Deutschland im Football-Fieber: Der aktuell kultigste Quaterback kommt nach Deutschland. Tom Brady wird mit den Tampa Bay Buccaneers in München gegen die Seattle Seahawks antreten. Der Wahnsinn: Rund eine halbe Million Fans sollen sich schon für die Tickets zum Spektakel am 13. November registriert haben. Es werden natürlich nur „happy few“ sein, die sich das Spiel live vor Ort ansehen werden können. Aber das sind in diesem Fall ordentliche Zigtausende. Und vermutlich reisen viele Fans, die leer ausgehen werden, trotzdem an, um ihrem Star (und natürlich auch den Seahawks, die in Deutschland ohnehin eine große Anhängerschar haben) nahe sein zu können – und wegen des ganzen Rummels drumherum, der für die NFL typisch ist.
Der FC Bayern macht den Superdeal
Es wird heiß hergehen im Olympiapark und im Olympiastadion, heißlaufen werden auch die Kassen der Stadt vor Dauerklingeln. Stopp! Da stimmt etwas nicht: Tom Brady im Olympiastadion? Da wird der Veteran – wie jüngst – noch viele Comebacks aus dem Ruhestand ankündigen müssen, bis ein solches Ereignis Realität wird. Vorerst beflügelt eine solche Vision nämlich nur den Geschäftssinn von Münchens Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) – die Bucs werden gegen die Seahawks nämlich in der Allianz Arena vor rund 75.000 Fans kämpfen, den Deal hat nicht die Landeshauptstadt, sondern der FC Bayern gemacht. Die Stadt hatte sich mit dem Olympiastadion erst gar nicht beworben – freilich hätte ein solches Match im Olympiapark dessen 50-jährigem Jubiläum in diesem Jahr wunderbar die Krone aufgesetzt. Aber das Stadion taugt nicht mehr für ein solches Megaevent.
Die Sanierungspläne für das Olympiaensemble sind ausgearbeitet und werden bereits umgesetzt – allein schon die European Championships in diesem August, die wohl bislang größte Sportveranstaltung seit der Olympiade 1972, macht einige Arbeiten notwendig, um nur Sanitäreinrichtungen und Lichtanlagen zu nennen.
Vielleicht aber könnte man mit entsprechender Ertüchtigung auch das Olympiastadion künftig und obendrein dauerhaft zur Arena für Football machen? Der Sport ist hierzulande längst etabliert: Die German Football League (GFL) gibt es seit 1979 mit je acht Teams in der GFL-Nord und der GFL-Süd. Aus Bayern kommen die Munich Cowboys, die Allgäu Comets und die Straubing Spiders. In der Regionalliga spielen zudem die München Rangers.
Das Olympiastadion als Heimstatt des Football
Nach der in München beginnenden internationalen Tour des großen Vorbilds aus den USA wird American Football in Deutschland einen Hype um diesen Sport erfahren, nimmt Clemens Baumgärtner an. Und er will, dass die Stadt dafür gewappnet ist. Die Münchner Footballteams spielen derzeit im städtischen Dantestadion – aber werden dort die 12.000 Plätze in Zukunft noch ausreichend sein? Und was ist mit internationalen Begegnungen – und natürlich dem „Beiprogramm“, das von Fans zunehmend erwartet wird?
Das Olympiastadion und der Olympiapark könnten der ideale Schauplatz für solche Spektakel werden. Clemens Baumgärtner ist nicht Sportreferent, er verbindet seine Vorstellung in erster Linie mit Überlegungen zur künftigen Nutzung des Olympiaensembles. „Auch dafür bin ich eigentlich nicht zuständig – aber fürs Geld. Und wie soll ich den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass wir in den kommenden Jahren einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag für die Sanierung des Olympiaensembles ausgeben, ohne sagen zu können, wofür eigentlich? Es fehlt nämlich an einem zukunftweisenden Nutzungsplan für den gesamten Olympiapark.“
In Freising droht Konkurrenz für die Olympiahalle
Über dem sieht der Wirtschaftsreferent düstere Wolken. Der Erhalt der olympischen Anlage koste die Stadt immer mehr, aber immer weniger Geld komme rein – nicht erst seit den Ausfällen in den Corona-Jahren. „Wir sind selbst schuld. Wir haben die Zeichen der Zeit verschlafen.“ Der Fußball ist weg, wandern bald auch noch die Musikstars ab? Grummelnd rutscht Baumgärtner das Wort „Kannibalismus“ heraus: Im Umkreis des Münchner Flughafens will ein Privatinvestor eine hochmoderne Superhalle errichten: für Kongresse ebenso wie für Musikevents. „Wer geht dann noch in die Olympiahalle? Sie ist zwar saniert, aber der Denkmalschutz hat verhindert, sie zeitgemäßen Konzertansprüchen anzupassen“, klagt Baumgärtner und erwähnt neben der Hallen- und Bühnenhöhe auch Vip-Bereiche.
