Das Paar, das aus dem Landgerichtsgebäude tritt, kann sich glücklich schätzen: Es hat wohl alle Bedingungen erfüllt, und kann nun stolz eine Verehelichungsgenehmigung oder einen Ehevertrag in Händen halten. Das Gemälde Ein Gerichtstag in Starnberg von Karl von Enhuber (1862) hängt im Starnberger Heimatmuseum (Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen). Foto: Stadtarchiv Starnberg
Aktenkundig - die Serie:
Die Mehrzahl des Archivguts heute sind meist recht nüchterne Verwaltungsakten aus den Amtstuben der Beamten und Juristen stammen. Was sich aus den relativ wenigen darin überlieferten Zeugnissen über die konkreten Lebensbedingungen des „kleinen Mannes" herauslesen lässt, beschreiben Experten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und des Staatsarchivs München in der Serie „Aktenkundig".
Jetzt endlich konnte er ans Heiraten denken! Der Vater hatte Georg Schönwetter nämlich das „Gütl" überschrieben, das steuerlich als 1/8-Hof eingestuft war. Obendrein hatte der 25-Jährige gerade seinen Entlassungsschein aus der Königlich Bayerischen Armee erhalten. Das war am 24. Juni 1838. Bereits Anfang Juli sprach der junge Mann aus Oberpfaffenhofen im Landkreis Starnberg mit seiner Braut Rosalia Thomamüller, einer Zimmerertochter aus Wildenroth bei Fürstenfeldbruck, beim Patrimonialgericht in Seefeld vor: Sie ersuchten um die Genehmigung zur Ansässigmachung und Verehelichung. Den Armee-Entlassungsschein, die Zeugnisse der Elementarschule (Volksschule) und der Feiertagsschule, die in etwa der heutigen Berufsschule entspricht, legten die beiden ebenso vor wie die schriftlich bestätigte Hofübergabe und die Aufnahmebestätigung der Gemeinde Oberpfaffenhofen. Georg und Rosalia konnten wohl zufrieden aus dem Gerichtsgebäude treten – sie hielten die Genehmigung zur „Ansässigmachung und Verehelichung" in Händen.
Andere jungen Leute verließen das Gerichtsgebäude sicher mit hängenden Mienen: wer nämlich nicht wie der junge Erbe des kleinen Schönwetter-Anwesens Grund und Boden sein Eigen nennen konnte, ging auch bei solchen Genehmigungen leer aus und musste sich als Handwerksgeselle, Knecht oder Magd verdingen, oder an jedem neuen Tag Lohnarbeit für sich und seine Familie leisten.
So erging es zum Beispiel dem etwa gleichaltirgen Taglöhner Johann Turner, der im Kloster Scheyern geboren wurde, und der in Aufham bei Schweitenkirchen zumindest heimatberechtigt war. Im Herbst des Jahres 1873 starb seine erste Ehefrau Anna Maria, mit der er vier Kinder großgezogen hatte, in Dachau an der Schwindsucht. Nach diesem Schicksalsschlag zog der Witwer in die Residenzstadt München, vermutlich um sich dort weiterhin als Taglöhner zu verdingen. Dort traf er die 43-jährige Elisabeth Gebhardt aus Deining in der Oberpfalz, die als Tochter eines Hirten ebenfalls ihr Auskommen als Dienstmagd oder Tagelöhnerin in der Landeshauptstadt suchen musste. Auch sie hatte schon Unglücksfälle hinter sich: Zum Beispiel war ihr uneheliches Kind kurz nach der Geburt gestorben. Die beiden beschlossen zu heiraten: War es Liebe? Oder eher eine Zweckgemeinschaft? Jedenfalls war es für für die in der Gesellschaftshierarchie ganz unten stehenden und in großer Armut lebenden Menschen oft leichter, sich gemeinsam durchs Leben zu schlagen.
Johann Turner, anders als der Söldner Georg Schönwetter des Lesens und Schreibens nicht mächtig, sprach also beim Stadtmagistrat München vor, um ein „Gesuch auf die Ausfertigung eines Verehelichungszeugnisses" zu stellen – das war die Voraussetzung für eine kirchliche Heirat. Damit begann für den in die Jahre gekommenen Witwer ein bürokratisch höchst aufwendiges Prozedere: Es musste sichergestellt werden, dass er durch seine Eheschließung weder dem Staat noch der Stadt zur Last fallen würde, also Armenunterstützung und Kosten verursachen könnte.
Seit dem 11. September 1825 bestand im Königreich Bayern nämlich die so genannte Ansässigmachungs- und Verehelichungsgesetzgebung. Danach waren für alle bayerischen Untertanen das Heiraten und die freie Wahl der Heimat mit allen Rechten und Pflichten eingeschränkt. Verbunden war das mit einem oft langwierigen gesetzlichen Genehmigungsverfahren.
