Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seiner Gasimporte aus Russland, und Russland droht mit einem Lieferstopp.
Was würde das für Bayern bedeuten?
Dem Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) zufolge werden heute 20 Prozent des Energieverbrauchs unmittelbar durch Erdgas gedeckt. 50 Prozent der Neubauwohnungen werden mit Erdgas direkt oder mit Fernwärme beheizt. Die Industrie braucht Erdgas als Prozesswärme und als Rohstoff für viele Produkte. Hinzu kommt Gas für die Stromerzeugung, als Ersatz für Öl, Kohle und Atomkraft.
Woher bezieht Bayern sein Gas?
"Nordrhein-Westfalen verbraucht das Gas aus Holland, Norddeutschland mehr norwegisches Gas - Bayern hängt physikalisch an dem russischen Strang", sagt VBEW-Geschäftsführer Detlef Fischer. Etwa 90 Prozent des im Freistaat verbrauchten Erdgases kommen aus Russland. Zum einen fließt es durch die Nordstream-1-Pipelines durch die Ostsee über Greifswald, Sachsen und Tschechien in Waidhaus über die Grenze, zum anderen über die Ukraine durch Österreich nach Südbayern.
Wäre Bayern also besonders betroffen?
Theoretisch nein. Wenn die Bundesregierung den Notfall ausruft, soll der Bundeslastverteiler in Zusammenarbeit mit den Fernleitungsnetzbetreibern die Gasströme so umleiten, dass jede Region gleichberechtigt versorgt wird. Das deutsche Fernleitungsnetz ist 40.000 Kilometer lang, daran sind die nachgelagerten Gasverteilernetze angeschlossen. In der Praxis allerdings gab es eine solche Umverteilung noch nie.
Kann der Bäcker nächste Woche keine Brezen mehr backen?
"So schnell wird es nicht gehen", sagt Fischer. Mit den Vorräten, den anderen Gasimporten und dem deutlich niedrigeren Verbrauch im Sommer sollte es zunächst keine größeren Probleme geben. Aber wenn Russland den Hahn zudreht, "dann wird's eng werden im kommenden Winter". Normalerweise werden die Speicher im Winterhalbjahr geleert und im Sommer bei niedrigen Gaspreisen wieder aufgefüllt. Jetzt sind die Speicher in Bayern noch zu 14 Prozent gefüllt, bundesweit zu 25 Prozent. Aber das sagt nichts über die Versorgungssicherheit in einem Bundesland: Das in Bayern eingelagerte Gas kann auch einem Händler in Hamburg gehören und nach Stuttgart verkauft werden, oder umgekehrt.
Was kann man tun?
Energie sparen - vor allem im privaten Bereich. "Muss das Bad ganztägig auf 23 Grad beheizt werden oder alle anderen Räume auf 21 Grad? Dieser Hebel ist viel wirksamer, als Gas in der Industrie einzusparen", sagt Prof. Michael Sterner von der Technischen Hochschule Regensburg. "Die energieintensive Industrie ist schon immer auf Energiesparen und Energieeffizienz getrimmt, sonst wäre sie nicht kosteneffizient und wettbewerbsfähig."
Was hieße ein Gasstopp für die Industrie?
Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) könnte die Industrie nur acht Prozent ihres Erdgasverbrauchs ersetzen. Ein Gasstopp würde sofort Wertschöpfungs- und Lieferketten unterbrechen. Rasch wäre "auch die Automobilindustrie in Form von Plastikteilen oder die Landwirtschaft in Form von Dünger betroffen", sagt Steiner. Die Glas- und die Metallindustrie kann auch nicht einfach auf Strom oder Wasserstoff schwenken. Ein Gasstopp "hätte also massive Auswirkungen auf die Produktion und damit die Arbeitsplätze."
Welche Branchen trifft es sofort direkt?
Der Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) zufolge ist die gesamte Chemieindustrie besonders betroffen, aber auch Metallindustrie, Zement- und Ziegelfabriken, Nahrungsmittelindustrie mit Molkereien, Zucker, Stärke- und Futtermittelherstellern, die Glas- und Keramikindustrie und Papierhersteller. Allein in diesen Branchen stehen in Bayern mehr als 200.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. "Die Dominoeffekte durch Produktionsausfälle und massive Preissprünge quer durch alle Sektoren wären verheerend", warnte der BIHK und mahnte: "Betriebe, die auf Erdgas angewiesen sind, sollten spätestens jetzt Notfallpläne aufstellen." Die Bundesregierung müsse Kredit- und Hilfsprogramme für besonders betroffene Unternehmen vorbereiten.
Wie wird Gas im Notfall verteilt? Müssen Bürger frieren?
Nein, private Verbraucher gelten bei den Notfallregelungen als geschützte Kunden. "Aber wer seine Heizung zu Hause auf 26 Grad Celsius einstellt, nimmt an seinem Arbeitsplatz das Gas weg", sagt Fischer. Wenn in der Glashütte in Oberfanken plötzlich das Gas fehlt, "dann ist die Schmelzwanne kaputt". Die Frage sei im schlimmsten Fall, wer mehr zähle: Der Glashersteller im Landkreis Kronach? BMW in Dingolfing? Und die Lieferketten seien so komplex, dass eine Planung schnell obsolet werden könnte. "Dann hat man vielleicht Bierflaschen, aber keine Kronkorken zum Verschließen mehr."
(Roland Losch, dpa)
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