Schon als Kinder drückten viele von uns sich die Nasen an den Schaufenstern platt, wenn dahinter eine Modelleisenbahn zu Werbezwecken aufgebaut war: Man sah eine kleine, oft heile und überschaubare Welt, die ganz nach den persönlichen Vorlieben gestaltet werden konnte: Die Welt in der Hand. Doch was macht die Welt des Modellbaus auch heute noch so faszinierend, dass sich Bastler, Architekten, Elektroniker, CNC-Fräser und viele weitere Berufssparten intensiv mit dieser Materie befassen? Eine Antwort mag man finden beim Blick in die Geschichte des Modellbaus, speziell des Architekturmodellbaus.
Dieser hat eine lange Tradition hat, die bis weit in die Antike zurückreicht und in der Renaissancezeit einen Höhepunkt erlebte: Man denke nur an die Stadtmodelle der bayerischen Residenzstädte München, Ingolstadt, Landshut, Straubing und Burghausen von Jakob Sandtner aus der Zeit um 1570.
Im späten 18. Jahrhundert entwickelte sich in Italien die Phelloplastik, also die Anfertigung von Modellen aus Kork. Meist dienten dabei antike Bauten als Vorbilder. Man hatte erkannt, dass das dreidimensionale Architekturmodell ein Hilfsmittel in der Kommunikation von geplanter oder realisierter Architektur darstellt, oder wie es Joseph Furttenbach in seiner Architectura Civilis aus dem Jahr 1628 formulierte: „Damit er (der Bauherr, Anm. d.Red.) das verkleinert opus recht vor Augen gestelt sehe, darüber discuriren / alles wol begreiffen / und was ihme nicht gefällig / an diesem klein fürgebildten wercklin außmustern / und verbessern möge.“
Die Modelle konnten effizient Informationen liefern über größere räumliche Zusammenhänge, die man in auf dem gezeichneten Plan oder in der Originalgröße ganz anders erfährt – oder gar nicht erfahren kann. Das Modell ermöglicht durch die Verkleinerung eine Reduzierung räumlicher Komplexität und ist als dreidimensionales Objekt für den Betrachter zudem immer einfacher zu begreifen als eine zweidimensionale Abbildung.
So werden auch heute noch Modelle anlässlich von Architekturwettbewerben angefertigt, um das zu errichtende Objekt und die dazugehörige Umgebung dem Betrachter bzw. den Jurymitgliedern plastisch vor Augen führen zu können.
Aus derartigen Wettbewerben stammt auch die überwiegende Masse der über 100 Architekturmodelle des Staatsarchivs München, die in seiner Außenstelle auf der Willibaldsburg in Eichstätt gelagert sind. Deutlich sind drei große Serien von Modellen zu bedeutenden Bauvorhaben zu unterscheiden: Zum Wiederaufbau des Nationaltheaters in München, zur Errichtung der Anlagen für die olympischen Spielen auf dem Oberwiesenfeld und zur Neugestaltung der Bayerischen Staatskanzlei.
Das neue Nationaltheater
In der Nacht des 3. Oktober 1943 trafen Spreng- und Brandbomben das Bayerische Nationaltheater im Herzen von München. Im Wesentlichen blieben nur noch die Außenmauern bestehen. Nach Kriegsende herrschte rasch darüber Einigkeit, dass man erneut eine funktionstüchtige Oper haben wollte – jedoch stritt man sich lange um das „Wie“. Nachdem der Neubau des Residenztheaters 1951 den geplanten Kostenrahmen gesprengt hatten, stellte sich der Landtag gegen einen Wiederaufbau des Nationaltheaters in seiner ursprünglichen Form, da ein Neubau aller Wahrscheinlichkeit günstiger wäre. Hinzu kam, dass Städteplaner die Ruinen beseitigen wollten, um verkehrstechnisch in der Innenstadt etwas mehr Raum zu schaffen.
Gegen diese Pläne wehrte sich der 1952 gegründete Verein der „Freunde des Nationaltheaters e.V.“, der sich – zunächst erfolglos – für einen historisch korrekten Wiederaufbau einsetzte. Als 1954 ein Architektenwettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben wurde, stand eine originalgetreue Rekonstruktion des Nationaltheaters nicht zur Diskussion. Allerdings entwickelten die „Freunde des Nationaltheaters“ ungeahnte Aktivitäten zugunsten ihres Hauses und gegen die Obrigkeit, womit sie als frühe Form einer Bürgerinitiative im Rahmen der Zivilgesellschaft anzusprechen sind. Dabei wurden auch neue Wege zur Mobilisierung der Bevölkerung und zur Finanzierung des Vorhabens beschritten: „Ich erinnere mich an die alljährlichen Großtombolen, zunächst in der Neuhauser Straße, dann am Karlsplatz Süd und Nord, an die Großflugtage 1954 und 1955 auf dem Oberwiesenfeld, an das Transparent am Portikus des Nationaltheaters ,Die Oper muss zum Jubiläumsjahr 1958 fertig sein. Helft den Freunden des Nationaltheaters!‘“, so Martin Schallweg, der Sohn des damaligen Geschäftsführers des Vereins.