Eine neue Eventlocation am Flughafen würde zwar dessen Attraktivität steigern – was dem Wirtschaftsreferenten natürlich nicht egal sein darf, ist die Landeshauptstadt doch Anteilseignerin am Flughafen. Aber die Halle wäre auf Freisinger Flur und würde der Landeshauptstadt gerade die gewinnbringenden Großkonzerte abziehen.
Die Olympiahalle ist derzeit der größte Umsatzbringer im Olympiapark: Im Vor-Corona-Jahr 2019 warf sie 9,9 Millionen Euro ab – von insgesamt 31 Millionen Euro aus allen dortigen Einrichtungen. „Jahrzehntelang war sie bereits im Januar fürs ganze Jahr ausgebucht“, sagt Baumgärtner und warnt vor dem Ende dieses Selbstläufers. Das Stadion spielte 5,7 Millionen Euro ein. Anders als in der Halle mit ihrem Ganzjahresbetrieb sei die Saison im Stadion auf Juni bis allerhöchstens Anfang September begrenzt. „Und dann beobachten wir, dass selbst die Größen der Musikszene das Stadion nicht mehr unbedingt vollkriegen. Für die Rolling Stones, die am 5. Juni kommen, gibt es immer noch Karten.“
Was das Olympiastadion angeht, könnte es sich nach Ansicht Baumgärtners eben als Heimstatt des Football eignen – es wäre damit ganzjährig bespielt, wie in alten Fußballzeiten. Aber was tun mit der Olympiahalle? Bevor der Wirtschaftsreferent davon erzählt, wo er im Olympiapark seinen Rettungsvisionen entsprechend gerne die Abrissbirne schwingen lassen würde, schickt er betont „ohne Punkt und Komma“ voraus: „Der ganze Stadtrat steht zum olympischen Erbe und niemand stellt seine Sanierung infrage.“
Der Olympiapark, ein Ort der Emotionen
Der Wirtschaftsexperte lässt in diesem Moment Zahlenspiele und düstere Prognosen außen vor und spricht von in einem halben Jahrhundert gewachsenen emotionalen Bindungen der Bevölkerung an das Olympiagelände – vor allem auch von eigenen: Wie er als Bub mit dem Ferienpass in der Hand im Olympiaschwimmbad herumtollte und danach am Kiosk einen Snack verdrückte, wie er als 15-Jähriger sein erstes Konzert und das obendrein mit Michael Jackson im Olympiastadion erlebte: Obwohl er ein Ticket hatte, musste er sich am Ordner vorbeimogeln, weil der ihn altersbedingt nicht alleine ins Stadion einlassen wollte: „Ich bin dann sicherheitshalber nicht auf meinen Platz, sondern habe mich oben auf den Rängen rumgedrückt, weil ich Angst hatte, dass mich der Ordner entdeckt und wieder rauszieht“, erinnert er sich lachend.
Er wird schnell wieder ernst: „Wenn all die Gebäude aber künftig ungenutzt leer stehen oder nur im Miniformat ohne ausreichende Einnahmen bespielt werden, haben wir irgendwann eine tote Olympialandschaft, die nichts mehr von der ursprünglichen Idee und vom dort herrschenden Geist hat. Wir brauchen eine Landschaft, in der die Erinnerung ans olympische Erbe regelrecht atmet, und nicht nur eine x-beliebige Grünfläche zum Durchjoggen und Durchradeln.“
Eine neue neben die alte Olympiahalle bauen
Clemens Baumgärtner lässt die Katze aus dem Sack: Eine neue Halle muss her! Mit allem zeitgemäßen Pipapo. Mulifunktional – für Sport, Kultur und Musik. Zum Beispiel auch fürs Boxen. Und für Musicals – so wie in Hamburg. 20.000 Besucher*innen sollten reinpassen. Und diese Halle soll neben der Olympiahalle stehen.
