Wirtschaft

Viele Solo-Selbstständige wie freier Orchestermusiker müssen jetzt Grundsicherung beantragen. (Foto: dpa/Foto: Hauke-Christian Dittrich)

16.04.2020

Arme Solo-Selbstständige

Corona-Soforthilfe dient Autokonzernen und Vermietern

Man stelle sich vor: In einer Behörde sind wegen Corona keine Anträge mehr zu bearbeiten. Deshalb sagt der Chef zum Mitarbeiter: „Du bist jetzt freigestellt. Der Freistaat zahlt uns Soforthilfe – für unsere Büromiete und unsere Dienstwagen. Gehalt gibt’s aber keines, bis wir wieder Anträge haben.“
Wer sich nun denkt, „das ist absurd, wovon soll der Angestellte leben?“, hat verstanden, warum Solo-Selbstständige zurzeit auf die Barrikaden gehen. Denn die „Soforthilfe Corona“ des Freistaats übernimmt zwar Leasingkosten für Firmenautos oder die Miete für Büros und Ateliers. Aber wie Kreative oder Paketfahrer ihren Lebensunterhalt finanzieren, interessierte bisher offensichtlich niemanden im Wirtschaftsministerium.

Genau dort wurde die „Soforthilfe Corona“ erfunden, gedacht auch für Solo-Selbstständige. Faktisch ist sie bislang aber eine Unterstützung für Vermieter und Autokonzerne: Denen sichert die Förderung die Einnahmen. Laut Ministerium sowie Auskünften aus zwei Bezirksregierungen sind übrigens bisher keine Anträge abgelehnt worden. Vielleicht auch deshalb, weil von der sechsstelligen Zahl bisher erst weit weniger als die Hälfte bearbeitet worden ist, wie Pressestellen bestätigen.

Geldnot bleibt

Aus Geldnot bleibt deshalb vielen Solo-Selbstständigen nicht mehr als der Gang zur Bundesagentur für Arbeit (BA), um dort „Grundsicherung“ zu beantragen, besser bekannt als Hartz IV. Sind sie kreativ tätig, ob als Grafik-Designerin, freier Orchestermusiker oder Journalist, bedeutet das: Die Künstlersozialkasse (KSK), über die sie renten- und krankenversichert sind, bekommt kein Geld mehr überwiesen. Die Solos sind quasi raus aus der KSK; die BA überweist den Beitrag der Krankenversicherung nun direkt.

Nadine Leutsch, Co-Sprecherin des Selbstständigenrats von Verdi Mittelfranken, fordert ein komplettes Umdenken des Ministeriums bei der Corona-Soforthilfe. „Als GmbH-Unternehmer könnte ich die Auszahlung des eigenen Gehalts als laufende Betriebskosten geltend machen. Ein SoloSelbstständiger dagegen darf sein eigenes Gehalt nicht in einen Liquiditätsengpass einrechnen und wird zum Hartz-IV-Empfänger degradiert“, erklärt sie.

Soforthilfen jetzt

Denn unternehmerisch tätig zu sein, damit ist dann Schluss. Und Einnahmen werden mit der Grundsicherung gegengerechnet. Wiederkehrende sowieso. Doch auch einmalige Einnahmen wie zum Beispiel Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften wie Gema oder VG Bildkunst, oder Unterstützungen aus Hilfsfonds müssen gegenüber dem Jobcenter angezeigt und nachgewiesen werden, bestätigt die BA. Kürzlich hat die Stadt Nürnberg einen solchen Hilfetopf werbewirksam via Presse verkündet. Könnte also sein, solche Einnahmen ersetzen nur Mittel der Arbeitsagentur, mutmaßt Leutsch.

