Hartmut, Hanns-Thomas und Matthias Schamel (von links) mit einem Nachbau des Talbot 1928, mit dem sie heute noch zu Messen fahren. Matthias Schamel hält eine Krenwurzel in den Händen, aus der Meerrettich hergestellt wird. (Foto: Greiner)
In Baiersdorf (Landkreis Erlangen-Höchstadt), der Welthauptstadt des Meerrettichs, zitiert man gerne mit dem Orakel von Delphi die griechische Mythologie: „Radieschen ist mit Blei aufzuwiegen, Rettich mit Silber, doch der Meerrettich ist sein Gewicht in Gold wert.“ Der Anbau dort reicht zwar nicht bis in die Zeit des Apollon zurück, doch Historiker gehen davon aus, dass bereits um das Jahr 1430 die ersten Meerrettichkulturen im 950 Jahre alten Baiersdorf angelegt worden sind. Und so stammt auch die älteste Meerrettichmarke der Welt, 1846 aus der Taufe gehoben, aus Baiersdorf: Die Schamel Meerrettich GmbH & Co. KG produziert auf einer betrieblichen Nutzfläche von 25.000 Quadratmetern täglich rund 150.000 Gläser.
Modernste Fabrik Europas
Sie werden abgefüllt in der modernsten Spezialfabrik Europas, 1994 mit umgerechnet 15 Millionen Euro Investitionskosten erbaut, die neben vielen anderen Spezialausrüstungen auch über eine optoelektronische Sortiermaschine mit Fotolinsen verfügt. Dabei steht die ökologische Verantwortung im Vordergrund: Neben einer eigenen Solaranlage auf dem Dach des Fertigwarenlagers wird die Energie für die gesamte Produktion seit Anfang 2012 zu 100 Prozent durch Ökostrom aus Wasserkraft gedeckt.
Schamel fördert den bayerischen Meerrettichanbau durch die im Jahr 2001 erfolgte Gründung der gleichlautenden Schutzgemeinschaft und einer Abnahmegarantie für die gesamte heimische Ernte. Jeden Tag wird der Kren, wie er in Franken heißt, reibfrisch verarbeitet. Die Rohware kommt aus firmeneigenen Klimakammern, wo die Stangen sofort nach der Ernte eingelagert werden. Von den über 150 Mitarbeitern sind etwa 50 in der Produktion und Verwaltung tätig, die anderen vorwiegend im vertrieblichen Außendienst.
Mit rund 100 Erzeugern, die etwa 150 Hektar bewirtschaften, unterhalten die heutigen Inhaber in fünfter Generation, die Brüder Hanns-Thomas und Hartmut Schamel (Jahrgang 1954 bzw. 1956), mehrjährige Anbauverträge mit Abnahme- und Preisgarantie. Hanns-Thomas Schamel, bekannt auch als Aufsichtsratsmitglied beim 1. FC Nürnberg: „Die Sonderkultur Meerrettich war kurz vor dem Aussterben. Durch die langfristigen Verträge mit unseren landwirtschaftlichen Partnern stellen wir jetzt sicher, dass das traditionsreiche Anbaugebiet – in einem Radius von etwa 20 Kilometern rund um unser Werk – erhalten bleibt und wir unser hochwertiges Markenprodukt in der gewohnten Qualität sichern können.“ Apropos Marke: Schamel, ausgezeichnet mit dem Goldenen Preis der DLG, hat es unter die „Marken des Jahrhunderts“ geschafft – in einer Reihe unter anderem mit Nivea, 4711, Lufthansa, Faber-Castell, Maggi, Persil und Meissner Porzellan.
Auch touristisch vermarktet
Der Meerrettich wird inzwischen auch touristisch vermarktet. So setzen seit zehn Jahren – in Verbindung mit dem Tourismusverband Franken – über 70 Restaurants und Hotels, vorwiegend in der Fränkischen Schweiz, jeweils im Oktober zur neuen Ernte, Gerichte mit der übrigens früher auch als Aphrodisiakum verwendeten Krenwurzel auf die Speisekarte. Alle zwei Jahre wird in Baiersdorf eine Meerrettichkönigin gewählt. Und im ehemaligen Verwaltungsgebäude in der Judengasse 11 in Baiersdorf wurde das „schärfste Museum der Welt“ eingerichtet. Seit Eröffnung 1996 zählt es mehrere Tausend Besucher pro Jahr.
Die „magische Wurzel“ ist als Gewürz- und Heilpflanze ein Stück fränkischer Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Von der Pflanzung bis zur Ernte verlangt der Meerrettich etwa zehn Mal so viel Arbeitsaufwand wie die Kartoffel. Jede einzelne Wurzel muss im Frühjahr in die Erde gesetzt werden. Bis zur Ernte im Spätherbst werden die Wurzeln teilweise noch zweimal aus- und wieder eingegraben, um überflüssige Triebe und Sprossen abzubrechen. Nur so erreichen die Bauern die Norm: mindestens 30 Zentimeter lang und zweieinhalb Zentimeter dick. Der Meerrettich ist reich an Vitaminen, wirkt antimikrobiell, regt den Blutkreislauf an, löst den Husten und wird äußerlich als Breiumschlag bei Rheuma, Gicht, Insektenstichen, Ischias und Nervenschmerzen angewandt. Dass man eine Scheibe rohen Meerrettichs in den Geldbeutel legen soll, damit dieser niemals leer mögen werde, dürfte allerdings reiner Aberglaube sein.
Weltgenusserbe
Seit 2007 ist die Bezeichnung „Bayerischer Meerrettich g.g.A.“ als Weltgenusserbe mit 100 Prozent Herkunftsgarantie von der EU als geschützte geografische Angabe eingetragen. Schamel beliefert vor allem den deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, die Schweiz und Südtirol) und ist in Deutschland Marktführer mit über 30 Prozent Marktanteil. Der Export macht etwa 15 Prozent des Umsatzes aus.
(Udo B. Greiner)
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