Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Legt man diese alte Weisheit zugrunde, könnte Europa vom sich anbahnenden Handelskrieg zwischen China und den USA profitieren. Vor allem der Freistaat hat gute Chancen, denn seit Franz Josef Strauß sind die Bayern in China hoch angesehen.
BSZ: Herr Professor Magel, Sie sind langjähriger Chinakenner. US-Präsident Donald Trump will sich offensichtlich mit China anlegen. Was bedeutet das für die bayerische Wirtschaft?
Holger Magel: Das jetzt schon zu wissen, wäre nobelpreisverdächtig. Ich gehe davon aus, dass in den Chefetagen der deutschen und bayerischen Thinktanks und Wirtschaft, ob beim Merics (Mercator Institute for China Studies) oder bei BMW, Audi, Siemens, Allianz, MTU et cetera, und beim Lobbyverband vbw fieberhaft darüber nachgedacht wird. Es geht ja, folgt man einer Studie der vbw vom Dezember 2024, um viel.
BSZ: Um wie viel?
Magel: Immerhin ist China der größte Handelspartner Bayerns und der zweitwichtigste Auslandsstandort für bayerische Investitionen. 700 bayerische Unternehmen sind dort vertreten, davon 100 mit eigenen Produktionslinien. In den wichtigen drei bayerischen Partnerprovinzen Shandong, Sichuan und vor allem Guangdong sind es insgesamt 148. Wenn Trump Deutschland und Bayern in Sippenhaft nimmt bei Erhebung von Strafzöllen gegen China, bedeutet das natürlich nichts Gutes.
BSZ: Ist es vermeidbar?
Magel: Ich glaube nicht, dass Chinas Reaktionen gegen die USA die bayerische Wirtschaft mittreffen sollen. Immerhin hat Ministerpräsident Markus Söder bei seinem vorjährigen Chinabesuch ein besonders freundliches Verhältnis zu Chinas Ministerpräsident Li Qiang gepflegt und mit diesem zum Beispiel eine spezielle Partnerschaft im Tourismus vereinbart.
BSZ: Bringt das etwas?
Magel: Bayern ist das Traumurlaubs- und -reiseland der Chinesen! Wir könnten also im Windschatten des Konflikts segeln, was aber extrem geschickte Diplomatie und Abstand von der groben Rhetorik Amerikas verlangt. Und wir sollten die nach wie vor legendäre Bedeutung von Franz Josef Strauß in China für Bayern nutzen.
Die goldenen Jahre der deutschen Autofirmen in China sind vorbei
BSZ: Was haben die bayerischen Autohersteller davon?
Magel: Sicher werden die bayerischen Autobauer deshalb nicht mehr Autos verkaufen können, denn da ist die Entwicklung drüber weggegangen. Die goldenen Jahre der deutschen Autofirmen in China sind vorbei. Vorbei wohl auch die Zeiten, in denen die Businessclass der Lufthansa-Flüge nach Peking fast allein mit BMW-Managern ausgebucht war. Ich habe im Vorjahr in Pekings oder Hangzhous Straßen fast nur noch chinesische Autos gesehen. Wenn ich sie nicht gleich als solche entdeckt habe, haben mich meine chinesischen Begleiter leise lächelnd darauf hingewiesen. BMW gibt ja mittlerweile selbst zu, dass das Geschäft und die Gewinne in China spürbar nachlassen.
BSZ: Was ist also zu tun?
Magel: Die bayerischen Unternehmen müssen in anderen Feldern punkten wie zum Beispiel im Ernährungs-, Umwelt- und Medizintechnologiesektor. Immerhin sind in China nun auch Ökosiegel geplant, weil die wohlhabender werdende Bevölkerung auf gesunde Nahrung achtet. Wir wissen aus unserer Zusammenarbeit in der Gemeinde- und Raumentwicklung, dass China einen Riesenbedarf an technologischen Lösungen hat, die es auf dem Weg zu einer sogenannten Ökozivilisation und einer gleichwertigen Entwicklung von Stadt und Land mit besseren Lebensbedingungen braucht. Hier sollten die bayerischen Wirtschaftsvertreter – endlich – auch den Dialog mit den in China bestens vernetzten Landentwicklern und den Spezialisten für berufliche Bildung suchen. Mit ihnen könnten in der Provinz besser und direkter Kontakte hergestellt und Bedarfe ermittelt werden. Da muss nicht extra ein bayerischer Wirtschaftsminister zum Türöffnen anreisen. Über unsere Landentwicklungskontakte entstanden Nähe und Vertrauen. Das hat zum Beispiel die beiden oberfränkischen Städte Pegnitz und Betzenstein längst neugierig gemacht auf wirtschaftliche Zusammenarbeit.
BSZ: Chinas Bruttoinlandsprodukt soll dieses Jahr um 5 Prozent wachsen. Können bayerische Unternehmen davon profitieren?