Die Eissporthalle, das Ackermannzelt und das Parkhaus will Baumgärtner abreißen: „Was marode ist, kostet nur viel bei der Sanierung, ohne dass es danach einen vernünftigen Nutzen hätte.“ Erwartbare Hin-und-wieder-Veranstaltungen in „Größe eines Betriebssportvereins“ und mit nur einigen Hundert Zuschauerinnen und Zuschauern sind Baumgärtner unter ökonomischen Aspekten viel zu unbedeutend und würden den finanziellen Aufwand für den Unterhalt nicht rechtfertigen.
Ein finanzielles Risiko bei einer neuen Halle sieht der Wirtschaftsreferent nicht: Die Halle sollten private Investoren auf Erbpachtgrund erbauen und betreiben – „Vorsondierungen in der Veranstalterbranche haben großes Interesse erkennen lassen“.
Vor allem zieht die Lage: „Der Olympiapark ist im Laufe der Jahre fast in die Stadtmitte reingewachsen. Vom Marienplatz aus ist man mit der U-Bahn in 20 Minuten dort. So etwas schätzen Veranstalter und das Publikum. Einen Konzertbesuch kann man ohne großen Aufwand in der Münchner Gastronomie ausklingen lassen. Von der angedachten Freisinger Halle dagegen würde sich der Weg ins Münchner Nachtleben nicht mehr lohnen.“
Eine Huckepacklösung rettet die Olympiahalle
Aber wie war das mit der „Kannibalisierung“? Schluckt nicht auch eine neue Halle im Olympiagelände die alte? Clemens Baumgärtner verrät verschmitzt den Clou seiner Überlegung: Es sollte eine Huckepacklösung geben. „Wir würden den Betreiber der neuen Halle vertraglich binden, sich auch um die Nutzung der alten Halle zu kümmern. Sie wäre dadurch gerettet. Auf die Betreiber einer Halle in Freising dagegen hätten wir keinen Einfluss.“ Mit unternehmerischer Phantasie lasse sich die Olympiahalle bestimmt gewinnbringend neben einer neuen „Schwester“ bespielen – Clemens Baumgärtner hätte da auch schon eine Idee: „Wir haben in München noch keine Location für die Massenevents der Computer Gaming Community. Die würden doch ideal in die Olympiahalle passen. Dafür ist die Hallenhöhe egal, auch die Akustik, weil sowieso jeder ein Headset aufhat. Und die paar Steckdosen unter den Sitzen hat man schnell installiert“, skizziert er salopp. „Ich kann mir die Konfrontation von alten Sportarten, für die die Halle einmal gebaut wurde, mit dem neuem Gaming sehr spannend vorstellen.“
Mit Hirnschmalz und Lust Neues etablieren
Ein weiterer Gedanke: „Wir könnten dort auch Tennis etablieren. München hat das entsprechende Publikum, was man bei den BMW Open und auf dem Iphitos-Gelände sehen kann. Aber wir haben bislang kein Weltturnier. München müsste es doch wie Paris oder London schaffen, auch ein solches internationales Turnier auf die Beine zu stellen. Mit Hirnschmalz und Lust kriegt man vieles hin.“
Ob beides auch ausreichen wird, ein solches Hallenprojekt an äußerst sensibler Stelle im Münchner Stadtrat und vor allem auch beim gestrengen Denkmalschutz durchzuboxen? „Ich höre schon 1000 von einem starren Denkmalschutzgedanken infizierte Stimmen, die sagen: ,Mei, des is so schee, lass mers doch’. Aber da halte ich dagegen: Na, mia miassn was ändern“, sagt Clemens Baumgärtner und seufzt unmerklich. „Mir schwant ein bräsiger, deprimierender Diskurs über den Denkmalschutz, der München mit dem Anspruch einer Weltstadt doch eigentlich unwürdig ist.“
Natürlich würde er die herausragenden denkmalgeschützten Teile unangetastet lassen: Einzeldenkmale sind das Olympiastadion, die Olympiahalle und die Schwimmhalle. Dass die gesamte Anlage inklusive Olympischem Dorf seit 1998 als Denkmalensemble ausgewiesen ist, hat jedoch nicht vor gravierenden Änderungen abgehalten: Verschwunden sind Teile des Olympiadorfs und auch das Olympia-Radstadion – an dessen Stelle baut die Red Bull GmbH gerade den SAP Garden, eine neue Halle für den Eishockeyclub EHC Red Bull München und das Basketballteam des FC Bayern München. „Gerade dieser Hallenbau zeigt, wie wunderbar sich neue Architektur in die gewachsene Umgebung einpassen lässt. Auch bei einer neuen Multifunktionshalle, wie sie mir vorschwebt, wäre ein spannender Architektenwettbewerb zu erwarten“, ist sich Baumgärtner sicher.
