Nicht für oder gegen Autos, sondern um das Miteinander von ÖPNV, Individualverkehr und sich zu Fuß bewegender Menschen, darum gehe es: Das Motto, das Heiko Linder, Sprecher der Städtischen Werke Nürnberg, ausgab, zog sich durch die ganze Veranstaltung „Mobilität und Lebensqualität in der Stadt“, veranstaltet von Bayern Innovativ im Presseclub Nürnberg.
Eigentlich müsste die Einschränkung des Individualverkehrs, vor allem jenes mit Verbrenner-Kraftfahrzeugen ein absolutes Muss sein, das keinen Aufschub mehr gestattet. „Denn der Verkehr ist für 20 Prozent der Treibhausgase verantwortlich, vor 20 Jahren waren es 7 Prozent weniger“, wie Thomas Gruber hervorhob. Aber auch wenn der Amtschef des bayerischen Bau- und Verkehrsministeriums sogar zugab, für die Lebensqualität – also auch weniger CO2, Abgase oder Feinstaub – sei sein Ministerium verantwortlich: Er nahm gleich „alle Politik in die Verantwortung“ für die Lebensqualität überall im ganzen Land.
Gruber lobte an dieser Stelle die Entscheidungen der Freistaatsregierung, die die hiesige Infrastruktur voranbringen sollen: Bis 2030 weitere 3000 Kilometer Radwegenetz und 70.000 öffentliche E-Ladesäulen, zudem Wasserstofftankstellen und den Autobahnausbau rund um Nürnberg. Doch dass in 2023 „einige S-Bahnhöfe barrierefrei“ werden sollen, zeigt eher die Grenzen der Politik auf: Für heuer hatte vor zehn Jahren Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer „Bayern barrierefrei“ versprochen, aber offensichtlich nicht gewusst, welchen Aufwand das bedeutet.
Doch nun habe die Staatsregierung einen realistischeren Weg eingeschlagen: „Das 49-Euro-Ticket ist ein Gamechanger“, auf dessen Basis bundesweit alle Verkehrsmittel „optimal vernetzt“ werden sollen. Dass die am flachen Land vor allem individuell sind, erwähnte Gruber nicht.
Ursprung des ÖPNV
Er war ja auch in jener Stadt, „die eigentlich die Mobilität erfunden hat mit dem Adler“, wie es Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin Julia Lehner formulierte. Für die CSU-Frau war Deutschlands erste Eisenbahn „der Ursprung der Globalisierung, der Ursprung des ÖPNV“. Und weil sich Nürnberg verpflichtet habe, „bis in die 2030er-Jahre klimaneutral zu werden“, sieht sie „die Chance gegen die Klimakrise zu steuern, eine klimagerechte, nachhaltige Umwelt zu schaffen und mobil zu bleiben. Am besten mit dem ÖPNV. Aber es muss auch möglich sein, zum Beispiel meine alte Mutter mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren, ohne dass dieser Planet untergeht.“
Aber dazu reicht es nicht, Diesel- oder Benziner- durch Elektroautos zu ersetzen. Tim Dahlmann-Resing, Vorstand bei den Nürnberger Verkehrsbetrieben VAG, zitierte hierzu Bundesenergieminister Robert Habeck (Grüne): „Mobilitätswende heißt nicht, den Stau elektrisch zu machen.“ Aus Sicht des Noris-Verkehrsmanagers ist „der größte Hebel die Vermeidung des Verkehrs, zum Beispiel durch Homeoffice“. Eine Stadt der kurzen Wege, die man zu Fuß überbrücken könne, schwebt ihm vor, Paris sei ein gutes Beispiel dafür. Doch hierzulande „hinkt der Verkehr aufgrund politischer Nichtentscheidungen hinterher“.
Wenn sich – wie schon von Bürgermeisterin Lehner erwähnt – die Stadt den Pariser Klimazielen verpflichtet habe, sei es unerlässlich, „den Verkehr erträglicher zu gestalten, den Umweltverbund zu schaffen, die Parkraumbewirtschaftung zu unterstützen. Denn das Potenzial zum Umstieg ist da: 60 Prozent der Fahrten könnten mit anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Es sind also persönliche Gründe, das Auto nicht stehen zu lassen“, konstatierte Dahlmann-Resing.
Autonome Busse
Er hofft im Übrigen auf die Digitalisierung, autonome Busse ähnlich wie Nürnbergs U-Bahnen, barrierefreien Ticketkauf oder die von der VAG 2024 geplante „multimodale Buchungsplattform für ganz Deutschland“. Auch für den VAG-Vorstand gilt die „Vision für den öffentlichen Raum: Städte für Menschen“, nicht für Autos, die immer mehr Stehplatz brauchen.
Kurzzeitparkraum – oft auf Radwegen – nehmen sich auch die Fahrer*innen der vielen Lieferdienste. „Die Mobilität hat sich wahnsinnig verändert, auch durch Online-Bestellungen“, konstatierte deshalb Jennifer Reinz-Zeitler vom Veranstalter Bayern Innovativ. „Es gibt hier vielfältige Herausforderungen. Alles passiert gleichzeitig: technologisch, ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich.“
Und auch wenn immer mehr online bestellt statt in den Zentren eingekauft wird: „Die Städte nehmen nur 2 Prozent der Fläche der Welt ein, aber dort entstehen 80 Prozent der CO2-Emissionen“, rechnete sie vor. Ihrer Wunschvorstellung, dass „ÖPNV und Individualverkehr verschmelzen“, kommen sogenannte Mobilitätsplattformen recht nahe: „Dort werden die beiden Welten verbunden.“
Tobias Zuber entwickelt bei der Nürnberger VAG solch eine Plattform: NüMO heißt der geplante „digitale Zugang zur integrierten Mobilität“, soll „ÖPNV, Bikesharing, E-Scooter und Carsharing verbinden“, gleichzeitig Service- und Buchungsplattform sein, sogar „Drittanbietersysteme integrieren“ wie die Bahn oder Parkhausauslastungen anzeigen. Schon jetzt sei im 49-Euro-Ticket ein 600-Minuten-Kontingent für die VAG-Radflotte enthalten.