Magel: Bayerische Firmen sollten das im Übrigen relativ normale fünfprozentige Wachstum nutzen, um mitzuhelfen, das nächste große Ziel in China zu erreichen. Nach Überwindung der Armut nämlich einen angemessenen Wohlstand für alle zu schaffen, wie Xi Jinping es seit Jahren in all seinen Reden und Büchern verspricht. Dieser Wohlstand findet in den Provinzen, Städten, Kreisen und Dörfern statt. Hier muss akquiriert werden. Die großen Stückzahlen mögen da nicht so imponierend sein. Wir sollten aber die Chancen ergreifen, die das im Januar 2025 verkündete neue vierjährige Programm des Staatsrats für die „Umfassende Revitalisierung des ländlichen Raumes“ mit riesigen Infrastruktur - und Umweltmaßnahmen bietet.
Wir müssen uns heraushalten
BSZ: Die Chinesen ihrerseits haben verlauten lassen, mit den USA bis zum Ende kämpfen zu wollen. Liegt darin eine Chance für Europa, wenn sich USA und China wirtschaftspolitisch bekriegen?
Magel: Noch mal, wir müssen versuchen, uns aus dieser unter Umständen lang anhaltenden Auseinandersetzung herauszuhalten. Die langfristig und strategisch denkenden Chinesen haben sich sicher darauf vorbereitet, was heißen soll, dass der Kampf wirklich lange gehen kann. Unsere Loyalität zu den USA ist jetzt jäh zerbrochen. Europa muss sich allein aufstellen und gleichwohl auf beiden Seiten in Handelsbeziehungen bleiben.
BSZ: Aber Xi Jinping unterstützt Putin.
Magel: China ist kein einfacher Partner. Seine Unterstützung von Putins Angriffskrieg in der Ukraine mag uns an dem angeblichen Land des Ausgleichs und Friedens – so Chinas Eigenwahrnehmung – zweifeln lassen. Natürlich ist auch der unverhohlene und von den USA schon länger bekämpfte Griff nach der wirtschaftlichen Weltmacht eine Herausforderung. Hinzu kommt der Umgang mit Dissidenten, Minderheiten, Cyberkriminalität, Standards und vieles mehr. Aber wir können nicht alles nach unseren Maßstäben bewerten. Auch Indien hat seine Mängel, der Nahe Osten sowieso. Und in Afrika herrscht überhaupt keine besondere Europafreundlichkeit, was sich auch in der fehlenden Unterstützung beim Ukraine-Konflikt gezeigt hat.
BSZ: Keine rosigen Aussichten.
Magel: Was ich nach fast 40 Jahren Erfahrung sagen will: China ist nicht unser Traum- oder gar Liebespartner, aber ein weitgehend verlässlicher und nicht disruptiv agierender Partner, den man in Zeiten wie diesen letztlich braucht und akzeptiert mit all seinen Ecken und Kanten. Dazu gehört für mich, dass man natürlich von den Chinesen faire Wettbewerbsbedingungen einfordern muss, sie aber nicht immer und überall mit der Menschenrechtsfrage öffentlich überfällt und nervt, denn das bleibt ohnehin ohne Wirkung. Ich bin diesbezüglich zu der Einsicht gekommen, dass man das, wenn überhaupt, erst im Laufe einer bewährten vertrauensvollen Partnerschaft und bei gemeinsamen Projekten besprechen und umsetzen kann. Stichwort breite Bürgerbeteiligung bei der Dorfentwicklung! Die wird in China immer mehr Praxis!
Von China lernen
BSZ: KI, Weltraumfahrt, der Passagierjet Comac C919 – China hat technologisch stark aufgeholt und europäische Unternehmen teils überholt. Wie muss Bayerns Forschungslandschaft darauf reagieren?
Magel: Dazu eine kurze Antwort: indem wir weiter mit China kooperieren und von China gegebenenfalls lernen, warum es so erfolgreich ist, vor allem so schnell. Bei uns dauert ja alles so lange. Der Weg von der Erfindung zur Umsetzung ist das deutsche Problem. Es ist schon beeindruckend, dass im Vorjahr China 10 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit dem Ausbau erneuerbarer Energien erwirtschaftet hat. Seine massenhaft angefertigten PV-Module werden immer billiger und damit auch unsere Energiewende. China scheint nun die zuverlässigste Großmacht zu werden beim Ausstieg aus den fossilen Energien.
BSZ: Das heißt?
Magel: Das frühere Lehrer-Schüler-Verhältnis hat sich längst gewandelt zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe, und zwar nicht nur im technologischen Bereich, vor allem im KI-Bereich, wo China Milliarden investiert und nun sogar mit DeepSeek die US-Techgiganten düpiert hat, sondern auch im planerisch-strategischen Bereich der Raum- und Landentwicklung. Und wenn es nötig ist, wird halt das deutsche System der zentralen Orte oder das Modell der räumlichen Gerechtigkeit kopiert und in chinesisches Denken integriert. Das hat mir der oberste Landentwicklungsbeamte Chinas im Vorjahr gesagt: Herr Magel, wir haben viel von deutschen Experten gelernt. Aber jetzt sind wir auf Augenhöhe. Nun wollen wir mit unserer Weisheit die Welt gestalten, zum Beispiel in Afrika.
BSZ: Was bedeutet das für uns?