Der Kampfgeist und die gesammelten Gelder überzeugten wohl im Lauf der Zeit das Kultusministerium, so dass man sich schließlich für eine Weiterentwicklung eines Entwurfs von Prof. Gerhard Graubner entschied, einer Rekonstruktion der Originalfassung Karl von Fischers, gereinigt von den Hinzufügungen des Wiederaufbaus durch Leo von Klenze und anderer Veränderungen des 19. Jahrhunderts.
Neben den Wettbewerbsmodellen entstanden aber auch im Zuge des Wiederaufbaus noch zahlreiche Modelle, wie dies Hans Heid, der Leiter des Planungsbüros der staatlichen Bauleitung bestätigte: „Es wurde gezeichnet, gezeichnet und gezeichnet. Wer kennt schon die Zahl der Skizzen, Modelle und Pläne: 5000, 10 000 oder mehr? Für heutige Verhältnisse unvorstellbar. Es wurden die Ärmel hochgekrempelt und angepackt.“ So können wir uns heute über eine Vielzahl zum Teil einfacher, zum Teil schöner und auch der schönsten und liebevollst gestalteten Modelle der Sammlung erfreuen, die alle zur Visualisierung der Raumwirkung einzelner Gebäudeteile dienten. Es sind also Arbeitsmodelle.
Fünf Jahre dauerte schließlich der Wiederaufbau, der rund 62 Millionen DM. Am 21. November 1963 konnte das Ensemble, das zwischenzeitlich im Prinzregententheater beheimatet war, sein Haus wieder in Besitz nehmen.
Die fröhlichen Spiele: München 1972
Als bedeutendste und umfangreichste Modellreihe sind die zum Architektenwettbewerb für die Neugestaltung des Oberwiesenfeldes anlässlich des Baus der olympischen Wettkampfstätten zu nennen. Nachdem München am 26. April 1966 den Zuschlag als Austragungsort für die Olympischen Spiele 1972 erhalten hatte, erfolgte im Februar 1967 die Ausschreibung eines Architektenwettbewerb, bei dem bis zum Abgabetermin am 3. Juli 1967 insgesamt 104 Entwürfe eingereicht wurden, darunter auch zahlreiche Modelle.
Den Zuschlag erhielt der Entwurf des Architekturbüros Günter Behnisch und Partner aus Stuttgart, dessen Kernstück die eng nebeneinander liegenden zentralen Sportstätten Stadion, Olympiahalle und Schwimmhalle einschließlich des Fernsehturms waren. Als ein Modell im Maßstab 1:1000 erstellt war, kamen die Mitarbeiter Fritz Auer und Cord Wehrse auf die Idee, eine Zeltdachkonstruktion über die drei Bauten zu legen, nachdem sie durch einen Zeitungsartikel auf Frei Ottos Zeltdachkonstruktion in Montreal aufmerksam geworden waren. Sie liehen sich von Auers Frau ein Paar Nylonstrümpfe und spannten diese über die Masten des Architekturmodells – womit das bekannte Olympia-Zeltdach geboren war. Daneben entstand nach den Plänen des Stuttgarter Architekturbüros Heinle, Wischer und Partner das Olympische Dorf, das als Stadt in der Stadt geplant war. Sie sollte auch nach den Spielen alle Funktionen des täglichen Lebens erfüllen, weshalb sie eine komplette urbane Infrastruktur erhielt.
Die Gartengestaltung erfolgte durch den Kasseler Landschaftsarchitekten Günther Grzimek, dessen Idee es war, einen demokratischen Park zu schaffen, in dem durch die Einbindung der natürlichen Umgebung Erholung für Körper und Geist von den Zwängen des alltäglichen Lebens möglich werden sollte. Geradezu revolutionär war, dass ganz im Sinne des Demokratisierungsprozesses die Besucher aufgefordert wurden, den Rasen zu betreten, um über alle Grenzen hinweg interagieren und kommunizieren zu können.
