Auf den ersten Blick ist die oberbayerische Idylle in der Gemeinde Reichling zwischen Lech und Ammersee in Sichtweite der Alpen perfekt. Doch der Schein trügt. Rund 3000 Meter unter den grasenden Kühen vermuten Experten Erdgas. Diese Erkenntnis ist nicht neu, jedoch galt die Förderung bislang als unwirtschaftlich. Dies könnte sich bald ändern. Schon in wenigen Wochen könnten in dem 1711-Einwohner-Örtchen die ersten neuen Erdgasbohrungen in Bayern seit mehr als einem Jahrzehnt beginnen.
40 Meter hoher Bohrturm soll errichtet werden
Am 26. Juni 2024 hat das Bergamt Südbayern der Firma Genexco Gas die Probebohrung genehmigt. Demnächst soll der Bohrplatz hergerichtet und ein 40 Meter hoher Bohrturm aufgestellt werden. Das Konzessionsgebiet "Lech Ost" ist mehr als 100 Quadratkilometer groß und erstreckt sich bis zum Ammersee. Im September könnte es losgehen. Doch es gibt Widerstand - nicht nur von Umweltschützern und besorgten Anwohnern.
Kommunalpolitiker sind gegen das Projekt
Auch die Kommunalpolitik hat sich vor wenigen Tagen einmal mehr gegen die Bohrung ausgesprochen. Der Landrat des Landkreises Landsberg am Lech, Thomas Eichinger (CSU), und der gesamte Gemeinderat von Reichling fordern ein Verzicht. Sie fürchten um ihre Heimat und um ihre Gesundheit.
Die Bohrung liegt laut Greenpeace nur rund 150 Meter von einem europäischen Schutzgebiet für bedrohte Tiere und Pflanzen entfernt und 200 Meter neben dem Trinkwasserschutzgebiet sowie im Einzugsbereich der Trinkwasserquelle der Gemeinde. Das nächste Wohnhaus ist 150 Meter entfernt - ein Windrad würde hier wegen geltender Abstandsregelungen niemals erlaubt.
Wie viel Gas hier gefördert werden kann, ist unklar. Laut Greenpeace wird auf ein 500 Millionen Kubikmeter umfassendes Erdgasfeld spekuliert, das 15 Jahre ausgebeutet werden soll.
Landrat schickt Protestbrief an Aiwanger
Eichinger will die Bedenken hinsichtlich Umwelt, Verkehr, Gesundheit und Klimaschutz dieser Tage als Protestbrief an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nach München schicken. Die Bohrung ist zwar schon genehmigt, jedoch fehlt noch die Fördergenehmigung. Dem Vernehmen nach mangelt es bisher an einem Trinkwasser-Notfallkonzept.
Reichlings Bürgermeister Johannes Hintersberger bestätigt auf Anfrage, dass "dieser Brief rein rechtlich keinerlei Einfluss auf das Genehmigungsverfahren nimmt, der Gemeinderat verspricht sich hierbei ein landespolitische Kehrtwende zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen in unserer Gemeinde." Seine Gemeinde von "der Förderung keinen nennenswerten Vorteil" zu erwarten.
Gasförderung in Bayern schon lange auf niedrigem Niveau
Seit den 1950er Jahren wurden laut Ministerium im bayerischen Alpenland fast 60 Gasfelder entdeckt - viele Vorkommen sind längst ausgebeutet. Bayern konnte in den 1970er Jahren etwa 30 Prozent seines Gasbedarfes aus heimischen Lagerstätten decken, inzwischen sind es nur noch circa 0,1 Prozent. Seit vielen Jahren stagniere die Gasförderung "auf sehr niedrigem Niveau", nennt es das Ministerium, lediglich von der Lagerstätte Inzenham-West bei Rosenheim werde derzeit Erdgas gefördert.
Im Zuge der Energiewende und der Abkehr von russischen Gasimporten ist die Bedeutung von Gas bei der Energieversorgung zwar zurückgegangen - es ist aber nach Mineralöl noch immer der wichtigste fossile Energieträger im Freistaat und deckt knapp ein Fünftel des Primärenergieverbrauchs. Erdgas wird in Deutschland vor allem in der Industrie und zum Heizen verwendet. Mehr als 90 Prozent wird über Gaspipelines importiert.
Der bayerische Wirtschaftsminister weist Kritik von sich und betont, Bayern habe selbst keinen Ermessensspielraum bei den Genehmigungen. "Ich verstehe die Skepsis von Anwohnern im Fall von geplanten Erdgasbohrungen. Wenn allerdings alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten sind, besteht ein Rechtsanspruch, den ich nicht verweigern kann", teilte Aiwanger mit und verwies auf das Bundesbergrecht. "Ein Politiker sollte die gesetzlichen Regelungen hierzu kennen, bevor er mich angreift."
Ministerium verzichtet freiwillig auf Förderabgabe
Dass Erdgasförderungen der Regierung in München willkommen sind, zeigt sich jedoch auch in der Tatsache, dass die Staatsregierung freiwillig auf eine Förderabgabe nach dem Bundesbergbaugesetz verzichtet. Dadurch solle die Suche nach neuen Lagerstätten angeregt werden, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der Grünen im Landtag mit.
Aiwanger selbst spricht bei Erdgas von einer "Brückentechnologie, die bis zur Erreichung der Klimaneutralität noch gebraucht wird". Das weniger klimaschädliche Image von Erdgas ist aus Sicht vieler Experten überholt: Gas heize das Klima mehrfach auf - durch Methanemissionen bei Förderung, Speicherung und Transport sowie durch CO2-Emissionen bei der Verbrennung.
Grüne: Aiwanger ist Geisterfahrer in Energiepolitik
"Aiwanger gibt Gas - aber in die falsche Richtung. Wie ein Geisterfahrer unterstützt er die Erschließung neuer dreckiger Erdgasquellen, anstatt seine Energie auf den dringend nötigen Ausbau der Windkraft zu konzentrieren", sagte Bayerns grüner Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann. Während Windkraftbetreiber hohe Gebühren zahlen müssten, um Anlagen im Staatsforst zu errichten, dürfe das Unternehmen Genexco Gas in Reichling quasi umsonst das Gas ausbeuten. Damit verheize "die Staatsregierung weiter die Zukunft unserer Kinder".
Doch zurück nach Reichling: Nach den Signalen aus Kreis- und Gemeinderat keimt bei der "Bürgerinitiative Reichling Ludenhausen - gegen die Ausbeutung unserer Heimat" Hoffnung auf: "Dieser einstimmige Beschluss signalisiert den Bürgern, dass sie mit ihren Bedenken nicht allein gelassen werden", sagt Franz Osterrieder. Es sei aber auch ein Signal an Genexco, dass das Unternehmen in der ganzen Ammersee-Region nicht willkommen sei.
"Heute noch neue Erdgasvorkommen zu erschließen, ist klima- und energiepolitischer Irrsinn", betonte Saskia Reinbeck, Energie-Expertin von Greenpeace Bayern. Aiwanger verlängere Bayerns Abhängigkeit von fossilen Energien und ignoriere die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger.
(Marco Hadem, dpa)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!