Atomkraftwerke (AKW) sind bis heute zu kaufen, werden hin und wieder sogar gebaut. Auch wenn das oft Jahrzehnte dauert, und die Wirtschaftlichkeit wie schon immer nur dank Milliardenzuschüssen gegeben ist. Und am Ende ihrer Lebensdauer müssen deren hochradioaktiven Brennstäbe irgendwo für Hunderttausende oder Millionen Jahre versteckt werden.
Der hochtechnisierten Bundesrepublik bescherte insbesondere der bekannteste CSU-Chef Franz Josef Strauß die Atomindustrie nebst Dutzenden AKWs und versprach Reichtum und unversiegenden Atomstromfluss. Doch auch wenn einige seiner Parteifreunde nebst solchen aus der Schwester CDU den 2011 vertraglich geregelten Atomausstieg infrage stellen: Am 31. Dezember 2022 werden wohl auch die „letzten Drei“ den Strom abschalten: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.
Halbwertszeit von über 700 Millionen Jahren
Aber endgültig Schluss mit dem Atom ist danach noch viele Jahrhunderttausende nicht. Denn die Halbwertszeit von Atomkraft-Uran 235 beispielsweise beträgt über 700 Millionen Jahre. Sprich: Nach diesem Zeitraum ist von einem Kilo U235 erst die Hälfte zu Blei zerfallen. Und deshalb müssen die Überbleibsel aus allen deutschen Atomkraftwerken irgendwo sicher gelagert werden. Hat zumindest der Bundestag entschieden. Wohl tief unter der Erde. Das hat 2017 die sogenannte Endlagerkommission in ihren Abschlussbericht geschrieben.
Die hatte im Übrigen von einem „Endlager erst in etwa 100 Jahren“ gesprochen. Doch die Regierung will es schneller. Deshalb hat sie die „Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH“ (BGE) gegründet. Und diese BGE will am kommenden Montag, 28. September 2020, bekanntgeben, welche Regionen hierzulande dafür überhaupt infrage kommen. „Die Festlegung des Endlagerstandorts wird für das Jahr 2031 angestrebt“, so die aktuelle Zeitplanung.
Wie weit die Länder im Westen Europas auf der Auswahlsuche sind, war bei einem Symposium des Dachverbands der Geowissenschaften (DVGeo) mit dem Titel „Endlagerung in Europa“ zu erfahren. Eine Zusammenarbeit mehrerer, oder gar ein gemeinsames Endlager aller EU-Länder scheint kaum mehr möglich: Augenscheinlich will sich keine Nation ihren Bürger*innen als Atommüllkippe Europas präsentieren.
Andere Staaten sind weiter als Deutschland
„Überall ist man schon deutlich weiter als bei uns“, bestätigte Sylvia Kotting-Uhl, Grünen-Bundestagsabgeordnete (MdB) und Vorsitzende des Umweltausschusses. Aber wirklich vorhanden ist ein solches „funktionierendes“, also mit Atommüll gefülltes Endlager auch in diesen drei Ländern nicht.
In der Schweiz wurde 2008 mit der konkreten Erkundung begonnen. Deshalb ist auch bereits länger eine Liste von 27 möglichen Standorten öffentlich. Daraus wurden drei mögliche Gebiete für hochradioaktive Mülllager herauskristallisiert, berichtete Meinert Rahn. Er ist Professor beim Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI).
Und er erwähnte auch, dass es bei dem vom Bundesamt für Energie verantworteten Verfahren mit viel Öffentlichkeitsbeteiligung „nur am Anfang Proteste und mager besuchte Regionalveranstaltungen“ gegeben habe. Der endgültige Endlagerstandort soll dennoch in der Schweiz erst 2031 festgelegt werden – zum selben Zeitpunkt wie in Deutschland.
In Schweden ist man schon ein Stück weiter, wie Peter Wikberg vom „Swedish Nuclear Fuel and Waste Management“, kurz SKB, verriet. Bereits 2009 wurde Forsmark als Endlagerstandort festgelegt, wo sich bereits seit 1985 ein atomares Zwischenlager befindet. „284 Kommunen wurden gefragt, ob sie den Atommüll wollen.“ Nur wenige sagten Nein. Am Ende blieben sechs Standorte übrig. Dass es so hohes Interesse gab „und keine Gegner in den Kommunen“ erklärte Wikberg auch mit den „200 Millionen Euro für jeden Standort“. Wann aber in Schweden Atommüll gelagert werden kann, ist jedoch noch nicht klar.
