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Szenen vom Landleben, aber auch aus Märchen und von Indianern: Die Supraporten über den alten Türen der Sozialsiedlung in MÜnchen-Ramersdorf geben sich international. (Foto: Schutzgemeinschaft Ramersdorf/Christoph Randl)

15.07.2024

Schmückende Wegweiser

Supraporten in der amerikanischen Siedlung: Eine Besonderheit in München-Ramersdorf steht jetzt unter Denkmalschutz

Auf den ersten Blick sieht die Siedlung Ramersdorf-Süd im Münchner Osten nach gewöhnlichem Geschosswohnungsbau der Nachkriegszeit aus: Die meisten der dreistöckigen Häuser stehen quer zur Triester Straße, einige weitere parallel zur Wilramstraße. Zwischen den Zufahrten zu den langen Häusern gibt es Autostellplätze und Teppichstangen mit Wäscheleinen, auf der Rückseite der Gebäude führen Wege durch Rasenflächen zu kleinen Spielplätzen. Einige Bäume und Sträucher sieht man fast überall. Die dreistöckigen Häuser mit damals 475 Wohnungen wurden 1948/49 in weniger als einem Jahr Bauzeit als amerikanische Siedlung errichtet. Bauträger und Grundstückseigner war die städtische Wohnbaugesellschaft Gewofag, die auf Anweisung der Militärregierung handelte. Es zogen US-Soldaten ein, die für die Luftbrücke nach Berlin gebraucht wurden – die Luftwaffenbasis Neubiberg lag ganz in der Nähe. Die Soldaten und ihre Familien lebten dort bis in die 1960er-Jahre, danach wurde die Siedlung für die deutsche Wohnbevölkerung freigegeben. Das Gebiet wird bis heute „Ami-Siedlung“ genannt.

Eine Siedlung mit Besonderheiten. Schaut man sich näher in der Siedlung um, fallen die schlichten Bauten durch eine Besonderheit auf: Über den meisten Eingängen sind Kunstwerke an der Fassade angebracht, die dem Gebäudeteil eine individuelle Note geben und den Bewohnern – vor allem den Kindern – auch ganz praktisch bei der Orientierung innerhalb des Viertels helfen. Der Architekt Christoph Randl stellte diese 41 Kunstwerke bei einem Münchner Treffen des Denkmalnetzes vor. Seit Kurzem stehen sie unter Denkmalschutz. Derartige Arbeiten nennt man in der Kunstgeschichte „Supraporten“, weil sie sich direkt oberhalb der Eingangstüren befinden. Welche Künstler sie geschaffen haben, ist derzeit noch gar nicht bekannt, man hofft auf vertiefende Recherchen durch Interessierte. Die Supraporten über den zwei beziehungsweise vier Eingängen eines Hauses sind sich stilistisch meist sehr ähnlich und dürften jeweils von derselben Person geschaffen sein.

Vier Supraporten in der Wilramstraße erinnern an Holzschnitte des Expressionismus, es gibt schwarz-weiße Tierdarstellungen wie Rind, Löwe und Schwan. Weitere Werke sind in Schwarz-Weiß-Rotbraun gehalten, darunter ein Fabelwesen, eine Indianermaske, ein Fesselballon und verschiedene Pflanzenteile. Anspielungen auf Amerika und damalige deutsche Vorstellungen von den indigenen Kulturen sind möglicherweise von Karl May beeinflusst und auch von dem Umstand, dass die Werke extra für eine amerikanische Siedlung geschaffen wurden.

Der Heimatstil ist in der Wilramstraße mit vier ländlich-bäuerlichen Motiven vertreten: Drei Menschen ernten gemeinsam Tulpen. Ein Mann mit Sense und eine Frau mit Sichel haben Getreide gebündelt. Eine Familie hat Kleinholz gesammelt und damit im Freien ein Feuer gemacht. Ein anderes Bild fällt dadurch auf, dass es an mehreren Stellen beschädigt ist: Es zeigt eine Begegnung zwischen einem Mann, der gerade mit der Weinlese fertig ist, und einem Jäger, der ein Gewehr und ein erlegtes Reh mit sich trägt.

Die Supraporten des Nachbarhauses sind im Stil der Neuen Sachlichkeit gehalten. Sie zeigen spielende Kinder mit Laternen, beim Ringelreihen und mit einem Schneemann, aber auch Männer mit Schild und Speer, die zu dritt mit einer Friedenspfeife beisammensitzen.
In der Triester Straße finden sich Motive aus Grimms Märchen: Hans im Glück hat seine Gans im Arm, der Gehstock zeigt, dass er auf Wanderschaft ist. Eine gebeugte Frau mit schwarzer Katze auf dem Rücken belehrt zwei Kinder: Sie erinnern an Hänsel, Gretel und die böse Stiefmutter – oder ist es die Hexe? Über einer anderen Tür reitet ein König mit einer schlicht gekleideten Frau auf einem Pferd, sie könnte Aschenputtel sein. Doch warum sieht der Wolf den sieben Geißlein gar so ähnlich, oder sind es eher Hasen, die da um den Brunnen tanzen? Manche Motive der Supraporten laden zur Interpretation und zum Raten ein. Einen Bezug zu Amerika haben offenbar die Cowboys mit Pferd, vielleicht ist das Bild von Cowboyclubs der Nachkriegszeit inspiriert. Drei weitere Arbeiten sind in ähnlichen olivfarbenen und rotbraunen Tönen gehalten, eine dieser Arbeiten stellt eine Rinderherde dar. Zwischen Heimatstil und Naturalismus liegen einige Supraporten aus Sandstein mit leichtem Relief, sie zeigen Szenen mit Haus- und Wildtieren, zwei weitere mit anderen Motiven sind bunt koloriert. Außerdem fallen in der Triester Straße zwei halbplastische Arbeiten auf, die entfernt an Werke von Käthe Kollwitz und Ernst Barlach erinnern ... (Irene Gronegger)

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Abbildungen:
Indianer rauchen vor dem Zelt eine Friedenspfeife, oder Bilder vertrauter deutscher Märchen: Die Supraporten über den alten Türen der Sozialsiedlung München-Ramersdorf sehen nun unte Denkmalschutz. (Fotos: Schutzgemeinschaft Ramersdorf/Christoph Randl)

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