Auch die Mikromobilität soll mit dem Öffentlichen verbunden werden: Christian Pfeuffer von VOI, einem der zahlreichen E-Scooter-Verleiher, sieht sein Unternehmen bereits „als Teil des ÖPNV“; ab Sommer seien 15-VOI-Minuten pro Monat im NüMO drin, kündigte er an. Passend zur „15-Minuten-Stadt“, einem Zeitraum, in dem jeder Ort in der Noris kombiniert erreichbar sein solle.
Parkzonen klar ausweisen
Pfeuffer sprach sich auch für die Ausweisung klarer Parkzonen und Parkverbotszonen für E-Scooter aus. Damit lag er auf einer Linie mit Pia Plessing vom Mobilitäts-Consulting-Unternehmen Cityinmotion. Sie beschrieb die Baustelle Raum: Es scheitert ja schon häufig am Platz für Fahrradständer, sowohl bei Firmen als auch bei der Bahn oder an Haltestellen. Oft sei die Regulierung das Haupthemmnis von der Straßenverkehrsordnung bis zu DIN-Normen. Dabei bräuchten bekanntlich Fahrräder wenig Platz. Und E-Scooter behinderten ja auch nur deshalb die Menschen, „weil sie am Gehweg stehen, nicht aber auf der Straße, unterhalb der Bordsteinkante. Wenn wir die Verkehrswende wirklich wollen, müssen wir hier ein Gleichgewicht herstellen mit Autos.“
Alles fußläufig erreichbar?
Harald Kipke von der Ohm-Hochschule Nürnberg setzte noch eins drauf: „Ich möchte an der Vorstellung rütteln, dass Mobilität gleich Automobilität ist. Was wäre, wenn fast alles fußläufig erreichbar wäre? Was bleibt noch übrig? Nur noch Wunschmobilität“, stellte der Fachmann für urbane Mobilität heraus. In seinem Vortrag vermied der Professor die Worte „Wege“ und „Fahrten“. Er sprach von „realisierten Ortsveränderungen. 80 Prozent davon sind kürzer als 10 Kilometer, alles Entfernungen, die man immer noch mit Körpermobilität machen kann.“ Außer, die Leute seien gehbehindert.
Laut Kipke könnte der Umstieg von Verbrennern auf E-Autos sogar den Wiedereinstieg in die autofreundliche Stadt bedeuten – und auch künftig riesigen Platzbedarf für stehende Autos. „Wir brauchen aber eine andere Verteilung des öffentlichen Raumes. Warum denken wir nicht über Logistik, Digitalisierung, nichtphysischen Informationsaustausch nach, dann brauchen wir die Privatfahrzeuge gar nicht mehr.“
Daniel F. Ulrich, Nürnbergs Planungs- und Baureferent, gab die Euphoriebremse. „Die schöne Theorie passt nicht“, denn täglich würden „300.000 Fahrzeuge nach Nürnberg reinbrechen und wieder raus“. Er gab aber auch zu: Selbst ein Großteil der Autofahrer „findet den Autoverkehr nicht mehr erträglich“. Weniger Platz zum Parken im öffentlichen Raum vorzuhalten, sei ein Nürnberger Mittel. Aber ob seine Idee „unter die Erde damit“ wirklich umsetzbar und erfolgreich sein wird? Auf jeden Fall will er Nürnberg radverkehrsfreundlich gestalten und Radschnellwege bis ins Umland forcieren. „Und am Ende sind wir alle Fußgänger. Je mehr wir laufen, desto besser.“
Beispiel Bremen
Als Beispiel stellte Ulrich Bremen heraus: „Dort ist man uns um Jahre voraus“. Passend dazu war Michael Klotz-Richter, der Referent für nachhaltige Mobilität in der Hansestadt, als Redner geladen. Er erklärte den „Modal Split“, an dem in Bremens Innenstadt je ein Drittel Rad und Fußverkehr beteiligt sei. Aber auch er hatte keine Allheilmittel-Vorschläge, kritisierte wie andere an diesem Tag das fehlende Rechtsinstrumentarium für Lieferzonen oder Fahrradständer auf der Fahrbahn.
Auf jeden Fall seien in Bremen kurze Wege zu ÖPNV-Haltestellen oder Mobilitätsstationen mit Car- oder Scooter-Verleih „ein ganz großes Ding“. Aber wird die Bremer Verordnung für „Ausweichparkplätze“ vor dem Bundesverwaltungsgericht Bestand haben? Eine offene Frage, zumal nach der Bürgerschaftswahl die zuständige Umweltsenatorin zurückgetreten ist. Wohl wegen ihrer von vielen nicht akzeptierten Verkehrspolitik.
Hoffnung machte am Ende aber Christian Meyer. Der Rechtsanwalt zeigte auf, wie in Darmstadt in Neubaugebieten „menschenwürdige Planung“ nicht nur in den Quartiersplänen stehe, sondern auch umgesetzt werde. Mit bestimmten Vorgaben „kann ich die Immobilienwirtschaft dazu verpflichten“. Deshalb sei es unerlässlich, dass „Kommunen bereits heute alle Eventualitäten berücksichtigen“, wenn sie neue Quartiere ausweisen: „Sie dürfen ruhig mutig sein.“
(Heinz Wraneschitz)
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