Magel: Wir Deutsche sollten uns daran beteiligen, denn sonst sind wir auf diesem Kontinent chancenlos. Die TU München hat meines Erachtens das Richtige getan, indem sie ja Tausende chinesische Studenten anzieht und immer mehr chinesische Professoren beruft. Sie hat ein eigenes Hauptstadtbüro in Peking und pflegt eine intensive Forschungskooperation mit chinesischen Flagshipuniversitäten, die hoffentlich nicht spionieren, sondern ehrliche Partner sind.
Verlässliche Kollegen
BSZ: Das ist schon ein bisschen blauäugig angesichts der Erfahrungen mit China, oder?
Magel: Die Chinesen sind inzwischen Kollegen geworden. Man kann sich im Konfliktfall auf sie verlassen. Selbstredend bieten diese Unikooperationen zum Beispiel im Healthcare-Sektor oder in der Biopharmazie Andockmöglichkeiten für bayerische Unternehmen. Vielleicht schaffen auch wir es, dass sich nicht nur Xi Jinping und sein Kabinett, sondern die gesamte deutsche Staatsspitze in einer deutschen „Großen Halle des Volkes“ alljährlich mit Spitzenwissenschaftlern und erlesenen Akademiemitgliedern ihres Landes unterhält und sie zu Höchstleistungen bei der wissenschaftlich-technologischen Modernisierung und Innovation anspornt. Weil sie für die Modernisierung und nachhaltige Entwicklung eines Landes essenziell sind.
BSZ: Wie geht man am besten mit den Chinesen um?
Magel: Darüber könnte ich nach unzähligen Besuchen, vielen berührenden Begegnungen, Ehrungen und Erfolgen ein Buch schreiben. Sehr klar ausgedrückt: nicht rumdrucksen, sondern aufrecht und gerade mit den Chinesen umgehen, auch nicht über den Tisch ziehen lassen und sagen, wenn etwas nicht passt oder gar unmöglich ist. Andererseits zum Beispiel auch den unglaublichen Aufstieg des einst von Europa und Deutschland gedemütigten Chinas vom Entwicklungsland zur Großmacht anerkennen. Man muss ja nicht gleich den Slogan „Make China Great Again“ bejubeln.
BSZ: Und wie sieht es mit Kritik aus?
Magel: Offen darf und soll man auch ansprechen, wo Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten gesehen werden und wo es Differenzen im Denken und in den Systemen gibt. Aber bitte nicht Missionar oder Erzieher spielen und von unseren besseren ethischen Werten und unserer freieren demokratischen Gesellschaft reden. Die chinesische Jugend genießt das chinesische System, weil es ihr bisher immer größeren Wohlstand und Mobilität garantierte. Wir müssen da nichts ändern wollen oder Überzeugungsarbeit leisten.
In Bayern viel zu wenig bekannt
BSZ: Worauf blicken Sie nach fast 40 Jahren Chinaberatung besonders stolz zurück?
Magel: Dass es gelungen ist, zusammen mit der Hanns-Seidel-Stiftung und Experten der Verwaltung für Ländliche Entwicklung aus dem noch von Franz Josef Strauß angestoßenen Dorf- und Landentwicklungspionierprojekt Nan Zhang Lou in Bayerns erster Partnerprovinz Shandong eine grandiose Erfolgsgeschichte in ganz China zu schreiben. Das ist in Bayern viel zu wenig bekannt. Höhepunkt dieser tatsächlich in wachsendem Vertrauen gestalteten Partnerschaft und des gegenseitigen fachlichen Austausches über drei Jahrzehnte hinweg sind die im Dezember 2024 vom Ministry of Natural Resources erlassenen „Leitlinien Integrierte Flurneuordnung und Umsetzung eines umfassenden territorialen Landmanagements“ sowie das bereits erwähnte Dekret des Staatsrats zur umfassenden Revitalisierung des ländlichen Raumes. In diesem leben immer noch rund 500 Millionen Chinesen.
BSZ: Und was bringt das?
Magel: Diese von uns maßgeblich beeinflussten Programme werden zusammen mit dem auch von Bayern zumindest teilweise übernommenen dualen Bildungssystem den Menschen helfen, ein würdigeres und nachhaltigeres Leben zu führen und neue Kaufkraft in die Dörfer und Landstädte zu bringen – wovon am langen Ende auch bayerische Unternehmen profitieren können. Das offizielle China würdigt sehr wohl den großen Einsatz bayerischer Partner bei dieser Entwicklung. Die bayerische Staatsregierung sollte deshalb weiterhin den Dialog zur ländlichen Entwicklung wie auch zur beruflichen Bildung aktiv unterstützen und nicht nur allein wirtschaftliche Partnerschaften. Und wenn ich zwischendurch an Chinas Haltung in Weltkonflikten verzweifle, gehe ich in den Münchner Finanzgarten zur Konfuzius-Statue, dem Geschenk der Provinz Shandong, und denke mir: Die chinesische Politik und krisenerprobte Diplomatie – die gerade beim Kaschmir-Konflikt mit Indien sehr erfolgreich war – werden hoffentlich die Weisheit dieses überragenden Mannes nicht vergessen und weiter beherzigen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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