Das Unesco-Label bringt keinen Mehrwert
Nein, auf Kriegsfuß mit dem Denmalschutz stehe er nicht prinzipiell – wohl aber mit der Bewerbung um den Status eines Unesco-Weltkulturerbes fürs Olympiagelände: „Wir haben genügend Instrumente des Denkmalschutzes, um den Erhalt zu garantieren. Schon jetzt ist nichts drin mit LED-Geblinke und auch die alte Anzeigetafel wurde nicht durch einen OLED-Bigscreen ersetzt. Außerdem würde das Unesco-Label keinen einzigen Touristen mehr nach München bringen. Der Mehrwert für die Stadt wäre marginal. Im Gegenteil, es gäbe dann noch mehr bürokratische Hürden, wenn es um Abstimmungen zu Veränderungen geht.“
Dass die letztendlich bei allem Verständnis für den Denkmalschutz unumgänglich sind, möchte der Wirtschaftsreferent dem Stadtrat demnächst mit Zahlen, Tabellen und Grafiken gespickt vor Augen führen und gleich eine Beschlussvorlage für den Hallenneubau dazupacken: „Der mittlere dreistellige Millionenbetrag für die aktuelle Generalsanierung ist ein gewaltiger Brocken. Und der könnte noch größer werden“, warnt Baumgärtner. Neben aktuell nicht absehbaren Entwicklungen bei den Bau- und Materialkosten drohe eine Änderung bei der steuerlichen Behandlung – und die könnte mit einem satten Plus von 19 Prozent zu Buche schlagen.
Steuerliche Behandlung könnte sich verschlechtern
Das Dilemma mit der umsatzsteuerlichen Organschaft: Wenn das, was die Stadt mit der Pacht einnimmt nicht mehr reicht, um die Anlage pachtfähig zu machen, was also den Bauunterhalt und die Sanierung betrifft, „dann ist das kein Gewerbe mehr sondern kapitalertragsteuerpflichtig. Damit wäre die Vorsteuerabzugsfähigkeit in Gefahr.“ Baumgärtner gibt ein Diagramm noch nicht preis, das er dem Ratskollegium präsentieren will und das für die Jahre 2022 bis 2045 prognostiziert, was die Stadt einnehmen müsste, damit die Kosten für den Unterhalt des Olympiageländes gedeckt wären. Nur so viel: „Wir brauchen dringend mehr Einnahmen!“
(Karin Dütsch)
DreiecksverhältnisDas Gelände des Olympiaparks gehört der Landeshauptstadt München. Pächter ist die SWM Services GmbH, die alles pachtfähig hält – also für den Bauunterhalt und auch die Sanierung zuständig ist. Sie verpachtet das Ganze wiederum an die Olympiapark München GmbH (OMG). Diese vermietet die Einrichtungen an Veranstalter.
2019 erwirtschaftete die OMG einen Jahresumsatz von etwas über 31 Millionen Euro, 2020 waren es rund 10,5 Millionen Euro – Grund für das Minus waren die Beschränkungen durch die Corona-Pandemie. Dementsprechend stand einem Jahresüberschuss von rund 4,3 Millionen Euro ein Minus von rund 6,8 Millionen Euro. (dü)
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