Wie bei derartigen Wettbewerben üblich, wurden seitens der staatlichen Bauverwaltung mehrere Modelle einschließlich der Pläne angekauft und schon am 19. Mai 1969 dem Staatsarchiv München übergeben. Das Siegermodell mit der Tarnnummer 4350 ist leider nicht unter den übergebenen Modellen, jedoch die Pläne hierfür. Bei dem hier überlieferten Modell des Olympiageländes handelt es sich um eine Sonderanfertigung von R. Augustin und G. Ott (München), die in Handarbeit als Werbemaßnahme für die Olympischen Spiele gebaut und deutschlandweit präsentiert wurde.
Zirbelstube für die Staatskanzlei
Ebenfalls eine architektonische Herausforderung bildete der Bau der Bayerischen Staatskanzlei an besonders exponierter Stelle am Münchner Hofgarten. Vor der weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg stand an der Stelle der heutigen Staatskanzlei seit 1905 der von dem Pfälzer Architekten Ludwig Mellinger geplante Kuppelbau des Bayerische Armeemuseums. Nachdem die Staatskanzlei nach dem Zweiten Weltkrieg in der Prinzregentenstraße ihren Sitz nahm, trieb vor allen Dingen Ministerpräsident Franz Josef Strauß (1978 bis 1988) einen Neubau voran. Den hierzu ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gewann 1982 das Architektenteam Diethard J. Siegert und Reto Gansser.
Doch der Wettbewerb und die präferierte architektonische Lösung entfachte ab Herbst 1984 jahrelange heftige Auseinandersetzungen mit der Landeshauptstadt München wegen der architektonisch sensiblen Lage am Hofgarten und an der Münchner Residenz. Besonders die geplante Beseitigung des Arkadengangs am Nordrand des Hofgartens zugunsten des Neubaus war umstritten und rief die Bürgerinitiative „Rettet den Hofgarten“ ins Leben.
Schließlich kam es zu einem Kompromiss mit deutlich kleinerem Bauvolumen. Der 1982 sanierte Kuppelbau des alten Armeemuseums wurde als Zentralbau der Staatskanzlei beibehalten, die Arkaden bezog man in den Neubau der Staatskanzlei ein, der 1993 bezugsfertig war – unter anderem auf ausdrücklichen Wunsch des Ministerpräsidenten Max Streibl (1988 bis 1993) mit der Zirbelstube. Auch hier erfolgte der Ankauf zahlreicher Modelle und Pläne der Preisträger und anderer Teilnehmer, wovon sich die Modelle auf der Willibaldsburg und die Wettbewerbsunterlagen in der Schriftgutüberlieferung des Staatlichen Bauamts München I erhalten haben.
Betrachtet man die Qualität des Modellbaus, so fallen bei den Wettbewerbsmodellen bereits deutliche Verbesserungen in Bezug auf Detailtreue und Materialverarbeitung auf. Lassen sich einige der Olympiamodelle geradezu noch als Bastelarbeiten der Architekturbüros bezeichnen, hatte in den 1980er Jahren die Modellbautechnik bereits erhebliche Fortschritte gemacht. Holz, Gips und Papiermaché, die früher üblichen Materialien, sind fast ganz verschwunden, es dominieren vor allen Dingen Kunststoffe, die eine exaktere und leichtere Verarbeitung ermöglichten. Acrylglas und das unter Wärmewirkung biegsame Plexiglas imitieren nunmehr in den Modellen die aufkommende Fassadengestaltungen in Stahl und Glas.
Mittlerweile macht eine neue Technik den Modellen Konkurrenz, das BIM (Building Information Modeling), eine Weiterentwicklung der AutoCAD-Systeme. Hier werden alle Gebäudedaten digital erfasst, kombiniert und vernetzt. Das Gebäude ist als virtuelles Gebäudemodell auch geometrisch visualisiert und begehbar. So entsteht zumindest am Bildschirm ein dreidimensionales Gebäude. Allerdings fehlt hier der Reiz des haptischen und des Be-greifbaren. Deshalb werden wohl auch in Zukunft die Gebäudemodelle ihre Berechtigung sowie vor allem Freunde und Liebhaber haben. (
Christoph Bachmann)
Information: Staatsarchiv München, Außenstelle Willibaldsburg, Burgstraße 90, 85072 Eichstätt. Lesesaal: Mo. bis Do. 8-18 Uhr, Fr. 8-13.30 Uhr. Repertorienzimmer mit Beratung: Mo. bis Do. 8.30-16 Uhr, Fr. 8.30-12.30 Uhr. Tel.: 08421/900340, E-Mail:
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