Doch der Selbstständigenrat lässt nicht locker. In einem offenen Brief hat die Verdi-Vertretung die mittelfränkischen Politiker über die aus ihrer Sicht falschen Ansätze der bayerischen Corona-Soforthilfe informiert. Nadine Leutsch und Willi Nemski, die beiden Sprecher des Selbstständigenrats, fordern darin ganz klar: „Soforthilfen für Solo-Selbstständige – ohne Einschränkung, jetzt!“

Vielleicht wurde der Aufruf ja tatsächlich gehört. Die Süddeutsche Zeitung berichtet von einem „gemeinsamen Vorschlag der Länder“. Danach sollen „alle Berufe, die ihre Dienstleistung außer Haus und beim Kunden erbringen und nicht angestellt sind“, neben den Betriebskosten monatlich pauschal 1000 Euro bekommen. Vorausgesetzt, sie haben „Coronabedingt substantielle Umsatzeinbrüche“ über 50 Prozent.

Doch was ist an diesem Bericht dran? Beim Wirtschaftsministerium hat man für eine Antwort auf diese Frage „gar keine Zeit“.
(Heinz Wraneschitz)

Kommentare (3)

  1. Heinz Wraneschitz am 20.04.2020
    Als Autor des Beitrags erlaube ich mir eine Anmerkung:
    Die beiden Leserbriefschreibenden haben ein „quasi“ überlesen.
    Ich habe im Beitrag NICHT geschrieben, man sei aus der KSK raus, sondern QUASI raus.
    Denn die Rentenbeiträge werden nicht mehr überwiesen, die KSK ist stillgelegt für die Zeit des Hartzens.
    Das bestätigt auch die KSK in einer Mail an mich.

    Servus und bleibt g`sund
    Heinz Wraneschitz
  2. Jonas am 19.04.2020
    Wie man in dem Kommentar meiner Vorrednerin erkennen kann, werden hier falsche Informationen vermittelt. Der Bezug von ALG2/Hartz4 führt nicht zu einem Ausschluss aus der KSK. Alles was passiert, ist, dass in der Zeit, in der ALG2 bezogen wird, die KSK nur noch die Beiträge der Rentenversicherung zahlt. Und der Staat übernimmt Kranken und Pflege-versicherung. Die Selbstständigkeit muss aber bei ALG2 nicht aufgegeben werden. Ich kann nur empfehlen, sich auf der Homepage der KSK zu informieren, denn dort steht, dass für 2020 das Mindesteinkommen von 3900 Euro nicht erreicht werden muss. Somit besteht im Jahre 2020 nicht Gefahr, aus der KSK zu fliegen. Und auch wenn ich persönlich eine unbürokratische Soforthilfe bevorzugen würde, so ist doch die Grundsicherung immerhin Etwas und hat für einen gewissen Zeitraum, und vor allem in 2020, keinen Einfluss auf die Mitgliedschaft in der KSK. Die Grundsicherung steht jedem zu. Da sollte man, bei aller Kritikwürdigkeit, den Menschen keine falschen Ängste machen!
  3. Tanzlehrerin am 18.04.2020
    Ich wusste nicht, dass man aus der KSK rausfällt, wenn man ALG2 beantragt - vielen Dank für die Information! Zum Glück habe ich ALG2 noch nicht beantragt, denn aus der KSK zu fallen ist für mich der Horror. Das bedeutet ja, dass man, wenn man wieder arbeiten kann, die Wiederaufnahme beantragen muss. Beim letzten Mal hat die Aufnahme in die KSK bei mir 1 1/2 Jahre gedauert, denn wenn deren Kassen leer sind wird man auch nicht wieder so einfach aufgenommen. Wer denkt, der Aufwand ALG2 zu beantragen wäre groß, hat noch nie einen Antrag bei der Künstlersozialkasse gestellt.
    Da die meisten in der KSK-Versicherten ihre erwarteten Einnamen nach unten korrigieren müssen, werden auch da die Kassen leer sein. Das heisst, wenn man die Corona-Krise einigermaßen überstanden hat muss dann da wieder um seine Anerkennung kämpfen. Man merkt einfach mal wieder, dass man als Kunstschaffender ganz unten auf der Prioritätenliste steht. Alle wollen sie jetzt während des Lockdowns Musik anhören, Filme anschauen, Tanzstunden per Zoom machen und am besten alles kostenlos. Die Künstler sind ja selber Schuld, wenn sie nichts 'gescheites' gelernt haben und davon leben müssen. Traurig.
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