Für uns ist es heute selbstverständlich, dass wir uns frei entscheiden können, wohin wir gehen und wen wir heiraten. Im 19. Jahrhundert wurden innerhalb der Sozialgesetzgebung gegen diese Freizügigkeit gesetzliche Hürden errichtet. In den Jahren 1825, 1834 und 1868 folgten Neuerungen, die auch die öffentliche Armenpflege sowie die Gewerbe- und Gemeindeordnung einschlossen. Betroffen von diesen frühen staatlichen Sozialmaßnahmen waren vor allem die ärmeren oder gänzlich besitzlosen Schichten innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft.
Die Verehelichung war in Bayern allerdings schon vorher an den Nachweis von Besitz gebunden: Herrschaften und das reichere Bürgertum scheuten das unkalkulierbare Risiko, meist kinderreiche Familien unterstützen zu müssen, wenn diese für ihre Ernährung nicht mehr selbst aufkommen konnten. Damals griffen Reichspolizeiordnungen, im 17. und 18. Jahrhundert dann in den noch nicht im Königreich vereinigten Herrschaften in Franken, Schwaben und Altbaiern das Landrecht oder der Erlass von Bettelmandaten und Polizeiordnungen. Dabei bestand stets eine enge Verbindung zwischen Armenpflege sowie Heimat- und Verehelichungsrecht.
Zwar erfüllten seit jeher auch die Kirchen, denen ja bis 1876 die Trauungen alleinig oblagen, die Aufgaben einer christlich motivierten Armenfürsorge. Aber auch die vollwertigen steuerpflichtigen Mitglieder einer Gemeinde oder Stadt waren für eine eventuell notwendige Armenunterstützung zuständig. Deshalb achteten sie im eigenen Interesse genau darauf, wer sich in ihrem Ort ansiedeln wollte, was er besaß und ob er nach einer Heirat tatsächlich eine Familie ernähren konnte. „Leichtfertiges Heiraten" bezog sich also nicht auf die moralische Bewertung einer Paarbindung, sondern auf die Eheschließung und Familiengründung ohne materielle Grundlage. Nach der Neuordnung Europas infolge der napoleonischen Kriege und der Verwaltungsmodernisierung Bayerns vor allem durch Montgelas gerieten die Kirchen in die Zwickmühle: Der Staat zog immer mehr auch soziale Aufgaben an sich – und wenn ein Pfarrer quasi unerlaubt ein Paar traute, konnte ihn der Gesetzgeber gar in Regresspflicht nehmen, dann musste er für eventuell notwendige finanzielle Hilfen aufkommen.
Dies, aber auch das Ringen um eine vom Staat durchaus erwünschte Zunahme der Bevölkerung im kriegsgebeutelten, zugleich deutlich vergrößerten Königreich lösten in der Kammer der Abgeordneten kontroverse Diskussionen aus: Wie waren Heimat und Ehe rechtlich richtig zu reglementieren? Letztendlich verabschiedete man das „Gesetz zur Ansässigmachung und Verehelichung" am 11. September 1825 in der Hoffnung, dass eine einheitliche staatliche Regelung mehr Gerechtigkeit und die Öffnung von Möglichkeiten für die unteren Schichten in sich birgt.
So lag fortan die Zuständigkeit für die Genehmigung zur Ansässigmachung, was soviel bedeutet wie die Niederlassung an einem Ort mit einem gesicherten Nahrungs- und/oder Besitzstand, und eine damit verbundene Erlaubnis zur Eheschließung bei den unteren staatlichen Behörden, also den Landgerichten, den Patrimonialgerichten und den Stadtmagistraten. Der Widerstand der Gemeinden gegen die Beschränkung ihres Einflusses auf das Heimat- und Eherecht wuchs. Das Parlament lenkte schließlich in der Änderung des Gesetzes vom 1. Juli 1834 ein, so dass die Bürger, Bauern und Gewerbetreibenden in den Gemeinden wieder mehr Mitsprache- und Vetorechte bei den entsprechenden Genehmigungsentscheidungen bekamen. Für die einfachen Leute verschärfte sich damit die Situation wieder. Das ist auch statistisch erkennbar, setzt man zum Beispiel die Wartezeiten für eine Heiratserlaubnis bei Dienstboten in Vergleich zur anwachsenden Zahl unehelicher Geburten. Insbesondere von liberalen Mandatsträgern in der Kammer der Abgeordneten wurde das entwürdigende Verfahren einer „Ansässigmachungsprozedur" und die zum Teil rigiden Abschiebungen von ledigen schwangeren Frauen und anderer Arbeit- und Heimatsuchenden ohne Besitz durch die Städte und Gemeinden scharf kritisiert... (Edeltraud Weber)
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