieren ließ, lediglich als Sommerresidenz. Doch der Ausbruch der Französischen Revolution 1789 und die sich daraus ergebenden Revolutionskriege sollten unerwartete Bewegung in die Aschaffenburger Beschaulichkeit bringen, denn die alte ständische Ordnung brach auch dort zusammen. Nach 1789 war Erthal mehrfach gezwungen, überstürzt und inkognito Mainz in Richtung Aschaffenburg zu verlassen, weil Mainz ungünstigerweise auf der linken Rheinseite lag und der Rhein von den Revolutionären inzwischen zur natürlichen Grenze Frankreichs erklärt worden war. Die anrückenden Franzosen besetzten 1792 Mainz und riefen mit der Mainzer Republik die erste ihrer Art auf deutschem Boden aus. Damit Erthal und seine wertvolle Fracht an Möbeln, Gemälden und Büchern unerkannt und heil in Aschaffenburg ankommen konnten, hatte man vorsorglich das kurfürstliche Wappen, das Mainzer Rad, von seiner Kutsche entfernt.
Das Ende des Erzstifts. Mit dem vom Regensburger Reichstag besiegelten Reichsdeputationshauptschluss von 1803 kam das endgültige Ende des Mainzer Erzstifts. Nun sollte ein zehnjähriges politisches Intermezzo unter Erthals Nachfolger Carl Theodor von Dalberg (1744 bis 1817) die Geschicke Aschaffenburgs in nicht unbedeutender Weise bestimmen. Der letzte Mainzer Kurfürst war der einzige geistliche Herrscher, der sich einen Teil seiner zumindest weltlichen Macht durch Napoleons Förderung erhalten konnte. Dalberg trat als Fürstprimas (1806 bis 1813) an die Spitze des mit Napoleon kooperierenden Rheinbunds deutscher Fürsten, wurde daneben Fürst des neu geschaffenen Fürstentums Regensburg, vor allem aber zum Landesvater des neuen Fürstentums Aschaffenburg, das aus den rechtsrheinisch verbliebenen Gebieten des aufgelösten Mainzer Kurstaats ab 1803 entstand. Als 1810 auf Wunsch Napoleons Regensburg in das Königreich Bayern integriert wurde, wurde Dalberg mit den jungen Fürstentümern Hanau und Fulda entschädigt. Zusammen mit diesen neuen Gebieten wurde das – wenn auch nur kurzlebige – Großherzogtum Frankfurt geschaffen. Zum Großherzog aufgestiegen, beließ Dalberg seine Residenz weiterhin in Aschaffenburg und mit Schloss Johannisburg im Zentrum.
Ungeheurer wirtschaftlicher Aufschwung
Mit dieser administrativen Aufwertung war ein ungeheurer wirtschaftlicher Aufschwung für die Stadt verbunden: Geistlichkeit, Adel, Beamte, aber auch adlige französische Emigranten, die sich in der katholisch geprägten Stadt sicher fühlten, strömten mit ihrem Personal in die Stadt und belebten Handel und Verkehr, indem sie ihr Vermögen und die ihrem Lebensstil entsprechenden Aufträge für das Aschaffenburger Gewerbe mitbrachten. Dalberg selbst förderte die schönen Künste, ließ Bildungseinrichtungen, eine Kunstschule, eine Forstlehranstalt und ein Priesterseminar entstehen und 1811 ein Theater eröffnen. Aschaffenburg war in dieser Zeit sogar Universitätsstadt: Die Hochschule umfasste eine theologische, juristische und philosophische Fakultät. Fünf Jahre nach der Eingliederung ins Königreich Bayern, 1819, wurde diese Hochschule allerdings zum bayerischen Lyceum abgestuft und 1873 endgültig aufgelöst. Würzburg blieb dieses Schicksal erspart, aber es war daneben vor allem die 1913 gegründete Stiftungsuniversität Frankfurt am Main, die von der Schließung in Aschaffenburg profitieren sollte.
Dalbergs Bestrebungen, nach den Prinzipien der Aufklärung und durchaus beeinflusst vom Vorbild der modernen französischen Administration eine Art Modellstaat zu errichten, wurden durch die finanziellen Belastungen, die die Zugehörigkeit zum Rheinbund mit sich brachten, allerdings beachtlich eingeschränkt. Allein 2800 Soldaten musste das Großherzogtum für Napoleons Feldzüge bereitstellen und ausrüsten. Wie anderswo auch, führte die zusätzliche Unterbringung und Verpflegung durchziehender Truppen zu leeren Kassen.
Als Napoleons Stern nach dem Russlandfeldzug 1812 und der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 zu sinken begann, waren auch Dalbergs Tage als Großherzog gezählt. Obwohl er umgehend zugunsten des noch von Napoleon designierten Nachfolgers Eugène de Beauharnais abdankte, sollte nicht er, sondern dessen Schwiegervater, der bayerische König Max I. Joseph, auf dem Wiener Kongress ab 1814 ein neues Kapitel in der Geschichte Aschaffenburgs aufschlagen. Innerhalb der Verhandlungen über die Neuordnung Europas einigten sich Bayern und Österreich in einer bilateralen Übereinkunft bereits im Juni 1814 auf einen für die Stadt folgenreichen Gebietsaustausch: Bayern trat Tirol und Vorarlberg an Österreich ab, dafür gingen Aschaffenburg und Würzburg in den Besitz des Königreichs über.
Das Schwanzhaar des Löwen. Dass ferner die unter Napoleon arrangierten neubayerischen Gebietserweiterungen bei den Wiener Verhandlungen nicht angetastet wurden, verdankte sich nicht zuletzt dem für diplomatische Verhandlungen in Zeiten von Kutschen und Pferden äußerst günstigen logistischen Umstand der kurzen Wege zwischen München und Wien. Münchner Instruktionen konnten schnell in Wien eintreffen, und umgekehrt erreichten Wiener Depeschen die bayerische Regierung in München relativ zügig. Auf diese Weise wurde das im Vergleich zu Wien (etwa 400 Kilometer) nur geringfügig näher an München liegende Aschaffenburg (etwa 360 Kilometer) bayerisch – gerade noch am „Schwanzhaar des bayerischen Löwen“ gelegen, wie die Aschaffenburger bis heute spöttisch behaupten. Aber immerhin gehörte die Stadt an den westlichen Ausläufern des Spessart nun zusammen mit den anderen neu gewonnenen mainfränkischen Gebieten zum drittgrößten Flächenstaat des Deutschen Bundes (1815 bis 1866).
Bayerisch wurde die Stadt Aschaffenburg nicht aufgrund ihres intensiven Austauschs mit dem bayerischen Kernland, sondern schlicht durch einen politischen Verwaltungsakt, dem ein ambitioniertes dynastisches Programm folgen sollte... (Sabine Freitag)
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