Finnland ist am weitesten
Am weitesten mit der „Endlager-Erfolgsstory“ ist nach Aussage von Jari Makkonen Finnland. „Onkalo ist das erste sichere Endlager“, erklärte der für „Sales und Marketing“ zuständige Mitarbeiter von Posiva Solutions OY, der Betreiberfirma. Schon in ein paar Jahren soll dort, 450 Meter unter der Erde auf einer Halbinsel, also eigentlich unter dem Meer, Atommüll eingelagert werden. Doch wie viel Wasser dort eindringen darf, auf diese Frage hatte der OY-Verkaufschef „gerade keine Antwort parat“.
Dass es in und um Onkalo herum keine Proteste gegeben habe, hat für Jari Makkonen vor allem einen Grund: „Dort, wo AKWs stehen, wird auch ein Endlager leichter akzeptiert, als dort, wo keine stehen. Die Menschen sind Atomkraft gewohnt.“ Und darüber hinaus sei „allgemein Öffentlichkeitsbeteiligung der Schlüssel zum Erfolg“: Selbst bei kleinsten Festen oder an Sportplätzen habe die Firma Infocontainer aufgestellt und die Leute begeistert für den Atommüll. Und vielleicht hat ja auch etwas Wirtschaftsförderung nachgeholfen.
Vermittelnd begleiten
Deutschland dagegen setzt darauf, dass ein 18-köpfiges „Nationales Begleitgremium (NBG) die Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle vermittelnd begleitet – unabhängig, transparent und bürgernah“. So zumindest ist dessen Eigenbewertung. Aber ganz im Ernst: Wer hat schon jemals vom NBG gehört? Wer kennt diese 18 „Wissenschaftler*innen, Studierenden, interessierte Bürger*innen“ dieses unabhängigen, pluralistisch zusammengesetzten gesellschaftlichen Gremiums, das in der Bandbreite der Mitglieder die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt“?
Ein Mitglied des NBG stellte sich dieser Tage im Nürnberger Presseclub vor, das man dort wohl nicht erwartet hätte: Bayerns Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU). Er wurde gefragt, ob er mitmachen würde, und dann von Bundestag und Bundesrat gewählt.
Gut: Beckstein hat Atomerfahrung. Als bayerisches Staatsregierungsmitglied hat er am Bauzaun der nie gebauten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf die – Zitat Beckstein –„bürgerkriegsähnlichen Zustände“ bekämpft. Und er bekennt auch: „Ich habe dem Atom-Ausstiegsbeschluss nicht zugestimmt.“ Dennoch ist er sicher: Die Aussage der aktuellen Staatsregierung, dass es im Freistaat Bayern keinen geeigneten Atommüll-Standort gebe, „hat rechtlich keinerlei Bedeutung. Im Bundesrat hat Bayern dem Suchgesetz zugestimmt.“ Und im Jahre 2031 werde die Politik entscheiden, wo das Endlager hinkommt. „Oder wenn der Zeitplan nicht gehalten werden kann, dann halt 2035.“
Keine internationale Zusammenarbeit
„Aber zu warten, bis die Kernfusion so weit ist, die Zeit haben wir nicht“, ergänzte in Nürnberg Miranda Schreurs. Die Professorin ist Co-Vorsitzende des NBG von der Hochschule für Politik an der TU München. Denn man könne den Menschen an den einstigen AKW-Standorten nicht bis St.-Nimmerlein die oberirdischen Zwischenlager von Müll-Castoren zumuten.
Beckstein und Schreurs sind jedenfalls sicher: Internationale Zusammenarbeit werde es beim Endlagern von Atommüll auch künftig nicht geben. Selbst mit Blick auf Fichtelgebirge und Bayerischen Wald und die auf angrenzender tschechischer Seite erwartete Erkundung von Lagerstätten sieht Beckstein keine Chance auf ein Lager mit zwei Eingangsstationen.
Aber warum dauert die Suche in in Deutschland so lange, während die Finnen schon bald einlagern werden? „Die rechnen mit 100.000 Jahren Sicherheit, wir mit Millionen Jahren. Wir sind Perfektionisten – wir wollen das beste Lager haben“, lautet Günther Becksteins Einschätzung.
(Heinz Wraneschitz)
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